Netzumbau: Großer Energieknoten bei Schwerin geplant
Nahe Schwerin entsteht ab 2026 eine Art Strom-Autobahnkreuz. Riesige Mengen elektrischer Energie sollen von Gleich- in Wechselstrom umgewandelt, in Mecklenburg verteilt bzw. bis nach Bayern weitergeleitet werden. Die konkreten Planungen laufen bereits.
Die nackten Zahlen sind beeindruckend. In der ersten Stufe geht es zunächst um den Neubau von zwei Erdkabeln. Die Leitung "SuedOstLink+" soll von Schwerin nach Bayern führen und zwei Gigawatt Übertragungskapazität haben. Das entspricht etwas mehr als der dreifachen Leistung des Rostocker Steinkohlekraftwerks. Die "NordOstLink"-Leitung von der Nordsee nach Schwerin soll sogar vier Gigawatt übertragen können. Für "NordOstLink" suchen die Netzbetreiber 50hertz und Tennet gerade den sogenannten Präferenzraum. Das ist ein 5-10 Kilometer breiter Korridor innerhalb dessen die insgesamt vier Erdkabel verlaufen sollen. Ermittelt wird er mit digitalen Karten, dessen Software selbstständig Konflikte mit dem Naturschutz, Siedlungen, Infrastrukturen oder auch Freizeiträumen erkennen kann. Für die Leitung "SuedOstLink+" werden verschiedene 1.000 Meter breite Korridore für die Trasse diskutiert. Die Bundesregierung drückt aufs Tempo. Mehrere Gesetze vereinfachen die Planung und verkürzen dadurch die Zeit von der Veröffentlichung eines Projektes im Netzentwicklungsplan bis zur Genehmigung um ein bis zwei Jahre.
Wohnen an der Stromautobahn
Die Dörfer des Amtes Stralendorf gehören zum Speckgürtel von Schwerin. Zwischen Hügeln, Wäldern und Wiesen liegen kleine Dörfer, mit vielen historischen Bauernhäusern. Es wurde und wird aber auch viel gebaut, meist Einfamilien- oder Reihenhäuser - wegen der Nähe zur Landeshauptstadt und zur A24. Wer hier wohnt, möchte gemütlich im Grünen leben. Auch deshalb hat sich besonders die Gemeinde Stralendorf jahrelang gegen einen Windpark mit 19 Anlagen gewehrt und diesen Kampf schließlich verloren. Bürgermeister Helmut Richter hatte gehofft, dass Stralendorf mit den ungeliebten Windrädern wenigstens seinen Anteil an der Energiewende geleistet hätte. Aber die Planer der Bundesnetzagentur haben das Amt Stralendorf für die Stromautobahnen ausgewählt. Zu den Erdkabeln "SuedOstLink+" und "NordOstLink" kommt noch der Ausbau der vorhandenen 380 KV-Freileitung hinzu. Drei weitere Großvorhaben stehen bereits im Netzentwicklungsplan.
Anfangs kaum öffentliches Interesse
So eine Ballung an Netzausbauvorhaben gibt es in Mecklenburg-Vorpommern nirgendwo anders. Bei der Vorstellung des Präferenzraumverfahrens für "NordOstLink" im November 2023 verirrten sich trotzdem nur ein gutes Dutzend Vertreter und Vertreterinnen von Behörden und Institutionen in den großen Perzina-Saal in Schwerin. Eingeladen hatten die Netzbetreiber 50hertz und Tennet alle 80 Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, die vom Bau der "NordOstLink"-Leitung betroffen sind. Bei der Veranstaltung ging es um Bedarfs- und Entwicklungspläne, Suchräume, sogenannte Raumwiderstände, Arbeits- und Schutzstreifen, Bodenüberdeckung, strategische Umweltprüfungen. Da kommen nur ausgewiesene Fachleute inhaltlich mit, findet Helmut Richter. Als ehrenamtlicher Bürgermeister hat er leider keine Zeit, um sich durch hunderte Seiten an Unterlagen zu arbeiten, selbst die Fachleute in seiner Amtsverwaltung nicht, bedauert er. Dadurch haben sie den Heerscharen an jungen Fachleuten, die Leitungen, Konverter und Umspannwerke planen, nur wenig entgegenzusetzen, so der parteilose Kommunalpolitiker.
Zeit für Forderungen
Mittlerweile steht fest, wo genau das Zentrum des künftigen Energieknoten hinkommt: auf ein Feld an der Straße zwischen Mühlenbeck und Warsow. Auf über 40 Hektar soll eine Art Industriegebiet mit drei Konvertern und mehreren Umspannwerken entstehen. Der zuständige Schossiner Bürgermeister steckt in der Zwickmühle, wie alle Amtskolleginnen und Amtskollegen hier. Das öffentliche Interesse am Thema sei niedrig, aber wenn die Bagger erstmal anrollen, würden sie den Ärger und Frust ihrer Bürger abkriegen, vermutet Erwin Balschuweit. Der parteilose und ehrenamtliche Kommunalpolitiker hat seine Zweifel, ob das mit der Umstellung auf regenerative Energien überhaupt funktionieren kann, erzählt er bei einer kleinen Rundfahrt durch sein idyllisches Gemeindegebiet. Den konkreten Standort für das Umspannwerk findet er aber grundsätzlich in Ordnung. Eine alte Kiesgrube, die nach der Wende von halbseidenen westdeutschen Unternehmern zur Sondermülldeponie umfunktioniert wurde, würde er gerne beseitigen, erklärt er bei einem kurzen Stopp. Das umzäunte Deponie-Gelände liegt nur einige Meter vom künftigen Umspannwerk entfernt. Die Gemeinde könne sich eine Entsorgung nicht leisten und hoffe auf die Unterstützung der Netzbetreiber. Und ein Renaturierungsprojekt am Flüsschen Sude fiele ihm in diesem Zusammenhang auch noch ein. Umsonst sei nicht mal der Tod und genau jetzt sei der Zeitpunkt Forderungen zu stellen, erklärt Erwin Balschuweit verschmitzt.
Die Aufmerksamkeit wächst
Auf weiteren Veranstaltungen haben 50Hertz und Tennet die Anwohner der betroffenen Regionen informiert. Mitte März kommen etwa 100 Interessierte - Anwohner, Bürgermeister der Gemeinden und Landwirte - ins Schullandheim Dümmer. Sie lassen sich die technischen Details erklären, äußern aber auch ihre Bedenken. So fragt sich die Bürgermeisterin von Dümmer, Anke Gräber, was in Zukunft alles von der Gemeinde erwartet wird, etwa von der Feuerwehr. Mehrere Besucher äußern sich besorgt, was die Eingriffe in die Natur angeht.
"Es ist ein Naturschutzgebiet an der Sude entlang und es sind Biotope, wo es Amphibien gibt, die du kaum noch siehst wie Ringelnattern, Blindschleichen, Kreuzottern, Feuersalamander und und und – direkt auf dem Gebiet." - Günter Walter, Anwohner
Landwirt Hans-Henning Carstens, dessen Flächen betroffen sind, sagt, dass das fruchtbare Ackerland fehlen werde auch wenn er eine Entschädigung erhält. Außerdem habe die Gemeinde nichts davon und das Umspannwerk werde auch Lärm verursachen. Eine 50Hertz Sprecherin sagt bei der Veranstaltung in Dümmer, wenn die Unternehmen erklärten, warum und wie geplant werde, dann hätten die meisten Verständnis.
Aussicht auf Industriearbeitsplätze
"NordOstLink", "SuedostLink+" und der Ausbau der 380 KV-Leitung sind im Bundesbedarfsplangesetz festgeschrieben. Sie seien das Rückgrat der Energiewende und damit unverzichtbar, wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen möchte, erinnert Marcel Krause Programmleiter bei 50hertz. Er wirbt aber auch mit einer möglichen Ansiedlung von energieintensiven Industrie- und Gewerbebetrieben und mit zusätzlichen Steuereinnahmen, ohne genaue Zahlen nennen zu können. Heidrun Facklam, die Bürgermeisterin von Holthusen würde gerne mehr Geld einnehmen, nur das bringe nichts, erklärt die CDU-Politikerin. Ihre Gemeinde sei schon heute sehr steuerreich. Aber davon bleibe nicht viel übrig, denn von jedem Euro, die die Gemeinde mit ihren gut gefüllten Gewerbegebieten im Süden Schwerin einnehme, müsse sie über 80 Cent an ärmere Gemeinden abgeben. Von Holthusen aus sind die vor zwölf Jahren errichteten 380 KV-Hochspannungsmasten am südwestlichen Stadtrand Schwerins gut zu sehen. Ein kleiner Wald aus Metallgittermasten und ein Vorgeschmack auf den künftigen Energieknoten. Baubeginn der ersten von fünf geplanten neuen Leitungen könnte 2027 sein.