Abnehmhype: Rezeptfälschungen bei Medikamenten gegen Diabetes
Das Diabetesmittel Ozempic ist aktuell kaum in den Apotheken erhältlich. Auf dem Schwarzmarkt wird es gern als "Abnehmspritze" verkauft. Eine Diabetologin aus Hannover erklärt im NDR Interview, was das für ihre Patienten bedeutet.
Seit Ende 2023 gibt es Liefer-Engpässe für Ozempic, die noch bis Oktober anhalten sollen. Ein Faktor ist dabei die Beliebtheit des Medikaments auf dem Schwarzmarkt. Die AOK Niedersachsen hat seit September 2023 mehr als 1.700 Rezeptfälschungen im Wert von mehr als 400.000 Euro zur Anzeige gebracht - die höchste Anzahl von Rezeptfälschungen in so kurzer Zeit, die sie je registriert hat. Diese betreffen überwiegend die Medikamente Ozempic, Trulicity und Mounjaro. Sie sind für die Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 zugelassen und haben alle eine appetitzügelnde Wirkung.
Ärztliche Rezepte sind Urkunden. Das Fälschen eines Rezepts stellt somit strafrechtlich eine Urkundenfälschung dar und kann mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe geahndet werden.
Ozempic gilt als "Lifestyle-Medikament"
Die Diabetes-Spritze Ozempic soll vielen Prominenten wie Elon Musk und Robert Geiss beim Abnehmen geholfen haben. Dadurch sei insbesondere Ozempic als "Lifestyle-Medikament" bekannt geworden, teilt die AOK Niedersachsen mit. Die Diabetologin Henrike Hilbig arbeitet im Diabetes-Zentrum-Hannover-Nord. Sie verschreibt Mittel wie Ozempic zur Behandlung von Diabetes.
Frau Hilbig, für Ozempic und weitere Diabetesmittel werden immer mehr Rezepte gefälscht. Wie ordnen Sie das ein?
Henrike Hilbig: Auch aus unserer Praxis sind gefälschte Rezepte aufgetaucht, von Kollegen hier aus der Praxis sind Rezepte angeblich ausgestellt worden und im Ruhrgebiet aufgetaucht. Das ist schon krass, weil ich tatsächlich in meiner ganzen Laufzeit nie erlebt habe, dass so etwas gemacht worden wäre mit beispielsweise Opiaten oder Fentanyl, die man auch verkaufen könnte auf Drogenmärkten. Aber da ist so etwas Vergleichbares noch nie passiert, das finde ich schon bemerkenswert. Ich finde, das zeigt, was für ein Druck bei übergewichtigen Menschen herrschen muss. Sogar auf Biegen und Brechen, so dass man sogar kriminell wird. Das wird aber sicherlich besser werden, wenn das E-Rezept verstärkt kommt.
Die Apotheken bekommen Diabetesmittel nur in geringer Stückzahl geliefert, die Anfragen sind hoch. Wie reagieren Ihre Patienten darauf?
Hilbig: Das ist schon fast die Regel, dass die Patienten das Medikament nicht bekommen. Unsere Patienten melden sich und sagen, sie hätten es nicht in der Apotheke erhalten oder nur eine für Sie falsche Dosierung. Öfter kommen sie auch auf Wartelisten bei den Apotheken, dann sind sie beispielsweise Platz 27 und wissen einfach nicht, wann die Apotheken anrufen, um ihnen mitzuteilen, dass sie es jetzt bekommen.
Was bedeutet der Engpass denn für die Patienten, wenn sie auf das Medikament eingestellt sind?
Hilbig: Bei Menschen mit Diabetes Typ 2 heißt es ganz konkret, dass der Blutzucker höher ist, als wir das gern hätten. Was langfristige Folgen hat, wenn das länger geht. Ziel unserer Behandlung ist es ja, den Zucker in einen gesunden Stoffwechsel zu bringen, wie es bei gesunden Menschen auch ist. Und ohne das Medikament wird es eben schwieriger oder das Ziel eben nicht erreicht. Die Patienten reagieren sehr unterschiedlich darauf: Es ist ein großer Unmut da, manche sind frustriert oder werden traurig. Manche werden wütend, andere machen gar nichts mehr. Ich bespreche das nun mit Patienten, die während einer laufenden Behandlung Probleme haben, ob wir eine Umversorgung machen mit einem anderen Medikament.
Seit knapp einem Jahr ist auch die zum Abnehmen zugelassene Spritze Wegovy in Deutschland auf dem Markt. Was ist da der Unterschied?
Hilbig: Der Wirkstoff in Ozempic, Semaglutid, ist zugelassen in Deutschland als Abnehmspritze unter dem Namen Wegovy. Da ist letztlich das gleiche drin, nur Wegovy kostet mehr in der Apotheke mit einem privaten Rezept. Und ich glaube, deswegen ist der Hype auf Ozempic ungebrochen. Ich dachte, wenn Wegovy kommt, wird es entspannter auf dem Markt, da man es mit einem Privatrezept bekommt und man nicht kriminell werden muss. Aber es macht sich leider nicht bemerkbar.
Das Interview führte Larissa Mass, NDR.de