Sassnitz: Umstrittener AfD-Politiker in die Stadtspitze gewählt
Vor gut einer Woche wurde der AfD-Politiker Tommy Thormann zum zweiten stellvertretenden Stadtpräsidenten in Sassnitz gewählt. Scharfe Kritik daran kommt von einem Rechtsextremismus-Experten und der Landes-SPD. Unklar ist, ob es vor der Wahl Absprachen zwischen Parteien gab.
Er posiert auf einem Moped, einen Stahlhelm auf dem Kopf, die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen und den Mund mit einem Tuch mit AfD-Logo verdeckt. Außerdem trägt der Mann ein T-Shirt mit der Aufschrift "It's okay to be white". Ein martialisches Posting, das der AfD-Kommunalpolitiker Tommy Thormann im Juni 2023 auf seinem Facebook-Profil veröffentlicht hat. Dazu schrieb er: "Bei besten Wetter habe ich heute bei meiner üblichen Ortskontrollfahrt nebenbei einfach mal ein paar Flugblätter verteilt und bin auch mit einigen Leuten ins Gespräch gekommen."
Bekennender Rechtsextremist im Stadtpräsidium?
Tommy Thormann ist seit Dienstag vergangener Woche zweiter stellvertretender Stadtpräsident der Stadt Sassnitz auf Rügen, gewählt mit großer Mehrheit. Künftig wird er im Vertretungsfall die Stadtvertretung leiten und bei öffentlichen Veranstaltungen repräsentieren. Bei der Kommunalwahl Anfang Juni hatte Tommy Thormann mit fast 1.300 Stimmen das beste Einzelergebnis aller Kandidaten erhalten. Der Generalsekretär der Landes-SPD, Julian Barlen, sieht in ihm einen "bekennenden Rechtsextremisten und Rassisten". Dazu hat der NDR Thormann um eine Stellungnahme gebeten. Der AfD-Politiker spricht von einer verbalen Entgleisung: "Bei der SPD macht sich offenbar Verzweiflung breit und man weiß sich jenseits von Diffamierungen und abgedroschenen Kampfvokabeln nicht mehr zu helfen."
Thormann im Verfassungsschutzgutachten erwähnt
Tatsächlich gehörte Tommy Thormann früher dem Landesvorstand der "Jungen Alternative" (JA) an, der Jugendorganisation der AfD, die vom Bundesverfassungsschutz als gesichert extremistische Bestrebung eingestuft wird. Tommy Thormann selbst tauchte auch 2019 im Verfassungsschutzgutachten zur AfD auf. Im Kapitel "Tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung in der Jungen Alternative (JA)" wird ihm Geschichtsrevisionismus vorgeworfen. Dazu wird aus einer Pressemitteilung des JA-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern vom März 2017 zitiert: In ihr heißt es: "Heute gedachten Mitglieder der JA-Mecklenburg-Vorpommern, sowie auch AfD-Mitglieder, den Opfern der alliierten Bombenangriffe auf die Stadt Sassnitz am 06. März 1945 mit einer Kranzniederlegung auf dem örtlichen Friedhof. Bevor die Kerzen entzündet wurden, ging Tommy Thormann (…) noch auf den historischen Kontext ein. Ebenso thematisierte er die Verlogenheit des etablierten Schuldkultes und den traurigen Umgang der deutschen Politik mit den eigenen Opfern."
Thormann politisch nahe bei Höcke
Der NDR hat Thormann gefragt, ob er den Begriff "Schuldkult" verwendet. Der AfD-Politiker antwortete: "Es kann (…) gut möglich sein und ist durchaus wahrscheinlich, dass ich diesen Begriff in der Vergangenheit gebraucht habe." "Schuldkult", dieses Wort verwendete auch der thüringische AfD-Chef Björn Höcke, als er die Gedenkveranstaltungen für die Opfer des NS-Regimes kritisierte. Höcke darf bekanntlich ungestraft als "Faschist" bezeichnet werden.
Thormann stehe offensichtlich den Ansichten Höckes nahe, so sieht es Daniel Trepsdorf vom Demokratiezentrum Westmecklenburg. Das zeige der Sassnitzer AfD-Politiker ganz offen in seinem Facebook-Postings, sagt Trepsdorf, der als Kommunalpolitiker für die Linke in Schwerin aktiv ist. Damit meint er unter anderem das Foto, auf dem Thormann ein T-Shirt mit der Aufschrift "It´s okay to be white" ("Es ist in Ordnung weiß zu sein") trägt. Trepsdorf erläutert den Hintergrund: "Der Spruch führt zurück bis zur 'American Nazi Party' in den späten siebziger Jahren. Ich bin mir sehr sicher, dass das Tommy Thormann auch bewusst ist." Der aber widerspricht und schreibt dem NDR: "Die Behauptung, dass der Satz in irgendeinem Zusammenhang mit Extremismus steht, ist mir neu und verwundert mich doch sehr stark."
Treffen mit Kalbitz in Sassnitz
Im September 2022 traf sich Thormann in Sassnitz mit Andreas Kalbitz, dem ehemaligen AfD-Landeschef von Brandenburg - zwei Jahre nachdem die Partei Kalbitz die Mitgliedschaft wegen dessen früheren Verbindungen zu rechtsextremistischen Organisationen entzogen hatte. Auch Kalbitz galt als exponierter Vertreter des inzwischen aufgelösten "Flügels" innerhalb der AfD um Björn Höcke. Auf einem Foto auf Facebook zeigen sich Thormann und Kalbitz Arm in Arm. Die beiden verbinde "eine lange persönliche Freundschaft weit über die Politik hinaus", so der Sassnitzer Stadtvertreter. Trepsdorf überrascht diese Nähe nicht, für ihn ist Tommy Thormann selbst ein "ultranationalistischer völkischer Politiker".
Gab es Absprachen vor der Wahl?
Wieso also wurde Thormann ins Stadtpräsidium von Sassnitz gewählt - und das mit fünfzehn von zwanzig abgegebenen Stimmen der Stadtvertreter? Einen Gegenkandidaten gab es nicht. Am Tag der Wahl sagte ein SPD-Kommunalpolitiker dem NDR, dass die Verteilung der Posten vor der Wahl abgesprochen worden sei. Tatsächlich wurde der Sozialdemokrat Norbert Benedict mit siebzehn von neunzehn abgegebenen Stimmen erneut zum Stadtpräsidenten gewählt - ebenfalls ohne Gegenkandidaten und obwohl die SPD-Fraktion gerade einmal drei Mitglieder zählt.
Inzwischen beobachten die Landes- und die Bundes-SPD die Lage und haben von Benedict Aufklärung gefordert. SPD-Generalsekretär Barlen teilte dem NDR mit, dass Benedict eine schriftliche Erklärung abgegeben habe: "Herr Benedict von der Sassnitzer SPD hat mir diesbezüglich heute schriftlich gegeben, dass es vor Ort keine Kooperation mit der AfD gibt und auch keine Absprachen gab. Davon abgesehen halte ich die Wahl des AfD-Mitglieds Thormann zum zweiten stellvertretenden Stadtpräsidenten für falsch. Herr Thormann tritt offen und bekennend rechtsextrem und rassistisch auf. Das zeigt, wie gefährlich die AfD ist."
SPD-Generalsekretär empfiehlt Abwahl Thormanns
Auch Thormann schrieb dem NDR, dass es keine Absprachen gegeben habe. Diese Aussagen stehen im Widerspruch zu einer weiteren Quelle aus der Sassnitzer Kommunalpolitik, die anonym bleiben will, aber dem NDR berichtete, dass es vor der Wahl zum Stadtpräsidium sehr wohl Vereinbarungen gegeben habe. Auf Nachfrage sagte Barlen dem NDR, er empfehle den Sassnitzer Stadtvertretern, Thormann als zweiten Stellvertretenden Stadtpräsidenten wieder abzuwählen.
Mal sehen, ob er zumindest seine eigene Partei zu dem Schritt bewegen kann. Auf eine entsprechende Anfrage des NDR an Norbert Benedict gab es keine Antwort. CDU-Landeschef Daniel Peters kommentiert die Wahl Thormanns lediglich so: "Da es sich um eine geheime Wahl handelt, sieht sich die CDU nicht veranlasst, über das Abstimmungsverhalten Einzelner zu spekulieren."