Landesverfassung MV: Ostdeutsche Erfahrungen mit Verfassungsrang
Mecklenburg-Vorpommerns Landesverfassung wird 30 Jahre alt. Seit dem 23. Mai 1993 würdigt sie auch die Alleen und die niederdeutsche Sprache.
Der 23. Mai ist in der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns seit 1993 ein besonderes Datum. An diesem Tag trat die Landesverfassung in Kraft, wenn auch zunächst nur vorläufig. Zwanzig Männer und Frauen hatten zwei Jahre lang daran gearbeitet. Es waren Mitglieder des Landtags, Staatsrechtler, Richter und auch Bürgerrechtler, die das Ende der DDR forciert hatten. Sie hatten untereinander debattiert, Zuschriften und öffentliche Diskussionen ausgewertet, bevor sie dem Landtag im Frühjahr 1993 einen Verfassungsentwurf mit 80 Artikeln vorlegten. Er bekam im Parlament mit 53 Ja-Stimmen eine große Mehrheit. Neun Parlamentsmitglieder stimmten gegen die Landesverfassung, vier waren nicht anwesend.
Ostdeutsche Erfahrungen eingebracht
Wie in anderen Bundesländern ist auch in Mecklenburg-Vorpommern in der Verfassung geregelt, welche Rechte und Pflichten der Landtag, die Landesregierung und das Verfassungsgericht haben. Gleichwohl ist der Landesverfassung ihre ostdeutsche Geschichte noch heute anzumerken, findet Hannelore Kohl. Sie kam 1997 aus Hessen nach Greifswald, wurde zunächst Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts, später auch oberste Verfassungsrichterin. Es sei wohl den Erfahrungen aus der DDR geschuldet, dass dem Datenschutz in der Landesverfassung hohe Priorität eingeräumt wird, so die Juristin. Auch das Recht auf Zugang zu Umwelt-Informationen, die bei der öffentlichen Verwaltung vorhanden sind, sei gesondert geregelt - waren doch solche Daten in der DDR unter Verschluss gehalten worden. Eher landestypische Akzente setzt die Landesverfassung, indem sie den Alleen einen besonderen Schutz zuspricht und den Erhalt der niederdeutschen Sprache zur Aufgabe erklärt.
Nur vier Änderungen
Den Verfassungsmüttern und -vätern von damals bescheinigt Hannelore Kohl solides Handwerk, Inhalt und Geist der Verfassung seien noch heute aktuell. "Das Erstaunliche an der Verfassung Mecklenburg -Vorpommerns ist ja, dass sie sehr selten geändert worden ist." Es gab nur vier Änderungen. Hannelore Kohl: "Das ist relativ wenig." Am 23. Mai 1993 nahm die Landesverfassung allerdings nur die erste Hürde. Anfang Juni 1994 wurde sie per Volksabstimmung von den Wählerinnen und Wählern bestätigt. 60,1 Prozent stimmten mit Ja, 39,9 Prozent mit Nein.
Kritik von links
Vor allem die PDS, Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED und Vorgängerin der heutigen Linken, hatte Stimmung gegen die Verfassung gemacht. Ein wichtiger Kritikpunkt war für sie, dass das Recht auf Arbeit und das Recht auf Wohnung nicht - wie in der DDR - Verfassungsrang bekamen. Außerdem steckte Mecklenburg-Vorpommern in einer tiefen Wirtschaftskrise, keine Spur von den "blühenden Landschaften", von denen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) gesprochen hatte.
Abstimmung in schwierigen Zeiten
Rainer Prachtl (CDU) war damals Landtagspräsident und Vorsitzender der Verfassungskommission. Er war vom Abstimmungsergebnis enttäuscht, hatte aber Verständnis für die Bürgerinnen und Bürger: "Durch den Umbruch 1990 gab es Arbeitslosigkeit, Betriebsschließungen, die Landwirtschaft wurde umstrukturiert. Die Menschen hatten mit sich zu tun, die Familie nicht zu verlassen. Da waren die Leute so mit sich beschäftigt." Inzwischen hat sich Prachtl längst versöhnt mit den Verfassungsgegnern von damals: "Ich kenne heute Offiziere, ich kenne selbst Stasi-Leute, die sagen: 'Rainer Prachtl, ihr habt das richtig gemacht. Wir sind jetzt auch da angekommen und wir stehen zu dieser Verfassung'."