Hohen Luckow: Was sich seit dem Mähdrescher-Unfall verändert hat
Ein Ärzte-Team der Uniklinik Rostock muss vor genau einem Jahr einem jungen Landwirt noch auf dem Feld bei Hohen Luckow (Landkreis Rostock) beide Beine amputieren. Die Rettungskräfte und mehrere Zufälle retten dem jungen Mann das Leben.
"Er ist einer meiner Top-Leute und sehr wertvoll für unseren Hof", sagt Jochen Walther, Geschäftsführer des Guts Hohen Luckow, über den heute 26-Jährigen. "Mittlerweile arbeitet er ganz normal im Regelbetrieb." Es gehe ihm gut. Der junge Mann selbst möchte sich zu Ereignissen von damals nicht öffentlich äußern, sagt nur so viel: Er wolle nach vorne blicken. Das tun auch Rettungskräfte. Sie wollen noch besser vorbereitet sein, sollten sie jemals wieder zu einem ähnlichen Einsatz gerufen werden.
Feuerwehren setzen auf Weiterbildungen
Vor einem Jahr halfen auch Kräfte der Freiwilligen Feuerwehr aus Groß Bölkow (Landkreis Rostock). Hier kennen viele den verunglückten Landwirt aus dem Nachbardorf. "Es gab Kameraden, die super geholfen haben, aber nicht sehen wollten, wie der junge Mann im Korntank des Mähdreschers eingeklemmt war. Das ist sehr wichtig, dass die Kameraden das auch in so einer Situation äußern", sagt Sebastian Theis, Gruppenführer der Feuerwehr Groß Bölkow.
Um auf solche schweren Einsätze in Zukunft noch besser vorbereitet zu sein, gab es zu Beginn des Jahres eine Weiterbildung für Feuerwehren zu eben diesem Unfallszenario von Hohen Luckow. "Dort konnten wir allen zeigen, wie wir die Rettungsöffnung geschnitten haben, also eine Öffnung an der Seite des Mähdreschers. So kamen die Ärzte seitlich an den Patienten heran und konnten besser operieren", erklärt Sebastian Theis.
Unfall hat auch Einfluss außerhalb des Landes
Auch über Mecklenburg-Vorpommerns Grenzen hinaus sorgte der Fall für Aufsehen. Die Düsseldorfer Berufsfeuerwehr hat genau den Unfallverlauf aus Hohen Luckow aufgegriffen – für eine Fortbildung in Tellingstedt (Schleswig-Holstein). Dorthin kamen Feuerwehrleute aus ganz Deutschland. André Trebbow reiste extra aus Brandenburg an. Er ist selbst Feuerwehrmann und Vater eines Landwirts: "Wir hatten von dem Unfall bei Rostock gehört. Es kann ganz schnell sein, dass wir als Feuerwehr einen solchen Einsatz haben. Doch wir wissen gar nicht, wie die Maschinen überhaupt aufgebaut sind." Bei der Übung in Tellingstedt konnte er an einem echten Mähdrescher üben.
Unimedizin Rostock: Zusammenarbeit hat gut geklappt
Prof. Dr. Clemens Schafmayer hat die Operation vor einem Jahr auf dem Feld an der Rettungsöffnung des Mähdreschers durchgeführt. Der leitende Chirurg der Universitätsmedizin Rostock blickt zurück: "Ich war an dem Tag nicht im Dienst. Aber als Notfallchirurg ist man 365 Tage im Jahr rund um die Uhr in Bereitschaft. Innerhalb einer Stunde hatten wir das Team zusammen, sodass wir mit einem Hubschrauber von Rostock aus nach Hohen Luckow fliegen konnten." Aus Schafmayers Sicht hat damals geholfen, dass sich die Einsatzkräfte im Land gut kennen. "Wenn so ein Unfall in Mecklenburg-Vorpommern passiert, ist klar, dass ich als Leiter der Chirurgie sofort angerufen werde. Das hat damals wichtige Minuten gespart." Auch ein paar Zufälle haben geholfen. Wie Feuerwehrmann Sebastian Theis sagt, sei der Notarztwagen bereits in der Nähe gewesen. Auch der Rettungshubschrauber sei wegen eines anderen Einsatzes schon in der Luft gewesen. Beide trafen noch vor der Feuerwehr aus dem Nachbardorf ein, obwohl auch die schon wenige Minuten nach dem Notruf am Unfallort war.
Dank Prof. Dr. Clemens Schafmayer kamen auch Blutkonserven in kurzer Zeit per Helikopter nach Hohen Luckow. Es sei eigentlich ein kompliziertes Verfahren, bis die Rostocker Universitätsmedizin Blutkonserven rausgeben darf. "Dieses Verfahren mussten wir dringend vereinfachen. Notärzte können jetzt jederzeit viel einfacher Blutkonserven anfordern. Das spart im Notfall Zeit." An den Anpassungen beteiligt war auch die Rettungsleitstelle des Landkreises Rostock. Diese hat Ablaufpläne angepasst, damit im Ernstfall schnell klar ist, wer mit wem kommunizieren muss. Wie die Pläne genau aussehen, konnte der Landkreis derzeit mit Verweis auf die Urlaubszeit nicht beantworten.
Sicherheitssystem half in Hohen Luckow nicht
Damit solche Unfälle erst gar nicht passieren, gibt es auf den Mähdreschern ein Sicherheitssystem. Steht der Landwirt vom Fahrersitz auf, schalten sich automatisch das Schneidwerk vorne und die Förderschnecken im Korntank ab. Während des Unfalls vor einem Jahr liefen die Maschinen jedoch weiter. Als der junge Landwirt eine Verstopfung im Korntank lösen wollte, rutschte er mit beiden Beinen in die noch laufenden Förderschnecken. Warum diese noch liefen, wird ab September vor dem Amtsgericht Rostock geklärt.
Sicherheit auf Mähdreschern muss sich verbessern
Auf dem Hof in Hohen Luckow kehren die letzten Erntefahrzeuge zurück. Die Sommerernte ist eingeholt. Ein Überladewagen trägt noch die letzte Ausbeute eines Mähdreschers. Das letzte Korn strömt durch das Rohr des Überladewagens auf die Ladefläche eines Lkw. Während Chef Jochen Walther in den geleerten Korntank des Wagens klettert, erklärt er, dass das automatische Sicherheitssystem allein nicht ausreiche: "Dieser Überladewagen ist exakt so aufgebaut wie der Korntank eines Mähdreschers. Mit einem entscheidenden Unterschied: Dieses Gitter, auf dem wir stehen, verhindert, dass jemand in die Förderschnecken darunter rutschen kann. Das gibt es auf dem Mähdrescher nicht."
Nicht nur hier sieht Jochen Walther Verbesserungsbedarf. Die Korntanks würden regelmäßig verstopfen, mitunter sogar mehrmals während eines Erntetags. Es sei gängige Praxis, dass Landwirte in den Korntank steigen müssen, um verstopftes Getreide aus den Förderschnecken zu lösen. "Das, was vorne in den Korntank reinkommt, muss auch wieder aus dem Abtankrohr rausfließen, damit Landwirte und Erntehelfer gar nicht erst reinsteigen müssen. Da sollten die Ingenieure mal einen Wettbewerb draus machen", so Jochen Walther. Um genau diese Probleme zu besprechen, trifft er sich demnächst mit Herstellern von Mähdreschern auf seinem Hof in Hohen Luckow.