Leben mit Behinderung: Schweriner wollen Podcast starten
Thaisen und Tobias haben eine Behinderung und eine Idee: Sie und ihr Betreuer Mathias wollen einen Podcast machen über Menschen mit Handicap und zwar für Menschen mit und ohne Behinderung. Darüber spricht Annette Ewen mit ihnen im neuen Podcast "Dorf Stadt Kreis".
"Wie komme ich da eigentlich hin?" Das fragt sich Thaisen jedes Mal, wenn er sich mit Freunden in einem Restaurant treffen oder ein Konzert besuchen möchte. Stufe oder Rampe, gibt es eine Behindertentoilette, wo geht's da lang? Der 23-Jährige hat eine Spastik und sitzt im Rollstuhl. Seine Muskeln funktionieren nicht wie bei anderen Menschen, er kann nicht laufen oder seine Arme und Hände wie andere nutzen. Thaisen arbeitet im "Vielfalter", einem inklusiven Bistro am Schweriner Zoo. Er sitzt dort an der Kasse, nimmt die Bestellungen der Kunden an und arbeitet im Service. Die Arbeit macht ihm Spaß, sagt er.
Tobias ist 33 Jahre alt. Sein Handicap kann man nicht sehen - zumindest nicht auf den ersten Blick. Tobias hat eine psychische Beeinträchtigung - eine Depression und Borderline. Freude, Wut, Trauer - alles empfinde er viel intensiver als Andere, erzählt Tobias im Podcast. Besonders anstrengend sei es für ihn unter vielen Menschen zu sein. Immer dabei hat er deshalb seine "Skills". So nennt er zum Beispiel einen kleinen mit Sand gefüllten Luftballon. Den drückt er mit seiner Hand wenn er sehr aufgeregt ist. Das beruhigt ihn.
Beeinträchtigung? Behinderung? Handicap?
Es ist wohl meist Unsicherheit und kein böser Wille, wenn sich jemand im Alltag unsicher und zurückhaltend verhält, wenn er einem Menschen begegnet, der anders ist. Podcast-Host Annette Ewen bittet ihre Gäste, es ihr zu sagen, wenn sie nicht die ganz richtigen Worte benutzt. Beeinträchtigt? Behindert? Mit Handicap? Da geht es schon los. Er habe eine Behinderung, sagt Thaisen von sich. Er sei mit dem Wort aufgewachsen, für ihn sei nichts Schlimmes daran. Tobias hingegen möchte nicht "behindert" genannt werden, das klinge für ihn abwertend. Er habe ein Handicap, sagte er von sich. Aber: "Am Ende entscheidet jeder für sich selbst, wie er angesprochen werden möchte", sagt Thaisen.
"Nein sagen kann der Rollstuhlfahrer ja immer"
Für Mathias, den dritten Gast im Podcast, fängt Inklusion im Kleinen an. Er arbeitet als Betreuer und Assistent für Menschen mit Behinderung bei den Dreescher Werkstätten in Schwerin. Er wünscht sich einen normalen Umgang miteinander - also keine Angst zu haben etwas Falsches zu sagen oder zu machen, wenn man einem Menschen mit einer Beeinträchtigung begegnet. Er erzählt das Beispiel vom Supermarkt. Ein Rollstuhlfahrer kann nicht in die oberen Regale langen. "Biete ich ihm Hilfe an, gebe ich ihm vielleicht das Gefühl hilfsbedürftig zu sein. Das möchte ich nicht." Thaisen, der junge Mann im Rollstuhl, sieht das Ganze eher pragmatisch: Früher habe er auch Schwierigkeiten gehabt, Menschen zum Beispiel darum zu bitten, ihm die Tür zu öffnen. Mittlerweile habe er selbst da aber keine Scheu mehr. Er plädiert dafür, Hilfe anzubieten. Das würde jeder bei Menschen ohne Behinderung auch tun. Und am Ende kann der Rollstuhlfahrer immer noch sagen: Danke, das schaffe ich allein.
Ein Podcast für Menschen mit und ohne Behinderung
Ihr eigenes Erleben, ihre Erfahrungen im Umgang mit Anderen und auch die Neugier und die Lust auf etwas Neues - das alles hat die Drei auf die Idee gebracht, ihre Geschichten auch selbst zu erzählen und über Themen zu reden, die sowohl Menschen mit als auch ohne Behinderung betreffen. Und zwar in einem eigenen Podcast. "Mit und Ohne" soll er heißen, "ein Podcast für Menschen mit und ohne Behinderung." Von nicht abgesenkten Bordsteinen über Behindertentoiletten ohne Griffe, der Dauerbeschallung im Supermarkt bis hin zu gar nicht einfacher Sprache in Behördenschreiben. Themen gibt es viele. Einen Podcast aber, den Betroffene selbst machen, den gibt es offenbar noch nicht, sagt Thaisen. Zumindest habe er noch keinen gefunden.
Produktion aus eigener Hand
Alle drei - Thaisen, Tobias und Mathias - werden den Podcast gemeinsam und gleichberechtigt produzieren, wollen sich auch das Wissen dafür selbst aneignen und die für sie richtige Technik finden. Die ersten Folgen sollen dann erst einmal für Mitarbeiter und Bewohner ihrer sozialen Einrichtungen veröffentlicht werden. Ab dem kommenden Sommer dann soll er online gehen - der neuen Podcast: "Mit und Ohne - ein Podcast für Menschen mit und ohne Behinderung."
Schon jetzt online ist die neue Folge unseres Podcasts Dorf Stadt Kreis, in der sich Annette Ewen mit Thaisen, Tobias und Mathias unterhält: Hand in Hand - wie geht Inklusion? Ab sofort in der kostenlosen NDR MV App und in der ARD Audiothek.