Schwesig beruft Schulte zum neuen Industrie-Beauftragten
Jochen Schulte wird "Mister Zukunftswirtschaft". Die rot-rote Landesregierung hat den 60-jährigen SPD-Politiker und Staatssekretär im Wirtschaftsministerium zum neuen Industriebeauftragten des Landes und Koordinator für die maritime Wirtschaft berufen.
Es dürfte eine Mammut-Aufgabe werden. Denn anders als in anderen Bundesländern spielen Industrie und Energiewirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern eher eine kleine Rolle. Im Schiffbau - der Paradedisziplin - gab es zuletzt wegen der Pleite der MV-Werften einen deutlichen Stellenabbau. Der gelernte Jurist und Rechtsanwalt Schulte peilt die Trendumkehr an. Er soll Zukunftstechnologien ins Land holen und dem kriselnden Schiffbau helfen. Schulte will wieder mehr und gut bezahlte Jobs im Nordosten ansiedeln. Das IG-Metall-Mitglied setzt auf einen "Strukturwandel". Der hat für ihn in erster Linie mit der Abkehr von fossiler Energie wie dem Gas zu tun - der sogenannten Dekarbonisierung. Deshalb sei der Ausbau vor allem der Windkraft und der Wasserstoffwirtschaft für Mecklenburg-Vorpommern eine "vielleicht einmalige Gelegenheit", meint Schulte betont optimistisch.
Merksatz: Energie gleich Jobs
Hoffnung gehört auch zur Arbeit von Schultes Chef, Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD). Klimafreundliche Industrie siedele sich dort an, wo Energie erzeugt werde, glaubt er. Es ist das zuletzt wieder lauter vorgetragene wirtschaftspolitische Narrativ der rot-roten Landesregierung. Energie gleich Jobs, heißt der Merksatz fürs Publikum. Allerdings gilt der auch nur beschränkt, denn der Weiterbau des fast schrottreifen Kreuzfahrtriesen "Global Dream" in Wismar hat gezeigt, dass vor allem ohne Fachkräfte nicht viel läuft. Der neue Eigner, der Disney-Konzern, lässt das Schiff von der Meyer-Werft aus Papenburg, fertigstellen - und Meyer bringt eigene Leute mit nach Wismar.
Schwesig wünscht "viel Kraft und Erfolg"
Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) hat schon mal deutliche Erwartungen an den neuen "Super-Koordinator" formuliert. "Für die Umsetzung der großen industriepolitischen Aufgaben, insbesondere bei der Erarbeitung eines "Maritimen Zukunftskonzepts", wünschte die Regierungschefin "ihm viel Kraft und Erfolg". Sie sei überzeugt, dass Schulte "wichtige Impulse setzen" werde. Er sei ja gut vernetzt. Die Vereinigung der Unternehmensverbände als Lobbyverband der Wirtschaft sicherte Schulte eine konstruktive Mitarbeit zu. Es gebe viel zu tun, denn "vieles ist in den vergangenen Monaten liegen geblieben", so Geschäftsführer Sven Müller. Die IG Metall erklärte, Industrie und maritime Wirtschaft müssten gestärkt werden. Es gehe um neue Jobs in der maritimen Wirtschaft und der Industrie. "Es ist viel an Substanz verloren gegangen", bedauerte IG-Metall Bezirksleiter Daniel Friedrich in Hamburg. Die Gewerkschaft erwartet echte Anstrengungen für die angekündigte Industriepolitik.
CDU: "Für die Visitenkarte"
Viel Vorschusslorbeeren kommen vom Koalitionspartner: Mit Schultes Ernennung habe die Branche einen ausgewiesenen Experten als Ansprechpartner und Fürsprecher in der Landesregierung gewonnen, so der Linken-Abgeordnete Henning Foerster. Er sieht die "Weichen für eine aktive Industriepolitik" gestellt. Als eher unnötig empfindet die CDU-Fraktion Schultes Berufung, er sei doch längst für die Werften und die Industrie zuständig. "Wenn er das noch explizit zusätzlich auf seiner Visitenkarte stehen haben möchte, ist das für uns in Ordnung", teilte die Fraktion augenzwinkernd mit. "Wir wünschen ihm alles Gute und viel Erfolg."
19 Jahre Mitglied des Landtags
Die rot-rote Koalition hatte die Schaffung eines neuen Koordinators zur maritimen Wirtschaft vor einem Jahr angekündigt - seinerzeit zeichnete sich das Aus für die MV-Werften schon ab. Schulte hat den Job "Industriebeauftragter" schon als Wirtschaftsstaatssekretär von Beginn an mehr oder weniger "nebenbei" erledigt. Nach mehr als einem Jahr bekommt er offizielle Weihen, möglicherweise auch, weil eine externe und zusätzliche Lösung zu kompliziert erschien. Schultes Verhältnis zur Ministerpräsidentin galt dabei nicht immer als spannungsfrei. Dem gebürtigen Herforder wird nachgesagt, auch schon mal einen eigenen Kopf zu haben. Der Jurist war bis zu Schwesigs Wahlsieg im vergangenen Jahr und der anschließenden Berufung zum Staatssekretär für 19 Jahre Mitglied im Landtag. Er brachte die Opposition in seinen Reden immer wieder zum Kochen, auch weil seine detailverliebte Art auf sie oft oberlehrerhaft wirkte.
Vorsitz in zahlreichen Ausschüssen
Schulte schaffte es, sich ein eigenes "Standing" im Parlament zu erarbeiten. Beispielsweise leitete er bis 2016 den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Pleite der P&S-Werften, bei der das Land viel Geld verlor. Ab 2017 war er Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zur sogenannten AWO-Affäre. In beiden Fällen gelang es ihm, die Attacken der Opposition gegen die SPD-geführte Landesregierung weitgehend ins Leere laufen zu lassen. Nebenbei war er bis 2011 auch Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses, für seinen Fleiß wurde er mit einem Job in der ersten Reihe der Fraktion belohnt: Er stieg 2016 zum parlamentarischen Geschäftsführer auf.
Ob Schulte seine erste Bewährungsprobe im neuen Amt besteht, ist noch völlig offen. Es geht um die Ansiedlung des belgischen Unternehmens Smulders in Rostock-Warnemünde. Es will auf dem Gelände des neuen Marinearsenals Konverter-Plattformen für Windkraft auf See bauen. Bisher, so heißt es, stelle sich das Verteidigungsministerium in Berlin quer. Schulte hat mit dem Ministerium schon etliche Verhandlungsrunden hinter sich, um eine Kehrtwende hinzubekommen. Seinen neuen Job macht er eigentlich auch schon ein Jahr.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Schulte sei "ab 2011 auch Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses" gewesen. Richtig muss es heißen, "war er bis 2011 auch Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses". Diesen Fehler haben wir korrigiert.