Eine ausgewachsene blaue Libelle sitzt auf einem grünen Blatt. © Dr. Michael Frank Foto: Dr. Michael Frank
Eine ausgewachsene blaue Libelle sitzt auf einem grünen Blatt. © Dr. Michael Frank Foto: Dr. Michael Frank
Eine ausgewachsene blaue Libelle sitzt auf einem grünen Blatt. © Dr. Michael Frank Foto: Dr. Michael Frank
AUDIO: Mond-Azurjungfer: Libelle des Jahres schwindet in MV (3 Min)

Mond-Azurjungfer: Libelle des Jahres schwindet in MV

Stand: 17.06.2024 04:56 Uhr

Der BUND und die Gesellschaft deutschsprachiger Odonatologen (Libellenkundler) wollen aufklären. Die Mond-Azurjungfer braucht offene Wasserflächen. Sie legt unter Wasser ihre Eier ab.

von Franziska Drewes, Franziska Drewes

Hier, in einem Landstrich bei Marlow im Landkreis Vorpommern-Rügen, sieht es idyllisch aus. Auf einem Dauergrünland blühen Kornblumen, Gräser wiegen sich im Wind. Daneben wächst Getreide. Doch der Schein trügt. Denn mittendrin befindet sich ein Feldsoll, der kaum noch zu erkennen ist hinter Igelkolben, Weidenbüschen und Farn. Vor einigen Jahren hat André Bönsel hier noch die Mond-Azurjungfer beobachten können, mehrere hundert Exemplare an nur einem Tag. "Und heute findet man an dem Gewässer gar keine einzige mehr. Die Mond-Azurjungfer ist hier in dem Gewässer ausgestorben. Und ich vermute, sie wird auch hier nichts anderes gefunden haben, weil rundherum kein Gewässer da ist, was besser aussieht". Der Feldsoll ist komplett zugewuchert und die Libelle findet hier keine Möglichkeit mehr, für neue Generationen zu sorgen.

Zugewucherte Flächen verhindern Eiablage

André Bönsel ist promovierter Landschaftsökologe. Er hat seine Doktorarbeit über Libellen und Heuschrecken geschrieben und sich mit der Frage befasst, wie sich die Artenvielfalt in einer offenen Landschaft entwickelt und das im Verhältnis zu renaturierten Regenmooren. Die Mond-Azurjungfer wird etwa 3,5 cm lang und ist sehr zart. "Das Problem für diese Art ist, dass sie sich als Tandem, also wenn Männchen und Weibchen sich gefunden haben, an den Gewässerstängeln herunterhangeln und unter Wasser gemeinsam dann die Eier ablegen. Und in den zugewachsenen Gewässern kann die Art das nicht". Denn die Mond-Azurjungfer schafft es nicht, diese Blätter auf der Wasseroberfläche wegzuschieben. Die Larven leben etwa zwei Jahre im Wasser. Als Libelle hat die Mond-Azurjungfer mit wenigen Tagen eine sehr kurze Lebensphase.

Gewässer dauerhaft pflegen

André Bönsel ist als Libellenexperte landesweit unterwegs. Er kartiert zum Beispiel für Privatinvestoren Flächen, auf denen Wind- oder Solarparks gebaut werden sollen. Er erfasst sämtliche der 56 bekannten Arten für Behörden regional und hat auch den Libellenatlas für Mecklenburg-Vorpommern geschrieben. Der Fachmann beobachtet, dass landesweit zahlreiche Feldsölle zugewuchert sind, auch andere Gewässer, die beispielsweise vor Jahren renaturiert wurden. Seiner Meinung nach liegt die Lösung des Problems darin, all diese Gewässer dauerhaft zu pflegen. "Ein Gewässer vermoort irgendwann, bildet Torf und wächst vom Rand immer weiter zu, bis es komplett geschlossen ist und dann würde Wald entstehen, selbst auf einem Gewässer." Der Ökologe verweist zudem auf die vielen Nährstoffe, die etwa über das Düngen in die Landschaft getragen werden. Sie sorgen dafür, dass auch die Vegetation an und in Gewässern schneller wächst. Deshalb sollten sämtliche Gewässer mindestens alle fünf Jahre gepflegt werden. 

Mehrere Lebensräume an einem Gewässer

Die dauerhafte Pflege von Gewässern hat laut André Bönsel noch einen weiteren Vorteil. Wenn Vegetation teilweise entnommen wird, hätten unterschiedliche Pflanzen eine Chance, sich zu entfalten und unterschiedliche Lebensräume würden an nur einem Gewässer entstehen. Auch die Mond-Azurjungfer könnte sich wieder ausbreiten. "Diese Libelle braucht offene Wasserflächen. Generell müsste passieren, dass man Vegetation entnimmt. Auch gar nicht groß geplant. Sondern man müsste einfach nur dem Landwirt sagen, fahr da mal mit deinem Trekker ran und schieb da mal ein Stück weg". Das würde auch die Artenvielfalt enorm fördern, ist sich der Libellenexperte sicher.

Schönheit fehlt Schutzstatus

Die Mond-Azurjungfer kommt vor allem in Nordeuropa vor. Richtung Osten wird sie in Weißrussland, der Ukraine, Sibirien, bis in die Mongolei gesichtet, dort sogar zahlreich. Deutschlandweit zeichnet sich ein völlig anderes Bild. Darauf macht der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) aufmerksam. Seinen Worten nach sind allein in Süddeutschland die spärlichen Vorkommen bereits fast vollständig erloschen. Die selten gewordene Kleinlibelle ist vom Aussterben bedroht. Und so kämpft André Bönsel dafür, dass die Art einen besonderen Schutzstatus erhält. "Ich bin der Meinung, dass diese Art unbedingt in die FFH-Richtlinie müsste, weil dann potentiell Gelder zur Verfügung stehen, um Pflegemaßnahmen durchzusetzen". Die Fauna-Flora-Habitat Richtlinie der EU legt fest, wo natürliche Lebensräume für Pflanzen und Tiere erhalten bzw. wiederhergestellt werden sollen.

Mond-Azurjungfer fasziniert Forscher

André Bönsel befasst sich seit seiner Jugend mit Libellen. Er fotografiert auch gern und findet die Mond-Azurjungfer besonders schön. Teile ihres Körpers schillern im Sonnenlicht azurblau und darauf ein Zeichen, das aussieht wie ein Halbmond. Doch jetzt im Juni konnte er die Libellenart nirgendwo im Land entdecken. Dennoch ist der Ökologe zuversichtlich, dass die Mond-Azurjungfer eine Chance hat. "Man könnte denken, dass es zu spät ist. Aber ich habe mich schon bei vielen Arten geirrt. Man staunt, wo sie vielleicht irgendwo sitzt und ein paar Individuen überleben". Deshalb ist seine große Botschaft, Gewässer dauerhaft zu pflegen, damit die Libelle des Jahres hierzulande wieder Lebensräume findet und eine Zukunft hat.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 17.06.2024 | 12:00 Uhr

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