Lehrermangel im Norden: Wie ist die Lage in Niedersachsen?
Seit dreieinhalb Monaten hat Niedersachsen eine neue Landesregierung. Wie will Kultusministerin Julia Willie Hamburg von den Grünen die Unterrichtsversorgung im Land langfristig verbessern?
Den Vertretungsplan für die IGS Roderbruch in Hannover bezeichnet Schulleiter Matthias Aschern als professionelle Mangelbewirtschaftung - 24 Seiten lang sei er im vergangenen Winter zwischenzeitlich gewesen. Zusätzlich wird Unterricht zusammengestrichen: "Dass wir in Musik im Jahrgang sieben auf eine Stunde gekürzt haben, zwei wären da eigentlich angesagt, genauso sieht es mit Kunst aus in Jahrgang acht. In Jahrgang neun fällt der Kunstunterricht ganz aus", berichtet Aschern.
Wie dem Personalmangel begegnen?
Dabei seien die musischen Fächer sehr wichtig für eine ganzheitliche Bildung, so der Schulleiter. Im Schnitt liegt die Unterrichtsversorgung in Niedersachsen bei 96,3 Prozent - der schlechteste Wert der vergangenen 20 Jahre. Ideal wäre ein Wert um 107 Prozent, findet Angelika Meyer vom niedersächsischen Schulleitungsverband SLVN, denn: "selbst mit einer 100-prozentigen Unterrichtsversorgung wären wir maximal auf Kante genäht. Dann wäre noch nicht geklärt, was mit der Kollegin ist, die in Elternzeit ist und nicht da ist, was ist mit Kollegen, die krank sind."
Mitte März will sich Kultusministerin Julia Willie Hamburg mit Lehrerverbänden treffen, um über den Personalmangel an den Schulen zu sprechen. Zuletzt hatte eine Grundschule im niedersächsischen Wiefelstede angekündigt, nur noch vier Schultage pro Woche leisten zu können. Das Kultusministerium schritt ein, nun werden dort zunächst Klassen zusammengelegt. Die Idee, Klassen zu vergrößern, sieht Ministerin Hamburg aber kritisch - das soll es also zunächst nicht geben. Sie will den Schulen aber ermöglichen, Hilfspersonal einzustellen.
Forderung: Auf Quereinsteiger*innen setzen
"Wir können die Lehrerstellen, die wir wir nicht besetzen, mit anderem Personal besetzen. Weil wir dann wenigstens Lehrkräfte von Aufgaben entlasten, die sie derzeit on top noch leisten müssen. Das ist keine schöne Maßnahme. Sie ersetzt ja nicht die Lehrkraft, aber sie unterstützt zumindest die Lehrkräfte, die wir im System haben", so Hamburg. SLVN-Vorständin Angelika Meyer fällt auch direkt ein Bereich ein, wo das helfen könnte: "Der berühmt-berüchtigte PC-Raum kann von anderen Personen verwaltet werden. Das hilft enorm. Damit haben wir Stunden von ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen im Unterricht."
Der Oppositionsführer im niedersächsischen Landtag, Sebastian Lechner von der CDU fordert, mehr auf Quereinsteiger zu setzen. Rund 950 Lehrkräfte hat das Land zum zweiten Schulhalbjahr eingestellt - 66 von ihnen sind Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger. Lechner hält das für ausbaufähig, auch wenn er die Vorbehalte kenne: "Ich kenne die Kritik und Vorbehalte gegenüber Quereinsteigern, aber eine Unterrichtsstunde, von einem Quereinsteiger, der am besten auch noch pädagogisch geschult ist oder der pädagogische Vorbildung mitbringt, ist immer noch besser als gar keiner."
Anreize schaffen: Bessere Bezahlung
Malte Kern vom Landesschülerrat kritisiert, dass auch die Prüfungs- und Abitur-Vorbereitung unter dem Mangel leide: "Wenn die Unterrichtsversorgung seit Jahren sinkt, kann man ja nicht mehr davon sprechen ob man besser oder schlechter vorbereitet hat, sondern einfach nur, so gut es geht." Kern kritisiert, dass andere Bundesländer Lehrkräfte abwerben würden, etwa weil sie besser bezahlten.
Die niedersächsische Landesregierung plant zwar, künftig auch Grund-, Haupt- und Realschullehrkräften ein Einstiegsgehalt von A13 zu zahlen - allerdings erst ab 2024, und dann womöglich stufenweise. Schnell beheben lässt sich der Mangel aus Sicht von der Kultusministerin Hamburg ohnehin nicht - sie rechnet damit, dass er die Schulen noch mindestens 10 Jahre beschäftigen wird. Die Ständige Wissenschaftskommission der Kultusministerkonferenz rechnet sogar mit 20 Jahren.