Wir wollen... die Wahl haben!
von NDR Newcomernews (Ein Medienbildungsprojekt des NDR Landesfunkhauses MV mit Schülerinnen und Schülern.)
Darüber abstimmen, ob es Koalitionsverhandlungen geben soll. Von seinem Beschwerderecht Gebrauch machen, wenn Journalisten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk falsch berichten. Entscheiden, wohin es auf Klassenfahrt geht: Demokratie, die Herrschaft des Volkes, hat viele Gesichter. Im Rahmen des Projektes NDR Newcomernews haben sich Marie, Klara, Jessica, Tim, Niklas und Domenik vom Lilienthal-Gymnasium in Anklam mit der Frage beschäftigt, ob Mecklenburg-Vorpommern ein Wahlrecht ab 16 braucht. Bisher können Jugendliche hier und in sechs anderen Bundesländern ab dem 16. Geburtstag ihre Stimme allein bei Kommunalwahlen abgeben.
Mit 16 sind Jugendliche verliebt, haben Streit mit den Eltern, leiden unter Stress in der Schule, trinken Alkohol, probieren Drogen aus. Und sie engagieren sich im Verein, gehen auf Demos, wollen was bewegen, fangen mitunter eine Ausbildung an, zahlen vielleicht Steuern, sind strafmündig und dürfen selbst entscheiden, welcher Religion sie angehören. Warum also nicht wählen bei Landtagswahlen, Europawahlen und Bundestagswahlen?
Jugendliche schnell zu begeistern
Wenn es nach Dietger Wille geht, dann könnte es direkt losgehen mit dem vollen Wahlrecht ab 16 in Mecklenburg-Vorpommern. Er unterstützt einen Volksentscheid zum Thema, den es im kommenden Jahr im Rahmen der Kommunalwahl geben soll. Wille kommt aus Greifswald und arbeitet in Anklam in der Kreisverwaltung bei der Landrätin. Die Mehrheit seiner Partei (CDU) sei gegen ein Jugendwahlrecht ab 16, sagt Wille, man traue jungen Leuten nicht die nötige Reife und Sachkenntnis zu und argumentiere, dass Jugendliche schneller zu begeistern seien - und das eben auch für "falsche" Themen.
"So früh wie möglich mit Politik anfangen!"
Da kann Dietger Wille überhaupt nicht mitgehen. Im Gegenteil: Jugendliche sollten so früh wie möglich mit Politik anfangen. "Je eher ich mich damit befasse, umso eher bin ich auch geneigt, eventuell in einer Partei mitzuarbeiten, eventuell in einem Verein mitzuarbeiten, in einer Bürgerinitiative tätig zu werden, selber zu kandidieren, mich inhaltlich mit Themen der Gemeinschaft auseinanderzusetzen", so Wille weiter. "Meine Erfahrung ist, dass junge Leute tatsächlich sehr begeisterungsfähig sind, da sehr viel Fleiß und Mühe reinstecken - viel mehr, als Menschen, na ja, die vielleicht schon ein bisschen frustriert sind oder resigniert haben bei bestimmten Dingen."
Früh wählen heißt Verantwortung übernehmen
Einer, der sich in Anklam mit Jugendlichen auskennt, ist der Schulsozialarbeiter am Lilienthal-Gymnasium, Jens Bordel. Der 49-Jährige arbeitet seit zehn Jahren in Mecklenburg-Vorpommern und befürwortet ein Jugendwahlrecht ab 16. Es bestehe die Hoffnung, dass Jugendliche, die in politische Entscheidungsprozesse eingebunden werden, auch Verantwortung übernehmen und sich für das Geschehen innerhalb des demokratischen Rahmens interessieren. Und schließlich sei die Jugend zwischen 16 und 18 nicht die große Masse der Leute, die wählen geht. Ihre Zahl liege zwischen 1,5 und 3,5 Prozent der Wahlberechtigten. Damit, so Bordel, werde man keinen Umsturz machen.
"Reife schlägt nicht ein wie der Blitz"
Ein Wahlrecht für Jugendliche sei auch wichtig, damit sich junge Leute nicht abgehängt fühlen, so Bordel. Das Argument der fehlenden Reife lässt er nicht gelten: "Wenn wir uns angucken bei den Erwachsenen, wer ist denn da schon reif genug und wer nicht? Wer will das sortieren oder will man dann den Leuten, denen man die Reife abspricht die Wahlberechtigung wieder wegnehmen? So funktioniert's ja nicht! Man muss natürlich individuell gucken, wie weit ist jeder für sich, aber: Reife schlägt ja auch nicht plötzlich ein wie der Blitz, wenn ich 18 werde."
Umfrage: Mehrheit spricht sich für Jugendwahlrecht aus
Mehr Mitspracherecht bei Entscheidungen über die eigene Zukunft - das wäre auch im Sinne der künftigen Betroffenen. Die Online-Redaktion von NDR Newcomernews hat am Lilienthal-Gymnasium in Anklam spontan eine Umfrage zum Thema durchgeführt. Das Ergebnis: Die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler in allen neunten Klassen hat sich für ein Wahlrecht ab 16 Jahren ausgesprochen, 40 Prozent der Schüler waren dagegen.
Wahlalter 16? Auf keinen Fall!
Innerhalb der Redaktion gibt es auch kritische Stimmen zum Thema. Einige rechnen vor, dass das Jugendwahlrecht viel zu wenig Schülerinnen und Schüler betrifft: Statistiken zufolge gehen gerade einmal 40 Prozent der 16-Jährigen wählen, deutschlandweit sind also insgesamt 610.000 Jugendliche betroffen - und das nur alle vier Jahre. Außerdem: Hier in Anklam, heißt es auf der Redaktionskonferenz, gebe es weitaus wichtigere Themen als das Jugendwahlrecht. Rechtsextremismus zum Beispiel! Wissenschaftliche Studien belegen, dass Jugendliche dazu neigen, radikaler zu denken als Erwachsene. Das wiederum könnte auch rechtsextremen Gruppen, Parteien und Kräften in die Hände spielen. Da Anklam als Sitz der NPD-Zentrale in Mecklenburg-Vorpommern als Hochburg rechtsradikaler Gesinnung gilt, befürchten kritische Köpfe in der NDR Newcomernews-Redaktion, dass ein Jugendwahlrecht diese Situation noch verschärfen könnte.
Dieser Artikel ist durch Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Workshops des Medienbildungsprojekts NDR Newcomernews des NDR Landesfunkhauses entstanden.