Tradition bremst: Frauen in der Agrarwelt noch immer benachteiligt
In Deutschland und somit auch in Mecklenburg-Vorpommern werden Agrarbetriebe noch immer überwiegend von Männern geführt und Höfe meist an Söhne vererbt. Wissenschaftler der Universität Göttingen haben dazu eine Studie erstellt. Leonie Thoms trotzt diesen Schwierigkeiten. Sie leitet seit acht Jahren die Agrarvereinigung Toddin.
Wie sieht die Arbeits- und Lebenssituation von Frauen in der Landwirtschaft aus? Das wollte der Deutsche LandFrauenverband herausfinden. Die letzten Antworten auf diese Fragen wurden noch vor der Wiedervereinigung Deutschlands gesammelt und sind längst nicht mehr vergleichbar mit der aktuellen Situation. Die Universität Göttingen hat nun bundesweit mehr als 7.000 Frauen aus der Agrarwelt online befragt und mit über 200 Frauen auch persönliche Gespräche geführt. Die Ergebnisse zeichnen ein Bild, das auch für Mecklenburg-Vorpommern gilt.
Frauen führen selten
Leonie Thoms leitet seit acht Jahren die Agrarvereinigung Toddin, sie ist Vorstandsvorsitzende der Genossenschaft und damit eine Ausnahme. Laut Studie werden nur elf Prozent aller Agrarbetriebe bundesweit von Frauen geführt. In Mecklenburg-Vorpommern beträgt ihr Anteil laut Statistischem Amt 17 Prozent, die meisten der Betriebsleiterinnen sind demnach allerdings teilbeschäftigt.
"Ich habe den Beruf aus Leidenschaft gelernt"
Leonie Thoms ist in Vollzeit für 1.000 Hektar Ackerland und 150 Hektar Grünland zuständig. Die Agrarvereinigung Toddin zieht Färsen für die eigene Milchviehhaltung auf. Der Agrarbetrieb betreibt auch eine Biogasanlage. Trotz dieser vielen Aufgaben ist für die junge Mutter ein Wunsch in Erfüllung gegangen. "Ja, das ist ein 24/7-Job, 365 Tage, aber es ist eine Lebenseinstellung. Ich habe den Beruf aus Leidenschaft gelernt, nicht als Beruf", sagt Thoms. Mitarbeiter einteilen, Arbeitsabläufe koordinieren, den Ackerbau betreuen und Entscheidungen treffen, auch abends, während die dreieinhalb-jährige Tochter schläft. Leonie Thoms lebt und liebt das.
"Das kostet eine Frau auch mal ein paar Tränen"
Die staatlich geprüfte Agrar-Betriebswirtin wurde dennoch anfangs ständig von ihren männlichen Kollegen in Frage gestellt. Das Problem haben viele der befragten Frauen. Sie gaben für die Studie an, sich im Betrieb immer wieder beweisen zu müssen. So auch Leonie Thoms: "Zu Anfang war das auf jeden Fall ganz stark so. Das kostet eine Frau auch mal ein paar Tränen, wenn man nach Hause fährt und nicht gesehen wird. Auch jetzt geht mir das so mit anderen Geschäftspartnern, die nehmen mich auch nicht für voll". Von ihren eigenen drei männlichen Kollegen wird die 38-Jährige mittlerweile uneingeschränkt ernst genommen.
Landwirtschaft ist Männersache
Die Studie belegt, dass Landwirtschaft nach wie vor ein Bereich ist, der in der Gesellschaft vor allem mit Männern verbunden wird. Deswegen denken junge Frauen nicht vordergründig daran, einen landwirtschaftlichen Beruf zu erlernen. Claudia Neu ist Studienleiterin und Professorin an der Universität Göttingen, ihr Lehrstuhl heißt Soziologie Ländlicher Räume. "Das ist männliche Arbeit, das ist schwere körperliche Arbeit auf großen Maschinen, harter Alltag mit großen Tieren. Das sind alles Bilder, die wir nicht zuerst mit Frauen verbinden", erläutert Neu. Und diese traditionellen Bilder prägen noch immer die Berufswahl und Agrarwelt.
Hofnachfolge ist männlich
Ein Ergebnis hat die Wissenschaftler um Claudia Neu sehr überrascht. Für die Studie wurden auch Frauen persönlich interviewt. "Gerade im Norden glauben die Frauen noch sehr stark, dass der Hof nur an Söhne vererbt werden darf, obwohl seit 1947 die Höfeordnung geändert ist. Also Erbinnen und Erben sind gleichberechtigt, es gibt rein faktisch keine Bevorzugung mehr von Söhnen", so Neu. Dennoch: Bundes- wie landesweit sind die wenigsten Hofnachfolger weiblich.
Frauen bevorzugen Ökolandbau
Für die Studie wurden Frauen interviewt, die in großen oder kleinen Agrarbetrieben, im Gemüse-, Obst- oder Weinanbau tätig sind. Sämtliche Betriebszweige sind vertreten, neben Ackerbau auch Tierzucht und -haltung. "Frauen sind etwas häufiger als Betriebsleiterinnen im Ökolandbau zu finden, auch als Gründerinnen und dort, wo Tiere leben. Wir haben zum Beispiel auch Melkerinnen interviewt, die in großen landwirtschaftlichen Betrieben in Mecklenburg-Vorpommern arbeiten" so Professorin Claudia Neu.
Gefahr von Burnout
Das Forscherteam kommt zudem zu der Erkenntnis, dass viele der befragten Frauen unter den vielen Rollen leiden, die sie im Alltag bewältigen, etwa als Chefin, Angestellte, Ehefrau, Mutter oder Pflegende der eigenen Eltern. Die Wissenschaftler haben für ihre Erhebung einen internationalen Burnout-Index herangezogen, der standardmäßig in der Psychologie eingesetzt wird, um Burnout zu messen. "Über 20 Prozent der befragten Frauen sind akut Burnout-gefährdet", so Claudia Neu. Die betroffenen Frauen gaben an, sich oft müde, abgespannt, erschöpft und überlastet zu fühlen.
Frauen arbeiten "einfach so" mit
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben auch jene Frauen getroffen, die auf dem Hof ihres Partners mithelfen, tagtäglich, aber nicht angestellt sind. Hier appelliert die Professorin an die betroffenen Frauen, mutig zu sein und sich anstellen zu lassen: "Frauen sollten viel mehr Verantwortung für ihre eigene soziale Absicherung und Alterssicherung übernehmen." Auch wenn dies oft konfliktreich sei und schwierige Gespräche mit dem Partner mit sich bringe, so die Forscherin weiter.
Professorin fordert Geschlechtergerechtigkeit
Claudia Neu hofft, dass diese traditionellen Rollenmuster in der Landwirtschaft möglichst bald durchbrochen werden und sich mehr Frauen für den Agrarsektor begeistern, sich auch in Führungspositionen sehen: "Das ist ein sehr attraktives Berufsfeld. Landwirtschaft ist extrem vielfältig, auch jetzt in der Nachhaltigkeitsdebatte und Klimakrise." Die Professorin sieht Kindergärten, Schulen und Familien in der Pflicht, aufzuklären und zu informieren. Auch Leonie Thoms wünscht sich da mehr Offenheit in der Gesellschaft, um traditionelle Muster auflösen zu können.
Tochter wächst mit der Landwirtschaft auf
Ihre eigene Tochter Henriette hat ihre ersten drei Lebensjahre mit im Betrieb verbracht, nun ist sie im Kindergarten. "Wir haben auch schon den Kindergarten eingeladen. Und dadurch, dass meine Tochter zum Betrieb gehört, fragen die Jungs immer so: Boah! Kannst Du Mähdrescher fahren und das finden sie ganz toll. Für die Kindergartengruppe ist klar, Henriette kommt vom Hof, sie ist da Chefin. Das hat sich in der Gruppe verfestigt und das ist völlig normal", sagt die 38-jährige Mutter mit einem Lächeln. Und so wächst neuer weiblicher Nachwuchs in Toddin heran, für die Landwirtschaft und ohne traditionelle Muster.