Ausländerbehörde: "Bei Abschiebungen war der Druck immer schon da"
Seit Wochen und Monaten wird in Deutschland viel über Abschiebungen und die Zahl der Geflüchteten diskutiert. Wie wirkt sich die Debatte auf die alltägliche Arbeit in einer Ausländerbehörde aus? Ein Sachbearbeiter erzählt, wie er Abschiebungen erlebt und warum sie oft scheitern.
Seit knapp 20 Jahren arbeitet T. Gierke in verschiedenen Ausländerbehörden in Mecklenburg-Vorpommern. Seinen Vornamen will er nicht nennen, um seine Privatsphäre zu schützen. Aktuell ist er Teamleiter für Asylangelegenheiten im Landkreis Nordwestmecklenburg. Sein Büro in der Innenstadt von Wismar ist unspektakulär. Platz ist gerade mal für seinen Schreibtisch mit zwei Computer-Monitoren plus Scanner und für ein hüfthohes Regal. Ein kleiner Tresen, an dem Kunden Dokumente überreichen können, teilt den Raum.
An zwei Tagen in der Woche hat Gierke hier Sprechstunde, dienstags und donnerstags. "Mal kommt jemand, um seinen Ausweis zu verlängern. Mal wird ein zuvor bestelltes Dokument abgeholt", erzählt Gierke. An diesem Tag hat auch eine ukrainische Familie einen Termin. Sie kommt mit einem Dolmetscher. Aber die Eltern wussten nicht, dass ihre vier Kinder alle hätten mitkommen müssen - für die Fingerabdrücke. So muss die Familie später nochmal wiederkommen.
Mehr als 1.000 Fälle pro Sachbearbeiter
Gierke kennt viele Gesichter, viele Geschichten. Im Schnitt betreut ein Sacharbeiter in Wismar 1.000 bis 1.100 Menschen ausländischer Nationalität. Als ideal gelten etwa 400 Fälle pro Kopf. Wenn keine Sprechstunde ist, bleibt Zeit für "Papierkram", der eigentlich gar kein Papierkram mehr ist. Alles ist elektronisch erfasst: die Anschreiben, die Dokumente, die Fingerabdrücke. Gierke kommt mit der Arbeit kaum hinterher. "Momentan habe ich noch knapp 600 E-Mails zu bearbeiten", berichtet er.
Die Zahl der Menschen mit ausländischer Nationalität hat sich im Landkreis innerhalb von fünf Jahren auf 10.000 verdoppelt. Ein Viertel von ihnen stammt aus der Ukraine, zudem sind es rund 1.100 Menschen aus Syrien und etwa 600 aus Afghanistan. Andere kommen als Studierende oder als Fachkraft. Zwar ist auch die Zahl der Mitarbeitenden in der Behörde von zehn auf 20 verdoppelt worden. "Aber wir arbeiten trotzdem am Limit", sagt Gierke.
"Jede Abschiebung ist unterschiedlich"
Der Sachbearbeiter ist auch bei Abschiebungen dabei. Die Entscheidung, wer abgeschoben wird, liegt allerdings nicht bei ihm, sondern beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Wie geht er persönlich mit den Erlebnissen vor Ort um? "Grundsätzlich ist es ja so, dass es mein gesetzlicher Auftrag ist, den ich erfüllen muss", sagt Gierke. "Jede Abschiebung ist unterschiedlich, es gab auch schon mal kleinere Ausschreitungen. Aber wenn ich nach Hause gehe, ist das Thema für mich erledigt." Er habe gelernt, damit umzugehen, sagt Gierke.
"Die schiere Masse der Fälle macht es schwierig"
Immer wieder kommt es vor, dass geplante Abschiebungen scheitern. Entweder die Betroffenen werden nicht angetroffen oder medizinische Gründe sprechen gegen eine Abschiebung - wie eine Schwangerschaft oder psychische Probleme. "Aber vielfach kommt eine Abschiebung einfach nicht zustande, weil die erforderlichen Pass-Dokumente fehlen", so der Behörden-Mitarbeiter.
Beeinflussen die aktuellen politischen Diskussionen seine Arbeit? Spürt er einen höheren Druck? "Ich würde sagen: Nein", sagt Gierke im Gespräch mit NDR Info. "Der Druck war schon immer da. Unser gesetzlicher Auftrag lautet ja, Menschen, die kein Bleiberecht haben und nicht freiwillig ausreisen, abzuschieben. Von daher nehme ich es nicht so wahr, dass der Druck mir gegenüber steigt. Es ist einfach die schiere Masse der Fälle, die es schwierig macht."
Für manche Aufgaben fehle die Zeit, so Gierke. Zum Beispiel bei der Klärung von Identitäten. "Da kratzen wir nur an der Oberfläche und können nicht tiefgründig prüfen, ob nicht vielleicht doch noch irgendwoher ein Dokument beschafft werden kann und dadurch eine Abschiebung ermöglicht wird." Dies sei das Hauptproblem aktuell.
Ständig kommen neue Verordnungen hinzu
Nicht allein die vielen Fälle machen dem Team in Wismar zu schaffen. Auch die Vorgaben ändern sich ständig. "Das Aufenthaltsgesetz aus dem Jahr 2005 ist ein Gesetz, das sich durch neue Verordnungen bestimmt 90 bis 100 Mal geändert hat", sagt Gierke. "Das Gesetz wird immer schwammiger." Und die Arbeit nehme zu. "Wenn ich jemanden in Abschiebehaft nehmen möchte, haben wir früher, als ich angefangen habe, einfach ein Ankreuz-Formular für das Amtsgericht ausgefüllt. Heutzutage schreiben die Kollegen zehn bis 15 Seiten zur Begründung für einen Haft-Antrag."
Eine große Verantwortung auf Seiten der Sachbearbeiter
Dass die Arbeitsbelastung enorm ist, sieht auch sein Chef so. "Die Anforderungen sind sehr hoch", sagt Hans-Martin Helbig. Er ist der zuständige Fachdienstleiter beim Landkreis. "Auch die Verantwortung ist sehr groß: Es geht um persönliche Schicksale und Entscheidungen, die unmittelbare Auswirkungen auf das Leben der Menschen haben." Die jüngsten Diskussionen in den Medien verfolgt Helbig genau. "Alle reden über Abschiebungen. Und viele Politiker glauben zu wissen, wie man es machen müsse. Aber so einfach ist es nicht." Beispielsweise seien Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan kaum möglich, so Helbig. "Die politische Diskussion wird dadurch teilweise ad absurdum geführt."
Unklar, wie viele Geflüchtete noch kommen
Den Ausländerbehörden macht auch die stetige Ungewissheit zu schaffen. So berichtet es Helbig. Wie viele Geflüchtete werden im bevorstehenden Winter hinzukommen? "Wir wissen nicht, wie der Winter in der Ukraine wird, wie sich die Zerstörung der Infrastruktur durch das russische Militär auswirkt", sagt Helbig. "Wir wissen einfach nicht, was auf uns zukommt."