Überraschendes Aus: MV verliert Anschluss im Wasserstoff-Kernnetz

Stand: 06.08.2024 05:30 Uhr

Eine Leitung sollte von Güstrow Wasserstoff aus Mecklenburg-Vorpommern in den Süden transportieren. Im Antrag für das Wasserstoff-Kernnetz fehlt sie – zur Überraschung des Wirtschaftsministers.

von Juliane Schultz

Trotz Fördermitteln in Millionenhöhe hat Netzbetreiber Ontras den Ausbau der Leitung von Güstrow gen Süden abgesagt. "Ja, das ist so. Wir wurden überrascht" - Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) räumt das sichtlich ungern ein, doch die Fakten sprechen für sich: Eine seit Jahren geplante Wasserstoffleitung zwischen Glasewitz bei Güstrow bis Ketzin in Brandenburg und weiter Richtung Sachsen soll offenbar nicht gebaut werden. Entschieden hat das nicht das Land, sondern der Netzbetreiber Ontras.

Förderzusagen über eine halbe Milliarde Euro

"Man muss sich vorstellen: Noch am 15. Juli gab es einen Förderbescheid, genau für dieses Projekt, von Minister Habeck an Ontras", erklärt Meyer. Bilder von der Veranstaltung zeigen, wie Ontras-Vertreter in Berlin symbolisch einen Scheck über einen dreistelligen Millionenbetrag übernehmen. Die Leitung ist eines von vier Projekten in Mecklenburg-Vorpommern, die mit Mitteln aus der europäischen IPCEI-Förderung (Important Project of Common European Interest) unterstützt werden. Mehr als eine halbe Milliarde Euro fließen dafür ins Land.

Neben der Leitung geht es um den Bau von Anlagen zur Produktion von Wasserstoff – sogenannte Elektrolyseure: Bis Anfang 2027 soll auf dem Gelände des Steinkohlekraftwerks mit Windstrom grüner Wasserstoff produziert werden. Das Unternehmen Apex will in Rostock-Laage eine Anlage errichten und die Firma Enertrag startet mit der Wasserstoff-Produktion in Rostock und in der Nähe von Güstrow. Alle Projekte liegen entlang einer Leitung, die von Rostock nach Glasewitz gebaut werden soll.

Geänderter Antrag ohne Vorwarnung?

Doch nun die Kehrtwende: Am 22. Juli reichten die Fernleitungsnetzbetreiber ihren Antrag für den Bau des deutschen Wasserstoff-Kernnetzes bei der Bundesnetzagentur ein. Die Leitung von Glasewitz gen Süden fehlt. Für viele Unternehmen, Kommunen und Verbände im Land ein Paukenschlag. "Sie haben den Antrag ohne Vorwarnung eingereicht und am Morgen des 22. Juli einfach die Internetseite mit ihren alten Plänen vom Netz genommen", so der Vertreter eines Planungsverbandes. Der Wirtschaftsminister gibt sich diplomatisch: "Die Kommunikation des Unternehmens war nicht optimal." Die kurze Leitung von Rostock nach Glasewitz ist zwar verzeichnet – jedoch ohne konkreten Betreiber. Auf NDR Nachfrage teilt Ontras mit: "Wir führen die Vorplanungen weiter und bereiten die notwendigen Genehmigungsverfahren vor." Mit potenziellen Erzeugern sei man im Gespräch.

Leitung nach Greifswald für Ontras effizienter

Ontras schreibt auf Anfrage: "Ursprünglich sollte die Nord-Süd-Route den Standort Rostock an ein erstes Wasserstoff-Netz anbinden. Im Laufe der Entwicklung des H2-Kernnetzes zeigte sich, dass die anfangs vorgesehene Umstellung von Erdgasleitungen für das angezeigte Transportvolumen auf diesem Stück nicht mehr geeignet war, sondern ein Neubau hätte erfolgen müssen. Im Vergleich [...] hatte sich gezeigt, dass die alleinige Anbindung von Rostock an das Wasserstoff-Kernnetz über die Leitung Rostock-Wrangelsburg die effizientere Lösung ist und die Gesamtkosten des Kernnetzes minimieren kann."

Im Nordosten klafft Loch im Wasserstoff-Kernnetz

Nun will stattdessen der Fernleitungsnetzbetreiber Gascade eine Leitung von Rostock Richtung Greifswald bauen und von dort den Wasserstoff durch die sogenannte OPAL-Leitung gen Süden transportieren. Heißt aber auch: Der Westen und Süden Mecklenburg-Vorpommerns werden gar nicht angebunden. Dort kann sich weder ein Wasserstoffproduzent ansiedeln noch ein Unternehmen, das Wasserstoff benötigt. Zwischen Hamburg und Berlin, zwischen Schwerin und Magdeburg klafft aktuell inmitten des Wasserstoff-Kernnetzes ein gewaltiges Loch – das größte deutschlandweit.

Für Projektentwickler Martin Weiße, der aktuell einen Elektrolyseur bei Güstrow plant, ist das auch ein strukturelles Problem: "Die Leitung ist für den gesamten norddeutschen Raum wichtig – aber insbesondere für den Nordosten, wenn man den beim Zukunftsthema Wasserstoff nicht abhängen will. Schaut man sich die gesamtdeutsche Karte an, dann fällt auf, dass genau da, wo Wasserstoff mittels Windkraft produziert werden könnte, keine Leitung zum Abtransport entsteht. Fehlt die Trasse, gehen Potenziale für Investitionen, Arbeitsplätze und lokale Wertschöpfung verloren."

Fördermittel verfallen nach 2028

Nicht nur deshalb hält Wirtschaftsminister Meyer am ursprünglichen Plan fest: "Wir führen gerade jede Menge Gespräche mit Netzbetreibern mit der Bundesnetzagentur, mit dem Bundeswirtschaftsministerium, um dieses Projekt doch noch zu realisieren. Für die Elektrolyseur-Projekte ist ganz wichtig, dass die Anbindung kommt." Die Fördermittel würden nur bis Mitte 2028 gelten, bis dahin müsse das Projekt auch angebunden sein, so Meyer. "Insofern haben wir großes Interesse. Übrigens das sollte auch der Bund haben, dass die Projekte kommen. Wasserstoff ist der Stoff der Zukunft, um Industrie anzusiedeln. Und das wollen wir in Mecklenburg-Vorpommern."

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Nordmagazin | 06.08.2024 | 19:30 Uhr

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