Nach Freispruch für Eltern aus Goslar: Auch Ex-Freundin unschuldig?
Das Landgericht Braunschweig hat am Donnerstag ein Ehepaar aus Goslar in einem neu aufgerollten Missbrauchsprozess vom Vorwurf schwerer Straftaten an der Tochter freigesprochen. Nun beantragt ein Anwalt, dass ein weiterer Fall in diesem Zusammenhang neu verhandelt wird.
Es geht dabei um die Ex-Freundin des vermeintlichen Opfers. Sie hatte vor zwei Jahren den schweren sexuellen Missbrauch an der jungen Frau gestanden. Dafür war sie vom Landgericht Braunschweig zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und fünf Monaten verurteilt worden, die sie zurzeit absitzt. Wenn dieses Verfahren ebenfalls neu aufgerollt würde, müsste geklärt werden, ob die Ex-Freundin damals ein falsches Geständnis abgelegt hatte und die schweren Vorwürfe gegen sie der Wahrheit entsprachen oder nicht.
Ex-Freundin laut Richterin "unschuldig"
Die Vorsitzende Richterin am Landgericht Braunschweig, Petra Bock-Hamel, die das jüngste Urteil im Prozess gegen das Ehepaar gefällt hat, hält die Ex-Freundin der Tochter für "unschuldig". "Das Ganze ist ein riesiger Komplex", sagte Bock-Hamel bei der Urteilsverkündung. Zuerst hatte der "Spiegel" darüber berichtet. "Alles hängt miteinander zusammen." Nach Überzeugung der Kammer seien "alle Vorwürfe gegen alle Personen falsch", so Bock-Hamel. Das Geständnis der Ex-Lebensgefährtin der Tochter sei ein Deal gewesen, um ein geringeres Strafmaß zu erlangen.
Ermittler hat früh Zweifel an den Aussagen der Tochter
Auch der seinerzeit ermittelnde Kriminalhauptkommissar der Polizei Goslar äußerte früh Zweifel am Wahrheitsgehalt der Vorwürfe, die die Tochter erhoben hatte. So habe die Handykommunikation der Tochter nicht zu den behaupteten Taten gepasst. Es seien keine Hinweise gefunden worden, dass sich Menschen, die sie gemeinsam vergewaltigt haben sollen, überhaupt kannten. Alle Ermittlungsergebnisse hätten komplett gegen die Version der Tochter gesprochen, sagte Richterin Bock-Hamel. Im ersten Prozess gegen das Ehepaar war dem Beamten Einseitigkeit und fehlende Empathie mit dem vermeintlichen Opfer vorgeworfen worden. Das Gericht hatte im Urteil die Polizeiarbeit ungewöhnlich deutlich kritisiert und die Opfer-Erzählung der Tochter für zweifelsfrei glaubwürdig gehalten.
Polizeigutachten liegt der Staatsanwaltschaft vor
Nach Informationen von NDR Niedersachsen liegt der Staatsanwaltschaft Braunschweig seit Oktober 2023 ein 200-seitiges Gutachten der Polizei vor. Darin soll detailliert aufgeführt sein, warum die massiven Vorwürfe der Tochter nicht der Wahrheit entsprechen konnten. Auf Anfrage hieß es von der Staatsanwaltschaft, die Vorgänge würden jetzt geprüft.
Hohe Hürden für eine Wiederaufnahme
Einen Fall neu zu verhandeln, in dem es schon ein rechtskräftiges Urteil gibt, das ist in Deutschland juristisch allerdings schwierig. Denn alle Beteiligten sollen die Sicherheit haben, dass ein Urteil Bestand hat und keine weiteren Auseinandersetzungen mehr stattfinden. Deshalb müssen für Wiederaufnahmeverfahren ganz bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Laut Strafprozessordnung ist eine Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten etwa möglich, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel auftauchen, die die Unschuld des Verurteilten beweisen können.
Landgericht Göttingen nun zuständig
Zuständig für die Entscheidung in diesem Wiederaufnahmeverfahren ist jetzt das Landgericht Göttingen. Dort muss nun geprüft werden, ob der Antrag zulässig und begründet ist. Wenn das Gericht dem Antrag zustimmt, wird die Große Strafkammer des Landgerichts Göttingen eine neue Hauptverhandlung eröffnen. In diesen Fall werde das nach Angaben einer Sprecherin voraussichtlich noch in diesem Jahr geschehen. In einer erneuten Hauptverhandlung überprüft das Gericht nicht das frühere Urteil, sondern trifft eine eigenständige neue Entscheidung. Die Ex-Freundin kann in dieser Entscheidung aber nicht schwerer bestraft werden als im früheren Urteil, sollte das Gericht erneut ihre Schuld feststellen.