Tochter als Sexsklavin missbraucht? Neue Ermittlungen nach Urteil
Nach dem Urteil gegen ein Ehepaar aus Goslar gehen die Ermittlungen weiter. Weitere Personen sollen sich an Vergewaltigungen und Folter beteiligt haben. Ermittelt wird auch gegen einen Polizisten.
Was in Goslar und Umgebung laut Urteil des Landgerichts Braunschweig passiert ist, ist in vielerlei Hinsicht besonders. Es geht um grauenhafte Taten: Ein Ehepaar soll die Tochter wie eine Sexsklavin gehalten und ihr Gewalt angetan haben. Es geht um eine traumatisierte 25 Jahre alte Frau und ihre Aussage, auf die das Gericht das Urteil im Wesentlichen stützte. Nach Informationen des NDR in Niedersachsen und von der "Braunschweiger Zeitung" laufen weitere Ermittlungen gegen weitere mutmaßliche Täterinnen und Täter. Auch gegen einen Polizeibeamten wird ermittelt, wie die Staatsanwaltschaft nun sagt - wegen des möglichen Verrats von Dienstgeheimnissen. Zu Details wollte sich der Sprecher der Behörde mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht äußern. Und noch etwas ist besonders: Selten wird Kritik an der Arbeit der Polizei so öffentlich wie in diesem Fall.
Kritik der Staatsanwaltschaft
"Wir hoffen natürlich immer, dass die Ermittlungen optimal geführt werden, das liegt natürlich zum einen an uns, zum anderen auch an der Polizei. In diesem Fall hat die Zusammenarbeit nicht ganz so gut geklappt", sagte Christian Wolters, Sprecher der Staatsanwaltschaft Braunschweig, auf NDR Nachfrage. "Wir hoffen, dass die weiteren Ermittlungen jetzt tatsächlich so geführt werden, wie sich das alle Beteiligten wünschen: vertrauensvoll, vor allem sehr seriös und gründlich und objektiv. Das hat in der Vergangenheit etwas gefehlt."
Was war passiert?
Die Kritik richtet sich vor allem gegen einen erfahrenen Kriminalhauptkommissar und dessen Team. Voreingenommen und schlampig seien die Ermittlungen gewesen - so sagte es Oberstaatsanwältin Vanessa Beyse Ende Juni in ihrem Plädoyer in der öffentlichen Hauptverhandlung. Sie führte mehrere Beispiele an: Asservate seien nicht zur Prüfung ins Landeskriminalamt geschickt, Berichte nicht gelesen und Fakten nicht gecheckt worden. Stattdessen habe der Ermittlungsführer der Nebenklageanwältin und der Oberstaatsanwältin vorgeworfen, "gemeinsame Sache" gegen die Angeklagten zu machen - eine Unverschämtheit sei diese verleumderische Unterstellung gewesen. Ihre Kritik gelte nicht der gesamten Polizei, sondern diesem Einzelfall.
Auswirkungen auf das Opfer
Die Anwältin des Opfers, Gabriele Rieke, sagte nach dem Urteil: "Es wurden absurde Sachen ermittelt, andererseits Wichtiges, das naheliegend war, nicht ermittelt. Ich kann mir das nicht erklären." Belastend sei für ihre Mandantin gewesen, dass die Täterin ihrer Tochter immer eingebläut hätte, die Polizei werde ihr eh nicht glauben. "Es war für uns noch mal schwieriger als es ohnehin gewesen wäre, wenn man eine Polizei gehabt hätte, die das getan hätte, was ihre Aufgabe ist: Nämlich einfach nur Tatsachen zu ermitteln, ohne selbst zu werten."
Suche nach dem Motiv
Gab es ein Motiv für die eigenwilligen, entkoppelten Ermittlungen der Polizeibeamten und wenn ja, welches könnte das sein? Antworten werden - möglicherweise - die Aufarbeitung des Falles in der übergeordneten Polizeidirektion Braunschweig oder weitere Ermittlungen bringen. Die Polizeiinspektion Goslar musste den gesamten Komplex an Kolleginnen und Kollegen in Wolfsburg-Helmstedt abgeben. "Die Entscheidung war zu diesem Zeitpunkt richtig, da jedem Anschein einer Kritik, die gebotene Neutralität polizeilicher Ermittlungen könnte tangiert sein, entgegenzuwirken war", erklärte Polizei-Vizepräsident Roger Fladung.
Polizei hatte Zweifel an der Glaubwürdigkeit
Zentrale Frage von Beginn an war - wie so oft bei Fällen sexueller Gewalt - die Glaubwürdigkeit der heute 25-jährigen, schwer traumatisierten Frau. Der Ermittlungsführer der Polizei Braunschweig kam mit seinem Team offensichtlich früh zu dem Schluss, dass ihre Vorwürfe nicht stimmen könnten und sie selbst den Missbrauch gemeinsam mit einer anderen Frau inszeniert habe. Beide hatten sich in der Psychiatrie kennengelernt. Ein möglicher Grund für die Skepsis der Ermittler: Die Vorwürfe haben monströse Dimensionen. Zudem gab es eine Kommunikation zwischen Mutter und Tochter, die in vermeintlichen, aber letztlich erklärbaren Widerspruch zum geschilderten Horror steht. Doch unterlassene Ermittlungsschritte - kann das sein? Auch das Gericht kritisierte im Urteil die Polizeiarbeit ungewöhnlich deutlich. Es kam zu einem eindeutigen Schluss: Das Opfer ist glaubwürdig, die Schilderungen ohne Belastungstendenzen. Das psychiatrische Gutachten über die junge Frau ließe keinen Zweifel, es gebe Sachbeweise, die die Aussagen stützten.
Hohe Haftstrafen durch das Landgericht Braunschweig
Mutter Ramona R. muss für mindestens 13,5 Jahre in Haft - so das Urteil - und es verhängte das schärfste Schwert der Justiz: Sicherungsverwahrung. Das bedeutet: Frühestens in 23 Jahren wird entschieden, ob Ramona R. wieder entlassen wird. Sie sei aufgrund ihrer sexuellen sadistischen Neigungen eine bleibende Gefahr, heißt es in dem Urteil. Thorsten R. bekam 9,5 Jahre Haft. Die Urteile sind nicht rechtskräftig, sowohl Staatsanwaltschaft als auch Ramona R. haben Revision eingelegt. Konkret ging es um 19 Übergriffe in den Jahren 2020 und 2021.
Polizeidirektion kündigt an, Kritik aufzuarbeiten
In der Reihen den Polizei ist man zum Teil verwundert über die Vehemenz der Kritik. Auch gegenüber dem Innenministerium musste sich die Polizeiführung erklären. Die Polizeidirektion schreibt auf Nachfrage von NDR und Braunschweiger Zeitung, auf konkrete Fragen könne erst später, nach der internen Aufarbeitung und der Anhörung aller Beteiligten, geantwortet werden.
Hinweis der Redaktion: Der Artikel gibt Kenntnisstand und Aussagen vom 12. Juli 2023 wieder.