Megaprojekt Bornholm: Energieinsel in der Ostsee
Die Insel Bornholm will bis 2030 die erste Energieinsel der Welt werden. Strom für mehrere Millionen Haushalte und grüner Wasserstoff sollen produziert werden. Hauptabnehmer soll via Vorpommern Deutschland werden.
Die Insel Rügen und das dänische Bornholm trennen nur knapp 100 Kilometer, aber energietechnisch liegen zwischen ihnen Welten. Sichtbares Symbol sind die umstrittenen LNG-Schiffe an der Mukraner Nordmole. Nahe dran, in einem schmucklosen Zweckbau, hat Stefan Lindberg ein kleines Büro. Dort arbeitet an der "Grünen Umstellung", wie es im Dänischen heißt. Lindberg ist auf Bornholm aufgewachsen, hat als Chief auf Frachtschiffen lange die Weltmeere befahren, war danach Flottenmanager in Hamburg. 2019 gründete er in Stralsund seine Firma Task Engineering. Sie war einer der Zulieferer der MV Werften. Die Pleite des Schiffbauers hat ihn hart getroffen und auch Geld gekostet.
Seitdem setzt er auf Erneuerbare Energien - und da kommt seine alte Heimat ins Spiel. Vor zwei Jahren hat die dänische Regierung beschlossen, Bornholm zur ersten Energieinsel der Welt zu machen. Der ehemalige dänische Umweltminister und frisch gebackene EU-Energiekommissar Dan Jørgensen bezeichnet das Projekt auch als "die dänische Version der Mondlandung". Die kann nur mit Hilfe der Nachbarn gelingen, glaubt Lindberg.
Die "dänische Version der Mondlandung"
Auch deshalb hat er zusammen mit dem Windenergienetwork Mecklenburg-Vorpommern eine kleine Informationsreise nach Bornholm organisiert. Der Bürgermeister von Sassnitz ist dabei, Vertreterinnen und Vertreter des Hafens Mukran, Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut und vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt Neustrelitz, Unternehmer aus der Schifffahrtsbranche und Wasserbauexperten wie etwa die Firma Baltic Taucher Rostock.
Schon auf der Seereise von Sassnitz/Mukran nach Rønne wird der Wandel sichtbar. Zwei Windparks passiert die Fähre "Hammershus." Für die geplante Energieinsel sollen drei weitere hinzukommen. Geplante Leistung: zwischen 3,2 und 3,8 Gigawatt. Das reicht, um über drei Millionen Haushalte mit Strom zu versorgen. Dabei hat Bornholm nur knapp 40.000 Einwohner und ähnliche Probleme wie Rügen: sinkende Wirtschaftsleistung, alternde Bevölkerung und eine einseitige Abhängigkeit vom saisonalen Tourismus. Der Berufsfischerei Verband der Bornholmer hat sich in diesem Frühjahr aufgelöst, nach 141 Jahren, weil Dorsch und Hering dauerhaft weg sind.
Radikaler Umbau von Hafen und Insel
Beim Einlaufen in der Inselhauptstadt Rønne kommt eine Großbaustelle ins Blickfeld. Das Hafenbecken wird gerade auf elf Meter vertieft. Mehrere große Bagger sind im Einsatz, Lkws kippen riesige Steinladungen ab. Raupen planieren neu aufgeschüttete Flächen. Eine neue Außenmole und zwei neue Kais sind entstanden und dafür der Fischereihafen verschwunden. Stefan Lindberg beobachtet die Bauarbeiten vom Deck der Fähre aus: "So ein Energiehafen braucht Platz. Die Schiffe sind viel größer, die Windenergie-Anlagen und ihre Fundamente riesig. Der Umbau wird das Leben auf der Insel umkrempeln".
In der Hafenverwaltung erklärt Jeppe La Cour der Delegation aus Mecklenburg-Vorpommern den "Masterplan 2050". Der gesamte Um- und Ausbau kostet über 100 Millionen Euro und ist mit Krediten finanziert. La Cour: "Wir machen nur, was sich rechnet. Da wir auf Subventionen verzichten, sind wir weitgehend von der Politik unabhängig". Umweltfreundlichen Schiffsbrennstoff wollen sie auch produzieren. Bornholm liegt direkt an einer der verkehrsreichsten Schifffahrtslinien und von einer Schiffstankstelle versprechen sie sich gute Geschäfte. Aber noch fehlen die Flotten, die Methanol oder Ammoniak anstatt Schweröl verbrennen, was billiger ist.
Neue Inselbewohner gesucht
Abschließend geht es ins stillgelegte E-Werk der Inselhauptstadt. Der prächtige Backsteinbau aus dem Jahre 1910 markierte schon einmal den Aufbruch in eine neue Zeit, erklärt Søren Møller Christensen, Chef von Energiø Bornholm. In der riesigen Maschinenhalle hängen Videowände, stehen interaktive Bildschirme, die die "dänische Mondmission" anschaulich machen. Bauzeit: 2027 bis 2029, Investitionssumme: 5,2 Milliarden Euro, 900 neue Jobs sollen entstehen, mehr als 2.000 neue Inselbewohner kommen.
Aber auch hier fehlen Fachkräfte und deshalb hoffen sie auf deutsche Zuwanderer. Die eigentliche Energieinsel wird aus drei Windparks vor der Südwestküste Bornholms bestehen und aus einem 111 Hektar großen Energieknoten an Land. Dort ist auch eine Power-to-X-Anlage geplant, die Windstrom in Wasserstoff umwandeln kann. Den meisten Platz brauchen aber Transformatoren und Gleichrichter. Gut 70 Prozent der erzeugten elektrischen Energie soll per Gleichstrom-Unterseekabel nach Deutschland geleitet werden. Und auch eine Wasserstoffpipeline ist geplant.
Ganzjährige Fährverbindung fehlt
Søren Møller Christensen: "In Zukunft sind wir physisch miteinander verbunden. Für uns ist das der Ausgangspunkt für die Kooperation von Firmen, Institutionen, von Menschen, die auf Bornholm und in Mecklenburg und Vorpommern leben." Beim Sassnitzer Bürgermeister rennt der dänische Manager offene Türen ein. Leon Kräusche: "Die Energieinsel müssen wir als Familienaufgabe begreifen. Dazu gehört aber erstmal eine dauerhafte und zuverlässige Fährverbindung."
Für den vorpommerschen Dänen Stefan Lindberg ist es wichtig, dass auch kleine Firmen beim Projekt mitmachen können. Aber noch ist das sehr beschwerlich. Wenn er im Winter von seinem Büro in Mukran nach Rønne muss, ist er den ganzen Tag mit dem Auto unterwegs, weil er nur über Rostock und Kopenhagen nach Bornholm kommt.
Dänische Energie statt russisches Gas
Mit dem Besuch auf Bornholm ist der 61-jährige Unternehmer trotzdem sehr zufrieden: "Wir hatten spannende Diskussionen, die Leute haben sich kennengelernt, eine gute Basis für ein Netzwerk geschaffen." Was aber auch klar geworden ist: Eine Energieinsel Bornholm wird es nur mit Abnehmern auf deutscher Seite geben, denn Dänemark kann so viel grüne Energie gar nicht verbrauchen. Im Königreich liegt der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix schon heute bei über 80 Prozent.
Im November ist ein Besuch der Dänen in Lubmin geplant. Dort, wo Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) 2021 noch den russischen Botschafter empfing. Aber statt auf russisches Erdgas setzt die Landesregierung nun wohl auf dänischen Ostsee-Strom und auf Wasserstoff. Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) hat sich jedenfalls angekündigt. Den Bornholmer Managern kann es recht sein. Sie wollen alles dafür tun, damit ihre Energieinsel 2030 ans Netz geht.