Stadtmensch allein zu Haus: Single-Haushalte und die Wohnungsnot
In Norddeutschlands Städten leben immer mehr Menschen allein, das zeigt eine Analyse von Zensus-Daten. Der Anstieg der Einpersonenhaushalte hängt mit einem Wandel der Familie zusammen - und belastet den Wohnungsmarkt.
"Ich würde einen Teufel tun und meine Wohnung aufgeben, um mit jemandem zusammenzuziehen", sagt Timo, 47, aus Hamburg. Er wohnt allein und will das wegen des angespannten Wohnungsmarkts auch nicht ändern, denn "was ist, wenn es mit der Beziehung nicht klappt?" #NDRfragt-Mitglied Timo gehört zu einer immer größer werdenden Gruppe: Menschen, die allein in einem Haushalt wohnen. Besonders verbreitet ist das Phänomen in Hamburg: Dort lebt bereits in mehr als der Hälfte aller Wohnungen nur ein Mensch. Laut Zensus - der Volksbefragung, die etwa alle zehn Jahre in Deutschland durchgeführt wird - ist der Anteil der Einpersonenhaushalte in der Hansestadt in der Zeit von 2011 bis 2022 von 47 auf 55 Prozent gestiegen.
Doch nicht nur in Hamburg, sondern auch in anderen norddeutschen Städten wächst die Zahl der Alleinlebenden. In allen kreisfreien Städten und Landeshauptstädten im Norden wohnt in etwa jeder zweiten Wohnung nur noch eine Person. Und der Trend ist deutlich: In Emden zum Beispiel ist der Anteil der Einpersonenhaushalte um fast acht Prozentpunkte gestiegen, von 39 auf 47 Prozent.
Später zusammen, früher getrennt: Familienphase schrumpft
Eine Erklärung für das Phänomen liefert die Soziologie: "Das ist ein Trend, den wir schon seit den 1960er Jahren beobachten, und er hat zu tun mit einem Wandel der Familie", sagt Detlev Lück, Familienforscher am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden. "Die Familienphase wird im Lebenslauf vorne und hinten immer stärker abgeknapst." So dauert es heute deutlich länger, bis junge Menschen eine Familie gründen - das Heiratsalter und das Alter bei der Geburt des ersten Kindes sind in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen. "Die Leute wollen erst einmal ein paar Jahre arbeiten und eine ökonomische Grundlage schaffen, bevor sie eine Familie gründen. Da aber immer mehr von ihnen studieren, wird dieser Zeitpunkt später erreicht."
Ein Blick auf die Zensus-Zahlen zeigt: Bei den 20- bis 39-Jährigen ist der Anteil der Alleinlebenden zwischen den beiden letzten Erhebungen um sechs Prozentpunkte gestiegen: 2011 lebten 28 Prozent der jungen Menschen allein, 2022 waren es 34 Prozent.
Außerdem dauert die Familienphase oftmals nicht mehr so lang wie noch vor Jahrzehnten: Es gibt immer mehr Trennungen. Das habe mit der Emanzipation und der Individualisierung der Menschen zu tun, erklärt Lück: "Man unterwirft sich nicht mehr wie früher den gesellschaftlichen Normen und den Erwartungen von Eltern. Die Ehe ist heute keine Institution mehr, die ein Leben lang halten muss."
Auch diese Entwicklung korrespondiert mit den Zensus-Zahlen: Der Anteil der Alleinlebenden ist besonders stark in der Altersgruppe der 50- bis 69-Jährigen gestiegen. Von 26 Prozent im Jahr 2011 ist er um zehn Prozentpunkte auf inzwischen 36 Prozent gestiegen. Auch die über 70-Jährigen wohnen häufiger allein, bei ihnen lebt inzwischen sogar fast jede zweite Person allein. In dieser Altersgruppe seien das oft verwitwete Frauen, erklärt der Soziologe Lück: "Frauen haben eine höhere Lebenserwartung als Männer, und sie sind auch meist etwas jünger als ihre Lebensgefährten."
Doch nicht nur Menschen, die keinen Partner oder keine Partnerin haben, leben allein, sondern auch Menschen mit einer Fernbeziehung. Und es gibt jene, die sich für das LAT entschieden haben - das Living Apart Together. Frei übersetzt: eine Liebe, zwei Adressen. Die Hamburgerin Monika, 73, aus der #NDRfragt-Community ist so jemand. Sie hat sich nach dem Tod ihres langjährigen Partners noch einmal verliebt, hält aber - genau wie der neue Mann an ihrer Seite - an der eigenen Wohnung fest. Das fühle sich besser an, sagt sie, freier, unabhängiger.
Leben wir alle irgendwann allein?
Wenn der Trend bleibt - leben wir dann irgendwann alle allein? "Ganz sicher nicht", sagt Detlev Lück. "Der Traum, mit einer Partnerin oder einem Partner zusammenzuleben, ist über all die Jahrzehnte unverändert geblieben, und ich bin sicher, dass das auch zukünftig irgendwann im Laufe eines Lebens gelebt wird - wenngleich sich diese Phase wahrscheinlich noch ein bisschen zusammenschiebt." Der Familienforscher vermutet, dass der Trend noch eine Weile anhält, sodass der Anteil von Single-Haushalten im nächsten Zensus noch höher ausfallen werde.
Single-Haushalte steigern die Wohnungsnot
Und das wiederum hat Folgen für die Städte: "Wir haben in unseren Städten einen großen Bestand an Wohnungen, die aus einer Phase stammen, in der man vor allem für Kernfamilien - Mutti, Vati, Kind - gebaut hat", sagt Ricarda Pätzold, die am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin den Bereich Stadtentwicklung, Recht und Soziales leitet. "Und nun lebt in diesen Zwei- bis Drei-Zimmer-Wohnungen immer häufiger nur eine Person. Der gebaute Raum wird damit nicht so genutzt, wie es rein rechnerisch vorteilhaft wäre", so Pätzold. "Dadurch steigt die Pro-Kopf-Quadratmeterzahl und infolgedessen auch die Wohnungsnot."
Fläche teilen: Sharing-Modelle für Hobbyraum und Partykeller
Daraus aber zu schließen, man müsse künftig ganz viele kleine Ein-Zimmer-Wohnungen neu bauen, hält die Stadtforscherin für den falschen Weg: "Ein Umzug in so eine Mini-Wohnung ist für viele überhaupt keine verlockende Vorstellung." Um Wohnraum einzusparen, seien kreative Ansätze zielführender, glaubt Pätzold. Zum Beispiel durchs Teilen von Infrastruktur - wie das in Genossenschaften oder innovativen Wohnprojekten oft schon üblich ist. Da werden Flächen, die man selbst nur selten oder unregelmäßig braucht, gemeinschaftlich genutzt: der Hobbyraum, das Gästezimmer, die Werkstatt oder der große Raum für Feiern. "Es geht nicht darum, die Haushaltsautonomie einzelner zu untergraben, sondern darum, ein Angebot herzustellen, das hilft, Ressourcen und Kosten zu sparen - und sich selbst dadurch auch noch etwas Gutes zu tun."