Scharfe Kritik an Arbeitszeit und Entgelten bei Diakonie MV

Stand: 26.06.2024 16:39 Uhr

Fast 17.000 Menschen sind in den Einrichtungen des Diakonischen Werks in Mecklenburg-Vorpommerns beschäftigt. Und bei den Arbeitsbedingungen gilt das Kirchenrecht - Mitarbeiter und Gewerkschaft üben scharfe Kritik daran.

von Frank Breuner

Im Dietrich Bonhoeffer-Klinikum in Neubrandenburg arbeiten gut 3.000 Menschen. Zu welchen Entgelten, das bestimmt das Diakonische Werk Mecklenburg-Vorpommern, wie in etwa 950 anderen Einrichtungen landesweit. Auch Gerhard T. ist in der Klinik angestellt und fühlt sich nicht wertgeschätzt. T. fürchtet arbeitsrechtliche Konsequenzen, wenn er mit dem NDR redet, deshalb möchte er anonym bleiben, wir haben deshalb seinen Namen geändert.

Warum klagen Mitarbeiter über fehlende Wertschätzung?

"Ich persönlich fühle mich verarscht. Ich war während Corona immer für den Patienten da, war immer ansprechbar. Ich habe aber keine Corona-Prämie bekommen, keinen Inflationsausgleich, nichts", erzählt Gerhard T. Die Wochenarbeitszeit im Diakonischen Werk Mecklenburg-Vorpommerns liege Vollzeit immer noch bei vierzig Stunden. Die Arbeitgeber wehrten sich immer noch gegen eine Reduzierung auf achtunddreißig oder neununddreißig Stunden. Begründet würde das mit fehlenden Arbeitskräften. "Aber die werden auch weiterhin fehlen, denn ohne vernünftige Arbeitsbedingungen wird man keine neuen Arbeitskräfte finden", meint Gerhard T.

Was kritisiert ver.di?

Bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di teilt man die Kritik weitgehend. Mit der Kirche arbeite man generell gut zusammen, habe sich auf gute Tarifverträge geeinigt, nur nicht im Nordosten, erzählt Christian Wölm vom ver.di-Landesverband Nord: "Das Diakonische Werk Mecklenburg-Vorpommern ist so ein bisschen das letzte gallische Dorf in der Nordkirche in Sachen Tarifverträge, wenn man so möchte. Die Diakonie dort ist weiter auf dem Dritten Weg unterwegs." Der sogenannte Dritte Weg, das ist ein rechtliches Privileg, dass die Kirchen vom Staat erhalten haben, um ihre Arbeitsbedingungen selbst zu regeln.

Was ist der "Dritte Weg" in der Diakonie?

In der Diakonie redet man statt von Arbeitgebern und Arbeitnehmern von Dienstgebern und Dienstnehmern. Im Dritten Weg wird bestimmt, dass diese in einer Kommission zusammenkommen, um über Entgelte, Prämien oder Arbeitszeiten zu verhandeln. Findet man in dieser zu gleichen Teilen von Dienstgebern und Dienstnehmern besetzten Kommission keine Einigung, dann wird ein unabhängiger Schlichter eingeschaltet. Dessen Schiedsspruch ist dann für alle verpflichtend. Das System klingt versöhnlich, es kann aber auch Entscheidungen auf die lange Bank schieben. Und es führe dazu, dass sich Verbesserungen für die Dienstnehmer nur sehr schwer durchsetzen ließen, klagt Gerhard T. Außerdem gebe es zu viel Nähe zwischen Dienstgebern und Dienstnehmern in der Kommission.

Was sagt die Diakonie selbst zu der Kritik?

Der Dritte Weg habe sich bewährt, sagt man uns dagegen in der Zentrale der Diakonie Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin. Hier präsentieren sich Vorstand und Dienstnehmervertreter beim Interview mit dem NDR demonstrativ zusammen. "Wir sind noch nie in einer Situation gewesen, dass wir Dinge in die Schlichtung gegeben haben, wir haben uns letztendlich immer geeinigt", meint Jörg Autrum, Vertreter der Dienstnehmer. Henrike Regenstein vom Vorstand der Diakonie ergänzt: Man achte immer darauf, dass ein guter Kompromiss gefunden werde, zwischen der Schaffung guter Entgelte und guter Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden und dem, was vertretbar sei für die Gesellschaft. Denn je höher die Entgelte, desto höher letztlich auch die Kosten für einen Pflegeplatz beispielsweise. "Am Ende müssen wir uns die Frage stellen: Was ist uns die Pflege wert in diesem Land?"

Worüber wird konkret gestritten?

Die Knackpunkte zwischen Diakonie MV und der Gewerkschaft ver.di: Das Diakonische Werk hält am Dritten Weg fest, ver.di will dagegen Tarifverträge aushandeln. Die Diakonie hält noch an der 40-Stunden-Woche fest, ver.di fordert höchstens 39 Stunden. Das Diakonische Werk argumentiert damit, dass die Entgelte für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit 2020 um mehr als ein Drittel gestiegen sind - ja, sagt die Gewerkschaft, aber sie kamen auch von einem niedrigem Niveau und fordert zusätzlich Inflationsausgleichszahlungen. Mitarbeiter der Diakonie haben bereits in der vergangenen Woche eine Unterschriften-Aktion angekündigt - Ziel ist ein Inflationsausgleich von 3.000 Euro pro Beschäftigtem. Vorbild ist eine Regelung für die Beschäftigten der Diakonie Deutschland.

Wo sollen die Nachwuchskräfte herkommen?

Die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter in der Diakonie ist gering, deshalb ist auch das Druckpotential der Gewerkschaften überschaubar. Doch Christian Wölm von ver.di warnt, dass junge Menschen heute vielmehr auf Arbeitsbedingungen achten würden als früher: "Da wird in der Regel beim Vorstellungsgespräch gleich der Tarifvertrag vorgelegt und dann wird sofort gefragt: Wie ist denn die Arbeitszeit? Und wenn die Regelungen einem nicht gefallen, dann zieht man eben weiter."

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 26.06.2024 | 19:30 Uhr

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