LNG-Terminal Wilhelmshaven: Umstrittenes Gutachten zum Chlor

Stand: 28.02.2023 16:30 Uhr

Vor Wilhelmshaven wandelt der Energiekonzern Uniper mit einem Spezialschiff Flüssiggas um und speist es ins deutsche Leitungsnetz ein. Dabei gelangt Chlor ins Wattenmeer - angeblich sei das ungefährlich. Nach Panorama 3 Recherchen basiert die Genehmigung des Umweltministeriums aber offenbar hauptsächlich auf einem von Uniper bezahlten Gutachten.

Das Wasser des Wattenmeeres vor Wilhelmshaven steckt voller Leben. Und Deutschland hat sich im Zuge der europäischen Meeresstrategierahmenrichtlinie verpflichtet, das Meer und das Leben darin zu schützen. Doch für die Umwandlung von gekühltem Flüssiggas in seine ursprüngliche Form sind die Kleinstlebewesen im Meer ein Problem.

Harmlose Substanzen oder gefährlicher Chemie-Cocktail?

Denn für diesen Vorgang wird Wasser aus dem Wattenmeer eingesetzt. Mit ihm gelangen Algen und Kleinstlebewesen an Bord des LNG-Spezialschiffes "Höegh Esperanza" vor Wilhelmshaven. Damit die sich nicht an die Innenseite der Schiffsrohre heften und sie verstopfen, werden sie mithilfe von Chlor abgetötet. Am Ende gelangt die Mischung aus Meerwasser, abgetöteten Algen und Kleinstlebewesen sowie Chlor zurück ins Wattenmeer.

Thomas Raabe. © NDR
Hält das Verfahren für das Wattenmeer für unbedenklich: Thomas Raabe.

Das sei für die Flora und Fauna völlig unbedenklich, so Thomas Raabe. Er ist Diplom-Chemiker und arbeitet mit seiner Firma AquaEcology auch als Gutachter für die Privatwirtschaft. Er hat im Auftrag des Betreibers Uniper die Auswirkungen des Verfahrens für die Umwelt geprüft. Schon jetzt belasteten viele Schadstoffe das Wattenmeer, räumt der Gutachter ein. Doch er kommt zu dem Schluss: Die Schadstoffe, die über die "Höegh Esperanza" hinzukämen, seien nicht so entscheidend.

Anders sieht das die Schadstoffexpertin Gesine Witt. Entscheidend für die Umweltgefahr sei nicht nur der einzelne Schadstoff, der ins Meer eingeleitet wird, sondern auch der chemische Cocktail, der beim Mix mit bereits vorhandenen Schadstoffen entsteht. "Wenn Schadstoffe dazukommen, kann ihre Summe giftiger wirken als die Einzelstoffe. Es ist auch möglich, dass die eingeleiteten Stoffe mit bereits vorhandenen reagieren und neue Stoffe bilden, die unter Umständen gefährlicher sind als das, was eingeleitet wird", sagt sie gegenüber Panorama 3. Die Studien, die Raabe von der Firma AquaEcology für sein Gutachten herangezogen hat, hält sie teilweise für ungeeignet - eine davon beziehe sich als Beispiel dafür, wie Schadstoffe abgebaut werden, auf Ackerböden und nicht auf das Meer, kritisiert sie.

Prof. Gesine Witt © NDR
Ist von der Ungefährlichkeit nicht überzeugt: Gesine Witt.

Vor allem aber habe Raabe einige wichtige Studien in seinem Gutachten gar nicht berücksichtigt. Sie besagen, dass sich Schadstoffe rund um ein Regasifizierungsschiff in Frankreich und Italien in Fischen und Muscheln angereichert hätten. Gutachter Raabe hält eine Anreicherung von Schadstoffen in Meerestieren rund um das LNG-Terminal in Wilhelmshaven hingegen für unwahrscheinlich. Ebenfalls kritisiert Witt, dass der Zeitraum des Uniper-Gutachtens viel zu kurz gewählt sei, dort habe man nur Auswirkungen über zwölf Wochen berücksichtigt, die Anlage soll aber länger laufen.

Alfred-Wegener-Institut: Wattenmeer bereits an Belastungsgrenze

Gestützt wird ihre Kritik auch von Matthias Brenner vom Alfred-Wegener-Institut. Das Wattenmeer sei bereits an seinen Belastungsgrenzen angelangt. Sich - wie in behördlichen Genehmigungen oft üblich - nur Einzelstoffe anzuschauen und nicht das Zusammenwirken der Schadstoffe im Meer, hält er für falsch.

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Der niedersächsische Umweltminister Christian Meyer © NDR
Schließt sich dem Gutachten an: Christian Meyer.

Der niedersächsische Umweltminister Christian Meyer (Die Grünen) hingegen übernimmt die Einschätzung des Uniper-Gutachters bislang. Im Dezember sagte er dem NDR, Studien würden zeigen, dass man trotz der Einleitungen deutlich unter den Grenzwerten sei. Nach Panorama 3 Recherchen wird nun klar, dass sich das Ministerium dabei offenbar ausschließlich auf zwei Gutachten von Uniper verlassen hat.

Trotzdem werde noch ein intensives, gewässerökologisches Monitoring gemacht, versucht der Umweltminister zu beruhigen. Nach Panorama 3 Recherchen wird auch dieses Monitoring über die von Uniper beauftragte Firma AquaEcology durchgeführt.

Wissenschaftlerin Witt plädiert dafür, dass mögliche Auswirkungen der Chloreinleitungen unabhängig überprüft würden und nicht im Auftrag desjenigen, der das Schiff einsetzen und das Chlor einleiten möchte. Das niedersächsische Umweltministerium will dennoch das Ergebnis von Raabes Untersuchung abwarten. Die Kritik der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an dem Uniper-Gutachten sei "aus unserer Sicht nicht belegbar", schreibt das Ministerium auf unsere Fragen. Auch Gutachter Raabe wehrt die Kritik der Wissenschaftler ab. Er bleibe bei seiner Einschätzung und seine Firma sei auch kein "Gefälligkeitsbüro für Uniper", sagt er.

Alternative: Ultraschalltechnik

Nach Informationen von Panorama 3 soll bei einem zweiten Flüssiggasschiff, das im Herbst in Wilhelmshaven den Betrieb aufnehmen soll, eine andere Methode eingesetzt werden, bei der Schadstoffeinleitungen ins Meer entfallen. Stattdessen komme eine moderne Ultraschalltechnik zum Zug. Der Einbau wurde bereits bei einem Kieler Unternehmen in Auftrag gegeben, bestätigte das Unternehmen TES als Betreiber des Schiffs gegenüber Panorama 3. Eigentümer des zweiten Schiffs ist das Unternehmen Excelerate.

Immerhin prüft das Unternehmen Uniper auf dem bereits existierenden Flüssiggas-Schiff ebenfalls Alternativen, teilt es mit. Allerdings gilt laut Unternehmen die Elektrochlorierung - also die Reinigung der Rohrleitungen mithilfe von Chlor - im Moment "eindeutig als bestverfügbarerer Stand der Technik", schreibt es auf Anfrage.

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Panorama 3 | 28.02.2023 | 21:15 Uhr

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