Panik vor dem Unterricht: Das unterschätzte Problem Schulangst
Ein starker Leistungsdruck oder Mobbing können dazu führen, dass Kinder und Jugendliche Schulangst entwickeln - und nicht mehr zum Unterricht gehen. Auch bei Pia aus dem Landkreis Harburg war es so.
Dieses Gefühl vergisst Pia nie: Sie sitzt im Auto auf dem Schulparkplatz, kurz bevor der Unterricht beginnt. Aber sie kann nicht aussteigen. "Ich konnte mich nicht bewegen in diesem Moment. Ich konnte nicht rüber greifen und den Türgriff in die Hand nehmen", erzählt die 16-Jährige. Pia hat Schulangst. Es fängt an, als sie von der Grundschule auf das Gymnasium wechselt. Schon morgens wacht sie mit Bauchschmerzen auf, hat Panik vor der Schule. In ihrer Klasse fühlt sie sich unwohl, Referate und Gruppenarbeiten lösen Stress aus.
Betroffene meiden häufig den Unterricht
Außerdem setzt sie sich selbst unter Druck: "Dieser Stress, dass ich immer top performen muss, dass ich immer alles richtig haben muss, dass ich immer gute Noten haben muss." Pia wird alles zu viel, ein halbes Jahr lang geht sie nicht mehr zur Schule. Eine Entscheidung, die viele betroffene Kinder und Jugendliche treffen, wenn die Angst zu groß wird. Neben Leistungsdruck ist Mobbing häufig ein Auslöser für die Angst vor der Schule. Es gibt keine belastbaren Zahlen dazu, wie viele Kinder und Jugendliche unter Schulangst leiden.
Schulangst laut Therapeuten ein großes Problem
"Ich schätze das Problem sehr groß ein - größer, als zugegeben wird", sagt Heiko Borchers von der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung. Schulangst sei keine medizinische Diagnose, sondern gehe häufig mit anderen Krankheiten einher, wie Depressionen oder sozialen Phobien, erklärt Rebecca Knoche, Chefärztin für Kinder- und Jugendpsychosomatik an der Seeparkklinik in Bad Bodenteich (Landkreis Uelzen): "Viele Patienten bringen schon eine Anlage mit, sind zum Beispiel schon immer ein eher ängstlicher Mensch." Zur Angst kämen häufig körperliche Beschwerden wie Bauch- oder Kopfschmerzen.
Corona hat Ängste verstärkt
Schulangst unterscheidet sich von Schulverweigerung: Kinder, die den Unterricht schwänzen, weil sie keine Lust haben. Und von Schulphobie, einer Form von Trennungsangst. Laut Kinderschutzbund haben im Schuljahr 2022/2023 knapp 6.000 Kinder und Jugendliche in Niedersachsen die Schule ohne Abschluss verlassen. Dabei sei häufig Schulangst die Ursache. Kinder, die Angst haben, könnten schlechter lernen, kritisiert Daniela Rump, Vorsitzende des Kinderschutzbundes in Niedersachsen. Während der Corona-Pandemie habe sich das Problem deutlich verschärft, beobachtet der niedersächsische Schulleitungsverband und fordert mehr Personal für die Schulsozialarbeit.
Betroffene Kinder und Jugendliche brauchen Unterstützung
Pia hat den Weg zurück in die Schule geschafft. Nach mehreren Schulwechseln geht sie jetzt in die zehnte Klasse einer Oberschule. Ihre Familie hat sie unterstützt, sie hatte Freunde an ihrer Seite, Hilfe von einer Sozialpädagogin und war in therapeutischer Behandlung. "Ich glaube, dass die Schulangst nie weg sein wird. Sie wird immer ein bisschen da sein. Aber ich habe gelernt, sie zu kontrollieren und zu wissen, wie ich mit ihr umgehen kann", so die 16-Jährige. Mittlerweile macht Schule Pia wieder Spaß.