Rostock: Gemeinsames Gedenken von Angehörigen der Sinti und Roma
Die rassistischen Angriffe am Sonnenblumenhaus in Rostock Lichtenhagen jähren sich in dieser Woche zum 31. Mal. Die Gewalt richtete sich eingangs vor allem gegen Menschen aus Rumänien. In dieser Woche waren Zeitzeugen von ihnen in Rostock zu Gast, um das Erlebte aus ihrer Perspektive zu schildern.
Izabela Tiberiade und ihr Vater Romeo stehen am Freitagnachmittag zum ersten Mal gemeinsam vor dem Haus, das sich vor 31 Jahren tief in ihre Familiengeschichte eingebrannt hat. Die drei großen Sonnenblumen an der Fassade der Mecklenburger Allee 19 in Lichtenhagen strecken sich in einen friedlichen blassblauen Sommerhimmel. Doch Romeo Tiberiade ist aufgewühlt, während er sich wild gestikulierend an die Gewalt von damals erinnert: "Niemand hat eingegriffen. Die Polizei hat nichts getan. Die Jugendlichen haben uns angegriffen, das Haus angezündet und die Polizei hat einfach zugesehen. Das Gefühl dieser Machtlosigkeit, das ist immer noch da. Das fühle ich jetzt auch."
Ein Foto als Erinnerung
Ein Foto aus dieser Zeit hat die Familie aufbewahrt. Es zeigt Izabelas Mutter Ioana, wie sie vor dem Sonnenblumenhaus auf dem Asphalt sitzt. Sie hat eine Einkaufstüte in der Hand, ihre jüngste Tochter im Arm und eine Tasche. Mehr hat sie nicht.
Kein Willkommen, keine Zuflucht
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks fliehen 1992 vor allem Sinti und Roma aus Rumänien nach Deutschland. Vor der zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber, der ZAST in Lichtenhagen, eskaliert die Situation. Die Behörden erklären, dass die Kapazitäten erschöpft seien. Weder Stadt noch Land sind bereit, die Verantwortung für die weiter Ankommenden zu übernehmen. Bis zu 50 neue Asylbewerber kommen täglich dazu.
Hunderte Flüchtlinge campieren draußen auf der Wiese. Ohne Unterkunft, sanitäre Einrichtungen, ohne Geld. Die Anwohner beschweren sich. Stadt und Land bleiben untätig. Zwischen dem 22. und 26. August 1992 bricht in Rostock die Gewalt los. Es sind die massivsten rassistischen Angriffe seit Ende des zweiten Weltkriegs. "Es gab einige Bürger, die uns geholfen haben, die uns Decken und Wasser gebracht haben. Die den Nazis gesagt haben, sie sollen aufhören. Aber dann wurden auch sie angegriffen. Es waren leider nicht viele", so Romeo Tiberiade.
Nach der Gewalt: Abschiebung
Schließlich werden die Asylsuchenden am 24. August 1992 aus der ZAST geführt und auf die umliegenden Landkreise verteilt. Im Anschluss entlädt sich die Gewalt gegen das angrenzende Wohnheim der vietnamesischen Vertragsarbeiter. Viele der Roma, die vor dem Sonnenblumenhaus angegriffen wurden, werden kurze Zeit später ausgewiesen. Ihre Akten werden zehn Jahre später von den Behörden vernichtet. Die Spur zu den ersten Opfern des Pogroms verliert sich über Jahrzehnte. Es dauert lange, bis die Stadt nach den Zeitzeugen zu suchen beginnt.
Izabela Tiberiade war noch nicht geboren, als ihre Eltern vor der Gewalt in Rostock fliehen müssen. Trotzdem haben die Erfahrungen ihrer Eltern die 27-Jährige sehr geprägt. Bis zu 50 Familien sollen im 2.000 Kilometer entfernten Craiova in Südwestrumänien Angehörige haben, die 1992 nach Lichtenhagen kamen. Sie alle haben bisher geschwiegen. Izabela will helfen, dieses Schweigen zu brechen. Sie hat in Malmö Internationales Recht studiert und engagiert sich in europaweiten Netzwerken für die Rechte von Sinti und Roma. "Ich sehe, dass Rostock die vietnamesische Community sehr stark unterstützt hat. Und das gibt mir Hoffnung. Hoffnung für uns, dass wir vielleicht den gleichen Weg gehen können."
Gemeinsames Gedenken in Lichtenhagen
Die ersten Schritte dafür sind getan. Zu verdanken ist das vor allem Mitarbeitern des Dokumentationszentrums "Lichtenhagen im Gedächtnis" und der freien Fotografin Alegra Schneider. Sie spürten Familie Tiberiade in Craiova auf und bauten Brücken, die lange abgerissen waren. Dort will Rostock weitermachen. "Wir sind seit ungefähr zehn Jahren auf einem guten Weg. Indem wir uns breiter aufstellen, mit vielen Leuten reden, die sich einbringen wollen und den Prozess auch wissenschaftlich begleiten und darauf schauen, dass wir auch die Gruppen, die betroffen waren, mitnehmen“, sagt Thomas Werner vom Amt für Kultur und Denkmalpflege und Museen.
Neue Gedenktafel am Rostocker Rathaus
Im Anschluss an ihren Besuch in Lichtenhagen enthüllen Romeo Tiberiade und Rudko Kawczynski von der "Rom und Cinti Union Hamburg" eine neue Gedenktafel am Rostocker Rathaus. Damit hat die Erinnerung an das Unrecht, das Sinti und Roma 1992 widerfahren ist, jetzt einen offiziellen Platz in der Rostock Innenstadt. Noch bis Mitte September soll im Rahmen von Kundgebungen, Lesungen und Gesprächsrunden dem Pogrom vor 31 Jahren gedacht werden.