Hohe TikTok-Reichweite für die AfD: Politikberater Hillje im Interview

Stand: 25.08.2024 13:28 Uhr

Keine Partei im Land ist reichweitenstärker auf TikTok: Über 120.000 Likes erzielt die AfD Mecklenburg-Vorpommern. Woher kommt der Erfolg? Der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje erklärt im NDR Interview, was die Partei anders macht als alle anderen.

Sie wissen, wie es geht - die AfD auf TikTok.

Christine Anderson (AfD):

"Dieser Laden ist ein einziges Irrenhaus! Lasst uns um Gottes Willen diese kostspielige Party des linksgrün ideologischen Schwachsinns ein für alle Mal beenden."

Nikolaus Kramer (AfD):

"Die teils geifernde Berichterstattung glich einer willkommenen Hexenjagd und trug zu einer weiteren gesellschaftlichen Stigmatisierung der AfD bei."

Kurze Clips, kernige Botschaften und eine Riesenreichweite. Das, was der AfD auf Bundesebene gelingt, das schafft sie auch hier in Mecklenburg-Vorpommern. Ihre politische Botschaft reichweitenstark an den Wähler zu bringen." Ein brisantes Thema der rechten Community: der Fall einer Ribnitzer Schülerin. Ende Februar bestellt sie der Schulleiter zum polizeilichen Aufklärungsgespräch, da sie mutmaßlich rechtes Gedankengut geteilt haben soll – auf TikTok.

Candy Jacob (Mitglied "Junge Alternative"):

"Dort sprach sie darüber, dass Deutschland für sie nicht nur ein Ort, sondern ihre Heimat ist. Statt das Mädchen zu unterstützen wird sie selbst als Verbrecherin hingestellt."

Eine Regionalnachricht aus Mecklenburg-Vorpommern - aufgegriffen von einer reichweitenstarken Influencerin der Jungen Alternative Thüringen. Dahinter steckt ein recht populäres Prinzip. Es geht um Vernetzung: und da stehen dann parteinahe Influencer neben Alternativmedienmachern und AfD-Politikern im Netz Seit an Seit.

Die Vernetzungsstrategie geht auf. Mit über 120.000 Likes führt die AfD auf TikTok. Danach weitab: Linke, SPD und CDU und FDP. Die Grünen im Land haben nicht einmal einen Account. Dabei ist TikTok einflussreicher denn je: über 40 Prozent der 16- bis 29-Jährigen nutzen es.

Christoph Cyrulies (NDR): Wie ist der Social-Media-Erfolg der AfD hier in Mecklenburg-Vorpommern eigentlich zu erklären und wie gehen die anderen Fraktionen damit um - Fragen an den Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje.

Johannes Hillje (Politik- und Kommunikationsberater): Hallo. Schönen guten Tag.

Cyrulies: Dann frage ich Sie jetzt gleich mal konkret: Wie verpacken denn Leif-Erik Holm, Petra Federau oder Nikolaus Kramer die Botschaften auf TikTok im Gegensatz zu den anderen?

Hillje: Die Botschaften von AfD-Politikerinnen und -Politikern sind sehr stark emotionalisierend, polarisierend und auch provozierend. Und das ist eben insbesondere auf TikTok das Erfolgsrezept. Sie müssen es in den allerersten Momenten schaffen, das Publikum für sich zu gewinnen. Und da gibt es dann im Grunde bei der AfD immer diesen Ansatz so etwas wie einen Köder zu setzen, der sofort am Anfang für alle Nutzerinnen und Nutzer, die das Video schauen, sichtbar oder hörbar ist. Manchmal gibt es so kleine Texteinblendungen in den Videos, da heißt es dann 'Bürgerverarsche', oder es ist von 'Umerziehung' die Rede. Und da werden sofort die Emotionen des Publikums angesprochen. Und wenn man die Menschen über die Emotion gewinnt, dann schauen sie in der Regel erst mal dieses Video weiter. Und das ist etwas, was die AfD sehr professionalisiert hat auf TikTok in den ersten Momenten eine emotionale Botschaft zu setzen, um dann das Weiterschauen des Publikums zu ermöglichen und dann später auch die Botschaften ein bisschen zu verändern im Laufe des Videos.

Über Johannes Hillje

  • Hillje arbeitet seit 2014 als selbstständiger Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel
  • davor hat er als Wahlkampfmanager der Europäischen Grünen Partei zu den Europawahlen 2014 gearbeitet
  • außerdem war er für das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) in New York im Bereich “Global Campaigning & Communications” tätig sowie als Journalist beim ZDF und der Nordwest-Zeitung
  • Hillje hat zu politischer Kommunikation promoviert, einen Masterabschluss in “Politics & Communication” an der London School of Economics (LSE) erlangt sowie einen Magisterabschluss in Politikwissenschaft und Publizistik von der Johannes-Gutenberg-Universität.

Cyrulies: Aber es scheint ja der Plattformlogik zu entsprechen. Wäre das dann für die anderen Parteien eigentlich auch eine Option, das in so einem gewissen Maße fortzuführen?

Hillje: Ich glaube, die anderen Parteien müssen im Grunde eine demokratische Emotionalisierung lernen. Es gibt oftmals unter den demokratischen Kräften ein Missverständnis überhaupt über Emotionalität in der Politik. Das erlebe ich sehr oft in meiner Beratungstätigkeit. Da wird geglaubt, dass Emotionalisierung so etwas wie Entsachlichung sei. Da wird auch geglaubt, dass Emotionen nur so starke Affekte wie Wut und Angst sein. Aber das sind im Grunde Missverständnisse über das, was Emotionen eigentlich sind. Emotionen sind erstmal immer da bei Menschen, auch wenn sie über Politik nachdenken. Es gibt so etwas wie den rationalen Wähler, die rationale Wählerin gar nicht. Auch Wahlentscheidungen sind ein Stück weit immer emotional grundiert. Und dann muss man sich, glaube ich, überlegen, wie kann man denn auf eine demokratiekompatible Art und Weise mit Emotionen umgehen? Und ich glaube, dass es auch dafür Beispiele gibt. Alle erinnern sich an Barack Obama und seinen Wahlkampf, der sehr stark auf die Emotion der Hoffnung gesetzt hat. Das ist ein gutes Beispiel für eine demokratiekompatible Emotionalisierung, vielleicht auch so etwas wie ein inklusives Wir zu schaffen, also nicht ein Wir, was auf 'Wir gegen Die' beruht - bei der AfD - also auf Ausgrenzung, sondern eher ein Wir, das auf Inklusion, also der möglichst breiten Beteiligung von allen möglichen Gruppen in der Bevölkerung, besteht. All das ist etwas, was zu einer emotionaleren politischen Kommunikation beitragen kann. Und das ist, glaube ich, etwas, was die anderen Parteien stärker lernen müssen.

Cyrulies: Was ich jetzt gerne mit Ihnen nochmal beleuchten würde wollen ist der Unterschied zwischen den Ost-Landesverbänden der AfD. Wir haben jetzt im Rahmen der Ost-Landtagswahlen eigentlich bundesweit die Debatte um den Wahlkampf auf TikTok, der da stattfindet. Und wenn ich mir Accounts wie den von Björn Höcke zum Beispiel anschaue, dann nehme ich doch eher wahr, dass die Wortführerschaft, sage ich mal so, in Thüringen verortet ist oder bei Hans-Christoph Berndt in Brandenburg. Wie ordnen Sie da Mecklenburg-Vorpommern im Vergleich einen der rhetorischen oder in der kommunikativen Dominanz?

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Hillje: Naja, es ist schon so, dass wir eher in Mecklenburg-Vorpommern eine Übernahme von Botschaften, auch von sogenannten Framings, also besonders zugespitzten Deutungsrahmen, von anderen AfD-Politikern aus anderen Landesverbänden sehen. Also Höcke ist jemand, der sehr viel zitiert wird, auf den Bezug genommen wird von AfD-Politikern aus Mecklenburg-Vorpommern. Also es gibt dort jetzt, würde ich sagen, nicht so sehr die rhetorischen Leuchttürme bei der AfD in Mecklenburg-Vorpommern. Natürlich ist Leif-Erik Holm jemand, der ja im Bundestag für die AfD sitzt, aus Mecklenburg-Vorpommern kommt und auch durchaus auf Bundesebene eine Sichtbarkeit hat. Er sitzt auch öfter mal in Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, auch in anderen Fernsehsendern. Also, der hat schon eine gewisse Sichtbarkeit. Aber er ist auch nicht unbedingt der, an dem sich jetzt besonders viele in der Partei orientieren. Das sind dann ja wirklich eher so Menschen wie Björn Höcke, die so etwas wie die ideologischen Taktgeber in der AfD sind. Und Björn Höcke ist durchaus auch jemand, der natürlich rhetorisch talentierter ist als andere in der AfD und auch kommunikativ durchaus geschickter ist als anderer in der AfD und deshalb auch so etwas wie eine Vorbildfunktion für manche sicher in der Partei hat. Es gibt auch ein paar andere: Ulrich Siegmund beispielsweise in Sachsen-Anhalt ist jemand, der auf TikTok sehr, sehr stark ist, dort auch so einen eigenen Kommunikationsstil ein Stück weit geprägt hat, eine große Reichweite aufgebaut hat. Und auch das ist jemand, den sich andere in der AfD zum Vorbild nehmen. Manche auch immer noch Maximilian Krah aus Sachsen, aber solche bundesweit gesehenen Führungspersönlichkeiten in der AfD sehen wir eigentlich nicht so sehr aus Mecklenburg-Vorpommern kommend.

Cyrulies: Überspitzt gefragt: Ist dann die AfD in Mecklenburg-Vorpommern im Vergleich zu den anderen Verbänden brav?

Hillje: Das würde ich nicht sagen. Weil, wenn man sich auch mal die Verbindungen anguckt, von auch beispielsweise dem Fraktionschef der AfD aus Mecklenburg-Vorpommern, auch zur extremen rechten Szene - die Vernetzung, die dort stattfindet, ins rechtsextreme Milieu und auch die klare Sympathie, die zu Björn Höcke zum Ausdruck gebracht wird, dann würde ich nicht sagen, dass dieser Landesverband und auch gerade das Spitzenpersonal des Landesverbandes jetzt in irgendeiner Form moderater ist. Sie sind ja als Landesverband nicht als 'gesichert rechtsextrem' eingeschätzt, wie jetzt beispielsweise in Thüringen und Sachsen, aber trotzdem gibt es da überhaupt gar keine Scheu und gar keine Berührungsängste mit den extrem rechten Kräften aus der Partei und auch aus dem Vorfeld.

Cyrulies: Es geht ja auch darum, als Landesregierung zum Beispiel auf diesen Social-Media-Plattformen präsent zu sein. Da werden beträchtliche Summen eigentlich auch schon dafür umgesetzt. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es über 50 Stellen in allen acht Ministerien und der Staatskanzlei im Bereich Social-& Media-Präsenz. Und der Bund der deutschen Steuerzahler hat gesagt, dass wir da von Sach- und Personalkosten von mindestens 5,3 Millionen Euro alleine im Jahr 2023 sprechen. Braucht es diese Masse an Geld, um letztendlich dann doch nicht so wirklich reichweitenstarke Kanäle zu etablieren?

Hillje: Also, das Geld ist sicher nicht das Problem von den etablierten Parteien, aber auch den Ministerien und anderen öffentlichen Einrichtungen. Weil andere Akteure, und da würde ich die AfD zuzählen, ja auch mit weniger Ressourcen mehr Reichweite erzeugen. Und es geht viel öfter eigentlich darum, erst einmal die Kommunikationskultur auf einer Plattform zu verstehen. Wer ist dort eigentlich meine Zielgruppe? Für welche Inhalte interessieren die sich und was für Formate sind eigentlich entscheidend auf dieser Plattform? Und da haben wir eben schon darüber gesprochen, dass TikTok eben besondere Anforderungen an das Format stellt, dass man das Publikum eigentlich in den ersten Sekunden überzeugt, weiterzuschauen. Das Video muss auch einen besonderen Zuschnitt natürlich haben, und das sind etwas andere Voraussetzungen als auf anderen Plattformen. Aber ich glaube, es fehlt eigentlich oftmals an einem Verständnis für die Kommunikationskultur auf einer bestimmten Plattform und auch vielleicht ein bisschen an Bereitschaft, sich auf diese Kommunikationskultur einzulassen. Und am Ende ist es dann nicht das Geld, sondern das ist wirklich die Botschaft, die relevant sein muss für das Publikum auf TikTok, für die jungen Leute. Man muss Themen ansprechen, die wirklich relevant sind für den Lebensalltag der jungen Menschen. Und man muss es dann in einer Sprache rüberbringen, die auch ein Stück weit von jungen Menschen gesprochen und verstanden wird. Das heißt nicht, dass man dort Jugendsprech imitieren sollte. Auch das würde ja nicht zu einer Glaubwürdigkeit bei Politikern führen. Aber man muss schon einfach und verständlich sprechen. So, wie dass Politikerinnen und Politiker eigentlich immer tun sollten, wenn sie eine breite Öffentlichkeit adressieren. Aber vielleicht noch mal ein bisschen anders, wenn sie junge Menschen ansprechen. Und dass man wirklich so zielgruppen- und plattformspezifisch Formate entwickelt. Das ist etwas, dass ich noch oft vermisse in der Kommunikation von Ministerien. Und das könnte man zum Teil auch sogar mit weniger Ressourcen machen.

Cyrulies: Wie gehen die Parteien mit dem Social-Media-Erfolg der AfD um - eine Analyse speziell hier für Mecklenburg-Vorpommern von Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje.

Hillje: Sehr gerne, schönen Tag noch.

 

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Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 28.08.2024 | 19:30 Uhr

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