Depressionen und Ängste: Arbeitnehmer fallen so oft aus wie nie
Wegen psychischer Erkrankungen wie Depressionen und Ängste haben Arbeitnehmer in Niedersachsen 2023 so oft wie nie im vergangenen Jahrzehnt gefehlt. Einer DAK-Auswertung zufolge trifft es besonders eine Altersgruppe.
Statistisch gesehen seien im vergangenen Jahr auf 100 Versicherte 342 Fehltage im Job gekommen, teilte die Krankenkasse DAK-Gesundheit mit. 2022 waren es demnach 307 Tage, 2013 noch 217 Fehltage je 100 Versicherte. Das bedeute einen Anstieg um 58 Prozent im vergangenen Jahrzehnt. Der neue Höchststand sei "besorgniserregend", sagte der niedersächsische DAK-Landeschef Dirk Vennekold. "Beschäftigte dürfen nicht Gefahr laufen, eines Tages verfrüht ausgebrannt zu sein und aussteigen zu müssen."
Anstieg bei jungen Menschen am stärksten
Vor allem Depressionen und sogenannte Anpassungsstörungen infolge belastender Ereignisse und Lebenssituationen sorgten 2023 für Ausfälle, heißt es in der Auswertung. Besonders hoch sei der Anstieg bei den jüngeren Altersgruppen gewesen. Demnach stieg die Zahl der psychisch bedingten Fehltage bei erwerbstätigen Frauen zwischen 15 und 19 Jahren um 46 Prozent auf 15,8 Krankschreibungen je 100 Versicherte, bei den männlichen Beschäftigten dieser Altersgruppe um 43 Prozent auf 8,5 Krankschreibungen. Bei den 20- bis 24-jährigen Frauen waren es der DAK zufolge 16,1 Krankschreibungen je 100 Versicherte, bei den Männern 10,0 Krankschreibungen.
Eine Branche sticht bei Ausfällen heraus
Bei den Fehltagen wegen psychischer Erkrankungen liege Niedersachsen sechs Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Psychische Erkrankungen lagen laut Auswertung 2023 auf dem dritten Rang der Ursachen für den Krankenstand - hinter Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems und des Atmungssystems. "Wir müssen am Arbeitsplatz den Fragen der seelischen Gesundheit mehr Beachtung schenken", forderte DAK-Landeschef Vennekold. Von den Ausfallzeiten wegen psychischer Erkrankungen waren der DAK-Untersuchung zufolge nicht alle Branchen gleichermaßen betroffen: Vor allem die öffentliche Verwaltung ragte mit 448 Fehltagen je 100 Versicherte heraus. Dicht gefolgt vom Gesundheitswesen mit 444, wobei die Anzahl der Fehltage in dieser Branche der Auswertung zufolge seit 2021 auf ähnlich hohem Niveau liegt. Die wenigsten Fehltage je 100 Versicherte gab es in der Nahrungsmittel- und Genussmittelbranche: Dort waren es 151.
Fachkräftemangel, Arbeitsverdichtung und Zeitmangel
Diplom-Psychologe Fredi Lang vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen sieht mehrere mögliche Faktoren, aufgrund derer einige Branche überdurchschnittlich hohe Zahlen verzeichnen. Demnach sei der öffentliche Dienst in besonderem Maße vom Fachkräftemangel betroffen. Dies führe für viele Beschäftigte zu einer hohen Arbeitsverdichtung. In bestimmten Bereichen mangele es zudem an Wertschätzung. Die Beschäftigen seien zudem teils mit Aggressivität von Klienten konfrontiert. Die Arbeitsverdichtung treffe auch den Gesundheitssektor. "Hinzu kommen mangelnde Handlungsspielräume, wirklich etwas für die Patienten zu machen - aus Zeitmangel", so Lang. Möglichkeiten zum Homeoffice oder flexible Arbeitsmodelle gebe es kaum. Die Gewerkschaft ver.di sieht die Gründe für die zunehmende Anzahl an Fehltagen ähnlich gelagert. "Seit Langem weisen wir immer wieder darauf hin, dass Arbeit auch krank machen kann, nämlich dann, wenn die gleiche Menge an Arbeit oder sogar zusätzliche Arbeit immer weniger Beschäftigten abverlangt wird", sagt Andrea Wemheuer, Landesbezirksleiterin in Niedersachsen und Bremen.
Daten von 225.000 Versicherten ausgewertet
Für die Untersuchung hat das Berliner IGES-Institut die Daten von 225.000 berufstätigen DAK-Versicherten in Niedersachsen ausgewertet. Die DAK-Gesundheit ist nach eigenen Angaben die drittgrößte gesetzliche Krankenversicherung Deutschlands, in Niedersachsen versichert sie demnach rund 530.000 Menschen.
Fehltage nehmen laut DAK und KKH insgesamt zu
Die Zahl der Krankschreibungen insgesamt nimmt landesweit zu. Auswertungen von DAK und KKH zufolge erreichte sie 2023 im zweiten Jahr in Folge einen Rekordstand. Bei der KKH waren die meisten Ausfälle demnach auf Atemwegserkrankungen zurückzuführen, bei DAK-Versicherten auf Muskel- und Rückenbeschwerden sowie andere Skelettprobleme.