Alpha-E: Die wichtigsten Fragen und Antworten
Seit Jahrzehnten wird in Niedersachsen über das Bahn-Projekt „Alpha-E“ gestritten. Aber um was geht es genau? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
von Johannes Koch, Katharina Seiler
Um welche Bahnstrecke geht es?
Alpha-E bezeichnet einen Ausbau-Plan für mehrere Bahnstrecken im Dreieck Hamburg, Hannover, Bremen. Am meisten wird dabei aber über die Bahnstrecke Hamburg-Hannover gestritten. Diese Bahntrasse und ihr Aus- oder Neubau ist der zentrale Streitpunkt der vergangenen Jahrzehnte.
Was ist überhaupt das Problem?
Die Bahnstrecke Hamburg-Hannover gehört zu den meistbefahrenen Strecken Europas. Es ist die wichtigste Hinterlandanbindung des Hamburger Hafens und trägt einen Großteil des Personenverkehrs, der von Hamburg nach Süden geht. Auch für den internationalen Güterverkehr zwischen Nord- und Südeuropa ist die Strecke wichtig. Die Trasse ist aber seit Jahrzehnten überlastet und zu mehr als 100 Prozent ausgelastet. Das heißt, auf der Strecke fahren täglich mehr Züge, als die Strecke rechnerisch im Normalbetrieb aufnehmen kann. Die Lage könnte sich laut den Prognosen der Bahn in den kommenden Jahren noch verschärfen. Bis 2030 rechnet die Bahn mit fast doppelt so vielen Zügen auf der Strecke. Es herrscht also Handlungsbedarf.
Seit wann wird über die Strecke diskutiert?
Seit den 80er Jahren ist klar, dass die Kapazität der Bahnstrecken im Dreieck zwischen Hamburg, Hannover und Bremen nicht ausreicht. In den 90er Jahren plante die Deutsche Bahn daher eine neue Bahntrasse durch die Lüneburger Heide. Das Vorhaben hieß damals "Y-Trasse" und führte von Hannover aus über Walsrode sowohl nach Bremen als auch nach Hamburg. Doch entlang der geplanten Neubaustrecke durch die Heide formierte sich immer mehr Protest. Dieser hielt über Jahre an und hatte am Ende Erfolg. Ab 2010 schien die "Y-Trasse" auch wegen wirtschaftlicher Bedenken vom Tisch. Das Problem – zu wenig Kapazität auf den vorhandenen Bahnstrecken – blieb aber weiter bestehen.
Was ist Alpha-E?
2015 rief Niedersachsens damaliger Verkehrsminister, Olaf Lies (SPD), das "Dialogforum Schiene Nord" aus. Das Gremium aus kommunalen Vertretern, Experten und über 30 Bürgerinitiativen sollte eine Lösung für die überlasteten Bahnstrecken zwischen Hamburg, Hannover und Bremen finden. Über ein Jahr wurden verschiedene Streckenverläufe diskutiert. Am Ende stand ein Kompromiss. Er trug den Titel "Alpha-E". Demnach sollten mehrere bestehende Strecken ausgebaut werden. Für die Strecke Hamburg-Hannover bedeutete das: Es sollte ein drittes Gleis zwischen Lüneburg und Uelzen gebaut werden. Ein Erfolg für die Gegner einer Neubaustrecke. Das Abschlussdokument des Dialogforums wurde mehrheitlich getragen. Bahn und Bund unterzeichneten den Kompromiss ebenfalls. Doch schon damals gab es Kritik. Die Hansestadt Lüneburg und der Landkreis Lüneburg zum Beispiel waren schon damals gegen den Alpha-E-Kompromiss und befürchtet Nachteile durch mehr Bahnverkehr mitten durch die Stadt. Sie unterzeichneten das Abschlussdokument des "Dialogforums Schiene Nord" nicht.
Warum wurde Alpha-E bisher nicht umgesetzt?
Im Bundesverkehrsministerium geht man inzwischen davon aus, dass das 2015 entwickelte Alpha-E-Konzept nicht mehr ausreicht, um genug Kapazität auf der Bahnstrecke Hamburg-Hannover zu schaffen. Neue politische Zielsetzungen, wie der Deutschlandtakt – also ein deutschlandweit abgestimmter Fahrplan - und das Ziel, mehr Güter auf der Schiene zu transportieren, führen aus Sicht der Bahn dazu, dass ein im Alpha-E-Kompromiss vorgesehenes drittes Gleis zwischen Lüneburg und Uelzen nicht mehr ausreicht. Es braucht laut Bahn ein weiteres durchgehendes Gleis auf der gesamten Strecke. Auch das Bundesverkehrsministerium, sowie die Verbände Allianz pro Schiene und der Fahrgastverband Pro Bahn gehen davon aus, dass ein Ausbau der Bestandsstrecke nicht ausreichen wird, um die steigenden Fahrgastzahlen und den zukünftigen Güterverkehr zu bewältigen. Außerdem sei ein Ausbau der bestehenden Bahnstrecke nicht wirtschaftlich, das haben Berechnungen der Bahn ergeben.
Was spricht gegen einen Neubau der Strecke?
Der Ausbau der bestehenden Bahnstrecke sei die einzige realistische Möglichkeit das Problem zeitnah zu lösen, sagen die Befürworter der Alpha-E-Lösung. Durch einen Ausbau der vorhandenen Strecke würde die Umwelt deutlich weniger beeinträchtigt als bei einem Neubau. Außerdem würde ein Neubau viel länger dauern, meinen die Neubaugegner. Sie argumentieren außerdem, dass auch Anwohner der bestehenden Strecke von einem Ausbau profitierten. Denn Teil von Alpha-E soll auch ein umfassender Lärmschutz sein. Einige Mitglieder von Bürgerinitiativen zweifeln grundsätzlich die Zahlen der Bahn an, halten einen Ausbau in vielen Punkten für ausreichend und haben dafür eigene Gutachten anfertigen lassen.
Was spricht für einen Neubau der Strecke?
Aus Sicht der Bahn führt eigentlich kein Weg an einer Neubaustrecke vorbei. Eine Neubaustrecke sollte durch die Heide, entlang der Autobahn 7, führen. In den Berechnungen der Bahn ist nur diese Variante wirtschaftlich. Ein weiteres Argument der Befürworter einer Neubaustrecke ist die Möglichkeit, bei Störungen auf einer der beiden Strecke eine Ausweichstrecke zu haben. Außerdem würde sich laut Bahn die Anbindung von Städten wie Soltau oder Bergen durch eine Neubaustrecke deutlich verbessern. Laut Bahn wäre ein mehrspuriger Ausbau der bestehenden Strecke auch nicht leichter umzusetzen, als ein Neubau. Denn an vielen Stellen könne nicht einfach ein Gleis rechts oder links neben die bestehenden Gleise gelegt werden, es müssten alle Gleise verschoben werden. An Engstellen, wie dem Lüneburger Stadtgebiet, müssten außerdem Häuser der Strecke weichen. Und da die bestehende Strecke weiter gebraucht würde und nicht über Jahre für den Ausbau stillgelegt werden könne, wäre es ein Ausbau im laufenden Betrieb – das treibt aus Sicht der Bahn die Baukosten in die Höhe.
Und wie geht es jetzt weiter?
Unabhängig von einer Entscheidung über eine Neubautrasse wird die Bestandsstrecke Hannover – Hamburg in den kommenden Jahren zwei Mal komplett gesperrt und dabei grundsaniert. Ein erstes Mal für 10 Wochen im Jahr 2026 und dann ein zweites Mal 2029 für fünf Monate. In dieser Zeit sollen einige Punkte von Alpha-E umgesetzt werden. Zum Beispiel mehr Weichen und Signale, damit auf einem Abschnitt Züge in kürzeren Abständen fahren und sich gegenseitig ausweichen können. Auch Bahnsteige sollen saniert werden und teilweise stillgelegte Gleise reaktiviert werden. Der Bau eines weiteren Gleises zwischen Lüneburg und Uelzen, wie bei „Alpha-E“ vorgesehen, ist aber nicht geplant. Die Bahn geht davon aus, dass die Züge nach der Generalsanierung pünktlicher fahren werden. Mehr Züge würde die Strecke aber danach nicht bewältigen können. Darum hält die Bahn eine zusätzliche Neubautrasse für unvermeidbar. Mit einer Entscheidung wird gerechnet, wenn Anfang nächsten Jahres die Verkehrsprognose vorliegt.