Streit um "Brandmauer" zum rechten Rand in Boizenburg
Angespannte Stimmung in der Stadtvertretung Boizenburg: Im Juli gewann ein CDU-Vertreter die Wahl zum Bürgervorsteher - dank der Stimmen von AfD und der Wählergruppe Heimat und Identität (HuI), kritisieren die anderen Fraktionen.
Er möchte frischen Wind ins Amt bringen, sagt Dennis Aukstein-Scheuten (CDU), der seit Mitte Juli der neue Bürgervorsteher in Boizenburg ist. Seine Wahl hat aber eher zu einem Sturm der Entrüstung bei SPD, Die Linke und Bürger für Boizenburg (BfB) geführt.
Entscheidende Stimmen aus rechtem Spektrum?
Das Ergebnis der Wahl lautete 10 zu 9 Stimmen. So weit, so normal bei einer demokratischen Abstimmung. Aus Sicht der anderen Parteien kamen die entscheidenden Stimmen von AfD und Heimat und Identität (HuI). Sie reagierten entsetzt. Auf Facebook schrieb der SPD-Ortsverein Boizenburg, die CDU habe die Brandmauer einreißen lassen. Ein Stadtvertreter der Linken erklärte auf Instagram: "Tag der Schande in Boizenburg." Daniel Kleeblatt (BfB), der an dem Abend dabei war, sagt gegenüber dem NDR, er habe sich erschrocken, "dass sich die CDU abhängig macht aus dem rechten Lager, um eine Machtposition zu besetzen".
Ziel war eine eigene Mehrheit ohne Stimmen von AfD und HuI
Dass die CDU überhaupt einen eigenen Kandidaten zur Wahl des Bürgervorstehers aufstellte, war so wohl auch nicht geplant. Eine Woche vor der Wahl waren sich die vier im Ältestenrat vertretenen Fraktionsvorsitzenden offenbar einig, dass man eine gemeinsame Mehrheit für die SPD-Kandidatin Heidrun Dräger zusammen bekommt, unabhängig von AfD und HuI. Auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Lutz Heinrich bestätigt das im Gespräch mit dem NDR. Allerdings war er nach eigenen Angaben "sehr frustriert" nach diesem Abend, denn die CDU, immerhin stärkste Fraktion, sei davon ausgegangen, dass man sich die Amtszeit mit der SPD-Frau teilen werde. Auf NDR Nachfrage widerspricht Heidrun Dräger, diese Absprache habe es nicht gegeben.
Ohne Vorankündigung stellte die CDU am Abend der konstituierenden Sitzung einen eigenen Kandidaten zum ersten Bürgervorsteher auf. "Ich hatte den Eindruck, wir könnten eventuell gewinnen", sagt Lutz Heinrich (CDU). Nicht verwunderlich, denn im Lager SPD, BfB und Die Linke fehlten zwei Stadtvertreter an diesem Abend, das war schon ein paar Tage vorher bekannt. Somit hatte das Lager SPD, Die Linke und BfB nur neun statt elf Stimmen. Bei der CDU waren alle sieben Vertreter anwesend. Es kam also auf die Stimmen von AfD, HuI und einer fraktionslosen Stadtvertreterin an.
CDU mit eigenem Verständnis von "Brandmauer"
"Habemus Bürgervorsteher", schrieb die CDU nach der Wahl auf ihrem Facebook-Account, angelehnt an den lateinischen Ausruf "Habemus Papam", übersetzt: Wir haben einen neuen Papst. Die Kritik, dass sie die Wahl mutmaßlich mit Stimmen der extrem rechten Parteien gewonnen haben, verstehen die beiden CDU-Vertreter nicht. "In dieser Stadtvertretung sitzen 21 Stadtvertreter, die alle demokratisch gewählt wurden und die haben auch alle eine Stimme, die muss man ihnen zugestehen", erklärt Dennis Aukstein-Scheuten (CDU). Für die CDU bedeutet keine Zusammenarbeit, dass sie keinen AfD-Kandidaten unterstützen oder keine gemeinsamen Vorlagen mit AfD und HuI einbringen. Zudem wüssten sie recht wenig über die AfD-Abgeordnete Nicole Ehlers, erklärt Heinrich, da sie noch nicht lange in Boizenburg lebe.
AfD-Abgeordnete Ehlers: Unbekannt und trotzdem erfolgreich
Nicole Ehlers, ehemaliges SPD-Mitglied, war schon für die AfD Hamburg-Bergedorf aktiv. Dort wurde sie 2018 als Kandidatin für die Bezirksversammlung aufgestellt, ist aber nicht angetreten zur Wahl. 2024 kandidierte sie für die Stadtvertretung Boizenburg. Bei der Wahl erhielt die AfD-Frau auf 2.755 Stimmen, nur die CDU erhielt mehr. Nach Informationen des NDR scheint sich Nicole Ehlers in der Stadtvertretung gut mit Sven Uterhardt (HuI) zu verstehen, früheres NPD-Mitglied, der für die extrem rechte Wählergruppe "Heimat und Identität" in der Stadtvertretung sitzt. Dass Ehlers offenbar keine Berührungsängste mit Rechtsextremen hat, zeigen auch Bilder einer Kundgebung aus dem Mai 2021 in Schwerin, die auf einem Fotoportal, das rechtsextreme Aktivitäten dokumentiert, hinterlegt sind.
Kontakte ins extrem rechte Spektrum
Unter dem Titel "Unser Land braucht Zukunft" hatte die HuI zur Kundgebung aufgerufen, die offenbar von der NPD (Heute: Die Heimat) mitorganisiert worden war. Auf Bildern ist AfD-Politikerin Nicole Ehlers mit einem der Redner, Dennis Augustin, im Gespräch zu sehen. Der ehemalige AfD-Landesvorsitzende war 2019 aus der Partei ausgeschlossen worden, weil er frühere Verbindungen in die rechtsextreme Szene verschwiegen hat. Augustin, der damals im Kreistag Ludwigslust-Parchim saß, gründete daraufhin die Fraktion "Bürger und Identität", zu der kurz danach auch "Die Heimat" MV-Landeschef Stefan Köster gehörte. Seit der Kommunalwahl im Juni sitzt Augustin in der Stadtvertretung Ludwigslust. Weiterer Redner auf der Kundgebung war Frank Franz, Bundesvorsitzender von "Die Heimat". Zu den Besuchern gehörten auch der Rechtsextreme und ehemalige NPD-Bundesvorsitzende Udo Pastörs mit seiner Frau Marianne. Gegenüber dem NDR erklärt Nicole Ehlers: "Als Stadtvertreterin und grundsätzlich allen Menschen gegenüber halte ich die Grundbegriffe der Höflichkeit ein. Das gilt auch für Herrn Uterhardt und Herrn Augustin."
BfB: Kandidaten am rechten Rand "nicht zum Zünglein an der Waage" machen
Stadtvertreter Daniel Kleeblatt (BfB) ordnet Ehlers dem extrem rechten Spektrum zu. "Sie macht gemeinsame Sache mit denen, die öffentlich extreme Positionen vertreten und damit macht sie sich das auch zu eigen", erklärt der Stadtvertreter, der Ehlers im Wahlkampf mit dem AfD-Bundestagsabgeordneten Dietmar Friedhoff beobachtet hat. Friedhoff ist bekannt für Aussagen zum Beispiel, dass Angela Merkel das deutsche Volk auslöschen wolle. Man stärke seiner Meinung nach Kandidaten am rechten Rand, wenn man sie zum Zünglein an der Waage mache.
Trotzdem müsse man jetzt nach vorne schauen, sagen SPD und BfB, und auf sachlicher Ebene werde man wieder mit der CDU zusammenzuarbeiten - auch wenn das Vertrauen angeknackst sei, erklärt Kleeblatt. Auch die CDU hofft auf bessere Zeiten unter den Demokraten, fühlt sich aber abgestraft für die Aktion im Sommer. Bei der Wahl der Vorsitzenden für die Ausschüsse ging sie nämlich leer aus.
Hinweis: Dies ist eine überarbeitete Fassung. Nach Erscheinen des Artikels hat sich die AfD-Stadtvertreterin Nicole Ehlers gegenüber dem NDR geäußert.