"Praxisschock" im Lehramt: GEW für Reform des Referendariats
Tausende Lehrkräfte fehlen in Niedersachsens Schulen, wenn am Donnerstag der Unterricht beginnt, warnt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie sieht besonderen Reformbedarf bei der Ausbildung.
Etwa 8.000 Lehrkräfte sind es, die nach Einschätzung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Niedersachsens Schulen zusätzlich gebraucht würden. Außerdem fehlten rund 3.000 weitere Beschäftigte im schulischen Bereich. Die GEW hat die Zahlen am Montag in Hannover vorgestellt. Auch im neuen Schuljahr ist also mit gehäuften Unterrichtsausfällen zu rechnen.
Immer weniger Referendare
Ein Grund für den Fachkräftemangel an Niedersachsens Schulen: Es gibt immer weniger Referendarinnen und Referendare für den Lehrerberuf. Nach Angaben der GEW durchlaufen aktuell rund 3.630 Personen den Vorbereitungsdienst. Das sind knapp 270 junge Lehrkräfte weniger als im Vorjahr - und rund 650 weniger als noch 2021. Das 18-monatige Referendariat schließt sich an das Studium an und soll auf die Tätigkeit im Klassenraum vorbereiten.
GEW: "Unzufriedenheit und Überforderung"
"Offenbar wird es zunehmend unattraktiver, in den Vorbereitungsdienst einzutreten", sagte der GEW-Landesvorsitzende Stefan Störmer. Er stelle zudem fest, "dass die zeitliche und psychische Belastung im Referendariat zu Unzufriedenheit und Überforderung führen". Die GEW fordert daher ebenso wie der Deutsche Philologenverband Reformen bei der Ausbildung der Lehrkräfte.
"Praxisschock" im Referendariat
Der Schritt von der Uni ins Referendariat fällt vielen jungen Lehrkräften schwer. Das verdeutlicht ein Stimmungsbild, das die GEW unter mehr als 400 Referendaren und rund 200 Berufseinsteigern eingeholt hat. 84 Prozent der befragten Referendarinnen und Referendare gaben demnach an, dass das Studium zu wenig auf die Herausforderungen in der Schulpraxis vorbereite ("trifft überwiegend zu"/"trifft vollkommen zu"). "Uns wird immer wieder von einer Art Praxisschock zu Beginn des Referendariats berichtet, was in der Folge zu psychischen Belastungen führt", so Störmer.
Ein Drittel beklagt Angstzustände
Doch die Belastungen scheinen auch im Laufe des Referendariats nicht nachzulassen. Studierende und Lehrerverbände kritisieren das schon seit Jahren, eine Lehramtsanwärterin sprach im Juni gegenüber dem NDR Niedersachsen von einer "harschen Kritikkultur" im Referendariat. In dem GEW-Stimmungsbild beklagten 36 Prozent der Befragten häufig oder sehr häufig Angstzustände, wenn sie an ihren Vorbereitungsdienst denken. Nur knapp die Hälfte der Befragten kann sich vorstellen, bis zur Rente mit 67 als Lehrkraft zu arbeiten.
Philologenverband für längere Ausbildung
Der Deutsche Philologenverband in Niedersachsen hat bereits einen Reformvorschlag ins Gespräch gebracht: Das Referendariat solle von 18 auf 21 Monate verlängert werden. "Wir können nicht mehr mit 18 Monaten das leisten, was junge Lehrkräfte brauchen, wenn sie in die Schule gehen müssen", sagte der Verbandsvorsitzende Christoph Rabbow dem NDR Niedersachsen. Er selbst bildet seit 20 Jahren Referendarinnen und Referendare aus.
"Großer Packen dazugekommen"
Das Problem, so Rabbow, sei die Masse an Inhalten im Referendariat. "Es ist alles verdichtet, aber es ist ja noch ein großer Packen dazugekommen: Digitalisierung, Transformation, heterogene Lerngruppen, binnendifferenziert arbeiten und inklusive Beschulung." Rabbow ist überzeugt: "Wir können die Unterrichtsversorgung nur verbessern, wenn wir an der Stellschraube 'Referendariat' drehen."
GEW für mehr Praxisbezug
Wenn es nach der GEW geht, müsste das Referendariat praxisorientierter werden. "Wir brauchen eine Abkehr von der Prüfungsorientierung des Referendariats, hin zu einem Coaching der angehenden Lehrkräfte durch die Studienseminare", forderte der GEW-Vorsitzende Stefan Störmer. Insgesamt solle nach dem fünfjährigen Studium nur noch eine dreijährige Einführungsphase folgen. Dieser Vorschlag würde den bisherigen Ablauf um eineinhalb Jahre verkürzen.
Kultusministerin will Anreize schaffen
Die niedersächsische Landesregierung hat angekündigt, die Lehramtsausbildung reformieren zu wollen. Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) sagte dem NDR Niedersachsen: "Wir werden uns anschauen, wie wir das Studium besser organisieren und auch praxisnäher gestalten können." Eine bessere Begleitung der Referendarinnen und Referendare könne dabei helfen, die Belastungen zu senken. Zudem verwies die Ministerin darauf, dass die Bezahlung für Grund-, Haupt-, und Realschullehrkräfte angehoben wird, um den Beruf attraktiver zu machen.