Drei Zimmerer legen mit Hilfe einer Kranklammer einen 370 kg schweren Strohballen auf eine Wand aus Strohballen. © NDR Foto: Jan Fragel

Erbsen: Ein Dorf baut sein Gemeinschaftshaus aus Strohballen

Stand: 04.10.2024 20:53 Uhr

Ein Dorfgemeinschaftshaus aus Strohballen, ohne zusätzliche Stützen: In Erbsen im Landkreis Göttingen entsteht ein solches Gebäude. Der Baustoff kommt vom Feld, er verbraucht kaum Energie und das ganze Dorf macht mit.

von Jan Fragel

Strohballenbau ist eine Nische und noch immer recht unkonventionell. In Deutschland gibt es bislang nur 1.500 Gebäude, die mit oder aus Strohballen gebaut sind. Der Flecken Adelebsen, zu dem auch der 400-Seelen-Ort Erbsen gehört, hat Mut bewiesen und sich für den Bau eines Dorfgemeinschaftshauses aus Strohballen entschieden. Das heißt, als Wände werden große Quaderballen übereinander gestapelt. Sie tragen das Dach - lasttragende Bauweise nennt sich das. Extra abgestützt werden muss das ebenfalls mit kleinen Strohballen gedämmte Dach nicht. Das ganze Haus ruht auf Stroh. Den Baufortschritt sehen Sie hier im Zeitraffer-Video.

Lebensdauer: mindestens 100 Jahre

"Das ist so dauerhaft, dass wir mit einer Lebensdauer von 100 Jahren oder mehr rechnen", sagt Anna Dienberg. Sie ist die Architektin und hat das Dorfgemeinschaftshaus aus Strohballen entworfen. Während ihres Studiums ist sie in Österreich mit dieser Bautechnik in Berührung gekommen - und war fasziniert. "Es ist ein sehr lokaler Baustoff, der jedes Jahr nachwächst. Eigentlich ist er ein Nebenprodukt aus der Landwirtschaft und muss nicht extra gefertigt werden." Das spare enorm Energie - und damit CO2-Emissionen. Ein Nachteil: Weil diese Bautechnik nicht etabliert und genormt ist, musste der Plan sogar von der obersten Baubehörde genehmigt werden.

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Brandschutz und Mäuse sind kein Problem

Die Fragen, die an solche Häuser gestellt werden, kennt Dienberg: Was ist bei Feuer? Was ist mit Mäusen und anderem Getier? Und Schimmel? Alles kein Problem, so Dienberg. Stroh könne prinzipiell natürlich brennen. Wenn es aber so stark zusammengepresst sei, wie in den verbauten Großballen, sei es nur schwer entzündbar. "Das kann man mit einem Telefonbuch vergleichen. Wenn die Seiten ganz dicht aufeinander liegen, braucht es sehr lange, bis das Buch brennt," erklärt Dienberg. Außerdem werde das Stroh mehrere Zentimeter dick verputzt - innen mit Lehm-, außen mit Kalkputz. Ein Brandschutz-Standard "F 90" sei möglich. Für Laien ausgedrückt heißt das: feuerbeständig. Und weil das Stroh so dicht verpackt ist, hätten auch Mäuse keine Chance einzudringen.

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Der Gemeinderat des Fleckens Adelebsen hatte mit zehn Ja-Stimmen und sechs Enthaltungen für das Erbsener Strohballen-Projekt gestimmt. Die Gemeinde ist damit Vorreiter auf diesem Gebiet. Ortsbürgermeister Christof Schmidt (Wählergemeinschaft Erbsen) ist froh über die Zustimmung und stolz auf das Projekt: "Wir sind eben der Meinung, als öffentliche Einrichtung kann man da mit gutem Beispiel vorangehen und solche Bautechniken vorantreiben."

"Ökobilanz top"

Mit rund 40 Prozent ist der Bausektor für einen Großteil der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Stroh weist in seiner Ökobilanz hervorragende Eigenschaften auf. "Eine Tonne Stroh bindet 1,5 Tonnen CO2," erklärt Dr.-Ing. Stefan Helbig von der Materialforschungs- und -prüfanstalt an der Bauhaus-Universität Weimar. In Erbsen wurden allein für die Wände 60 Großballen verbaut - jeder rund 370 Kilogramm schwer. Zusammen speichern sie 33 Tonnen CO2. Das ist etwa die Menge Kohlendioxid, die ein durchschnittlicher Pkw auf 150.000 Kilometer ausstößt.

Stroh gibt es reichlich

Auch im Betrieb geht bei einem Strohhaus nur wenig Wärme verloren. Es ist - einfach ausgedrückt - doppelt so gut gedämmt, wie ein Passivhaus. Und genug Stroh gibt es auch. Laut Thüringer Landesamt für Landwirtschaft werden in Deutschland pro Jahr sieben Millionen Tonnen Stroh nicht für die Landwirtschaft gebraucht und wären frei für den Bau von Häusern. Bei einem Verbrauch von 50 Tonnen Stroh pro Haus könnten jährlich etwa 140.000 Strohballenhäuser gebaut werden.

Das spricht für das Bauen mit Stroh

  • Baustoff ist überall leicht verfügbar und günstig
  • Stroh wächst jedes Jahr nach
  • eine Tonne Stroh bindet 1,5 Tonnen CO2
  • Stroh dämmt hervorragend
  • In Verbindung mit Lehm erzeugt Stroh ein angenehmes Raumklima
  • Beim Abriss eines Hauses kann Stroh kompostiert werden
  • Bleibt Stroh trocken, ist es 100 Jahre und länger haltbar

Das spricht gegen das Bauen mit Stroh

  • Das Bauen mit Stroh ist nicht genormt wie beim klassischen Bauen "Stein auf Stein"
  • der sogenannte lasttragende Strohbau muss einzeln genehmigt werden
  • Prüfverfahren für den Baustoff sind noch aufwändig und teuer
  • Nicht alles Stroh kann zum Bauen genutzt werden, weil Stroh zur Erhaltung der Bodengesundheit auf den Äckern bleiben muss

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