VW: Anatomie eines Wirtschaftsverbrechens
Alles war detailliert geplant und vorbereitet - in diesen Tagen wollte der VW-Aufsichtsrat der Öffentlichkeit endlich einen Einblick geben, was die monatelangen Ermittlungen in der Abgasaffäre nun ergeben haben. Dann stoppte der Konzern plötzlich und "mit Bedauern" die Veröffentlichung, das Risiko sei zu hoch, die amerikanischen Behörden wollten das nicht, es könnte die komplizierten Verhandlungen erschweren.
Dabei sind die Ermittlungen weit vorangeschritten, manche im Konzern glauben gar, dass nun nicht mehr allzu viel Neues kommen werde. In den Akten der mit der Untersuchung beauftragten amerikanischen Anwaltskanzlei Jones Day finden sich umfangreiche Aussagen, darunter das als entscheidend eingestufte Geständnis des früheren Chefs des Bereichs Antriebselektronik, der als Kronzeuge gilt. Man habe mit den Befragungen viel Klarheit über die Abläufe bekommen, heißt es aus dem Umfeld des Unternehmens. Auch die Staatsanwaltschaft in Braunschweig sagt, es gehe "durchaus voran", einige der Beschuldigten hätten Aussagen gemacht, obwohl ihre Verteidiger die Ermittlungsakten zuvor nicht einsehen durften.
Beginn des Wirtschaftsverbrechens lässt sich auf den Tag genau datieren
Demnach lässt sich sogar der Beginn des Betrugs, der den Konzern an den Rand des Abgrunds gebracht hat und gerade erst zum höchsten Verlust in der Firmengeschichte führte, sogar auf einen Tag genau datieren. Es ist der 20. November 2006.
In Wolfsburg kommen an diesem Tag einige hochrangige VW-Mitarbeiter zu einer Besprechung zusammen, eine kleine Gruppe, Techniker und Ingenieure, unter ihnen die Topmanager der Motortechnik. In Schriftsätzen des Konzerns ist die Rede von "bestens qualifizierten Experten", so etwas wie eine technische Elitetruppe. Viele von ihnen verdienen weit über eine halbe Million Euro pro Jahr. Sie arbeiten an einem Dieselaggregat, das VW den Durchbruch auf dem US-Markt bescheren soll: dem Entwicklungs-Auftrag (EA) 189. Und sie stehen vor einem Problem: den strengen amerikanischen Abgasgrenzwerten. Ein Beamer wirft eine Präsentation an die Wand: eine Grafik mit Kurven, die den Testzyklus der amerikanischen Behörden veranschaulicht. Nur wer den übersteht, die strengen Grenzwerte einhält, bekommt die Zulassung auf dem Milliardenmarkt.
In der Zeit vor dieser Sitzung, so sagen die Teilnehmer später aus, habe Verzweiflung geherrscht, der Eindruck von Ausweglosigkeit. Die Kosten für die Abgasreinigung müssen gering bleiben. Gleichzeitig soll der Motor stark und sparsam sein - und die Grenzwerte der Amerikaner einhalten. Allen ist bewusst: Das neue Aggregat, das für viel Geld entwickelt worden ist, kann nicht alle Anforderungen erfüllen.
Bessere Abgaswerte für US-Markt werden nur durch Manipulation erreicht
Zwei Möglichkeiten bleiben den Managern. Sie könnten dem Vorstand melden: Es geht nicht, der Motor muss anders konzipiert werden - möglicherweise sogar das gesamte Auto. Dies wäre schwierig und teuer. Die VW-Manager wählen einen anderen Weg: Sie wollen dem Auto beibringen, einen Testzyklus zu erkennen, und so auf dem Prüfstand sauber zu bleiben - aber nur dort. Nötig dafür ist nur ein kleiner Eingriff in die hochkomplexe Motorsteuerungssoftware. Leicht zu machen, nicht teuer und ausgesprochen schwer zu entdecken in der Software mit Tausenden Algorithmen. Zwei Probleme sind damit scheinbar gelöst: Der Test wird bestanden und die Kosten bleiben niedrig. Nur: Dieser Weg ist streng verboten, das wissen alle.
Der damalige Chef der Motorenentwicklung, Rudolf Krebs, soll den Betrug gebilligt haben. "Wir tun es, aber wir dürfen uns nicht erwischen lassen", an diese Aussage von ihm erinnern sich Teilnehmer der Sitzung, er selbst jedoch nicht - genauso wenig wie an andere Details dieser Besprechung. Die Sorge, tatsächlich aufzufliegen, war aber auf jeden Fall eher gering. Die Teilnehmer wussten offenbar, dass es damals noch keine Technologie gab, um Abgase bei einer normalen Straßenfahrt zu messen. Deshalb hätten sich die Techniker zu dem Betrug "hinreißen" lassen, argumentierte VW unlängst.
Rudolf Krebs wird später Werksleiter in Salzgitter. 2010 schwärmte er gegenüber dem NDR von den angeblich ökologisch vorbildlichen VW-Motoren: "Was wir hier Jahr für Jahr betrieben haben, das ist die Reduzierung des Verbrauchs, eine Verbesserung der ökologischen Eigenschaften unserer Antriebe." Die Ermittlungsergebnisse lassen eher einen anderen Schluss zu: Jahr für Jahr haben die beteiligten VW-Manager einen großen Betrug betrieben und sogar weiterentwickelt. Es lässt sich inzwischen nachweisen, dass die beteiligten VW-Techniker ihre Software immer wieder anpassten. Auch ein Betrug braucht schließlich Modellpflege.
- Teil 1: Beginn des Wirtschaftsverbrechens lässt sich auf den Tag genau datieren
- Teil 2: Betrugssoftware ging in Serie
- Teil 3: US-Wissenschaftler decken falsche Abgaswerte auf