Zeitenwende noch nicht aufgearbeitet: "Politischer Scherbenhaufen"

Stand: 28.02.2024 17:14 Uhr

Vor zwei Jahren hat Bundeskanzler Scholz seine "Zeitenwende"- Rede gehalten. Er versprach der Ukraine Unterstützung, kündigte an, Deutschland energiepolitisch unabhängiger zu machen und mehr in die Sicherheit Deutschlands zu investieren. Für Mecklenburg-Vorpommern bedeutete der Krieg in der Ukraine politisch einen nie dagewesenen Bruch.

von Louisa Maria Carius

"Wir haben die Zeitenwende vollzogen", sagt Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). Mecklenburg-Vorpommern habe viele Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen und stehe an der Seite der Bundesregierung, wenn es darum gehe, die Ukraine zu unterstützen. Sie spüre aber auch eine große Verunsicherung in der Bevölkerung. Gerade ältere Menschen hätten den großen Wunsch nach Frieden, viele machten sich auch Sorgen, dass Deutschland Kriegspartei werde. Deswegen sei sie dankbar, so Schwesig, "dass der Bundeskanzler ganz klar gesagt hat, dass es keine deutschen Truppen in der Ukraine geben wird."

180°-Wende in der Russlandpolitik

Mecklenburg-Vorpommern hat viele Jahre eine deutsch-russische Partnerschaft gepflegt, beispielsweise den Russland-Tag organisiert. Die Verbindungen zwischen Politik und Wirtschaft waren in Sachen Gas und Geld eng verwoben. "Wir sind immer offen damit umgegangen", erklärt Schwesig. "Wir hatten viel Unterstützung in der Politik, aber auch in der Bevölkerung und in der Wirtschaft. Dass mit dem Angriffskrieg von Russland auch für uns eine Zeitenwende entstanden ist, das ist auch klar." Solche Partnerschaften könne es nicht mehr geben, da seien auch klare Konsequenzen gezogen worden. Allerdings viel zu spät, kritisiert der Historiker, Prof. Dr. Stefan Creuzberger von der Uni Rostock.

Zeitenwende bedeutet tiefen Einschnitt

Durch den Angriffskrieg sei Mecklenburg-Vorpommern in besonderem Maße ins Blickfeld gerückt und damit "eine Landesregierung, die spätestens seit 2014 - in einer Zeit, in der man wegen der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion auf Distanz zu Russland hätte gehen müssen - eine Nebenaußenpolitik praktiziert hat", so Creuzberger. Unter dem Vorwand, zivilgesellschaftlich Dialogpolitik betreiben zu wollen, habe man knallharte Interessen- und Wirtschaftspolitik betrieben und sich zum Teil sogar der russischen Seite angebiedert. Finanziell habe sich das zwar gelohnt. Jetzt stehe man politisch aber vor einem Scherbenhaufen, erklärt der Historiker.

Forderung nach wissenschaftlicher Aufarbeitung

Natürlich setze sich die Ministerpräsidentin jetzt davon ab, welche Russlandpolitik in ihrem Namen und in dem ihres Vorgängers exekutiert worden sei. Sie verlege sich auf eine neue Ostpolitik, blicke nach Litauen und Polen. "Gleichwohl vermisse ich hier ein gehöriges Maß an Selbstkritik und an kritischer Aufarbeitung dessen, was mecklenburgisch-vorpommersche Russlandpolitik unter der damaligen rot-schwarzen Landesregierung bedeutet hat", kritisiert Stefan Creuzberger. "Im Grunde müsste eine unabhängige Historikerkommission unter der Maßgabe, volle Akteneinsicht zu haben, dieses Kapitel mecklenburgisch-vorpommerscher Russlandpolitik in aller Breite aufarbeiten." Dem erteilt Schwesig eine Absage - ihre Russlandpolitik sei immer transparent gewesen.

Klares Nein zur Wehrpflicht

Im Zusammenhang mit der "Zeitenwende" hat Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) auch die Wiedereinführung der Wehrpflicht ins Gespräch gebracht. Vor dem Bundestag hatte er gesagt: "Gesellschaftlich müssen wir uns die Frage stellen, wer dieses Land verteidigen soll, wenn es ernst wird." Für Ministerpräsidentin Schwesig ist die Wehrpflicht für Mecklenburg-Vorpommern hingegen kein Thema: "Wir finden es wichtig, dass die Bundeswehr gute Fachkräfte bekommt. Es ist wichtig, den Beruf attraktiv zu machen, die Bundeswehr gut auszurüsten, aber wir haben hier im Bundesland keine Diskussion über die Bundeswehr."

Probleme der Bundeswehr anders lösen

Auch Philipp Amthor, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern, lehnt die Wiedereinführung der Wehrpflicht ab. Die CDU fordere hingegen ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr, einer Art FSJ für alle. "Davon kann auch die Bundeswehr profitieren", so Amthor. Jetzt zur alten Wehrpflicht zurückzukehren, würde bedeuten, zu den bestehenden Problemen zurückzukehren. Stattdessen müsse es darum gehen, "die Frage der Verteidigungsfähigkeit unseres Landes stärker in den Fokus bringen. Die Bundeswehr ist nach wie vor nicht in dem Zustand, in dem wir sie gerne hätten." Hier wünsche er sich insgesamt mehr Priorität für die Bundeswehr sowie Rüstung und Verteidigung im Bundeshaushalt. Denn jetzt müsse es darum gehen, "dass wir die Frage der Verteidigungsfähigkeit unseres Landes stärker in den Fokus bringen."

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Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 28.02.2024 | 19:30 Uhr

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