"Heldengedenken" und "Deutschland zuerst" - AfD driftet weiter ins Völkische
Die Landes-AfD übernimmt immer stärker Handeln und Sprache der ehemaligen NPD. Das hat sich am Wochenende nicht nur beim Parteitag in Neubrandenburg gezeigt, sondern auch bei den Aktionen rund um den zurückliegenden Volkstrauertag. Eine Analyse.
Der AfD-Kreisverband Rostock hat jüngst ein Foto veröffentlicht, das den Landtagsabgeordneten Michael Meister zeigt. Zu sehen ist, wie Meister beim Volkstrauertag einen Kranz mit Trauerschleifen in blauer Parteifarbe und in Schwarz-Rot-Gold trägt. In Frakturschrift ist zu lesen: "Ewig lebt der Totentatenruhm!" Der Spruch stammt aus der Neo-Nazi-Szene und dient dazu, Verbrechen von Hitlers Wehrmacht zu verherrlichen. Die Neonazi-Kleinpartei "III. Weg" nutzt ihn ebenso wie NS-Szeneshops, die T-Shirts mit dem Spruch und Bildern von Männern der Waffen-SS verkaufen. Vor Jahren fiel auch die rechtsextreme NPD mit solchen Aussagen auf - die AfD hat sie übernommen.
Begrüßung für Rechtsextreme
Der Rostocker Abgeordnete Meister war am Wochenende beim AfD-Parteitag in Neubrandenburg dabei. Die Versammlung bestimmte die Kandidaten für die bevorstehende Bundestagswahl. Wie viele andere begrüßte Meister dort Parteifreunde, die in der rechtsextremen Szene gut bekannt sind. Den ehemaligen Chef der Identitären Bewegung, Daniel Fiß, zum Beispiel oder das Ex-Nordkreuz-Mitglied Haik Jäger, der wegen Verstößen gegen das Waffengesetz verurteilt wurde und den das Innenministerium aus dem Polizeidienst entfernen will. Beide gehörten mit zu den gut 450 Mitgliedern, die immer wieder völkisch-nationalistischen Aussagen applaudierten.
AfD-Politiker sieht Partei im "politischen Krieg"
Ein Beispiel lieferte Dietmar Friedhoff, AfD-Fraktionschef im Kreistag Ludwigslust-Parchim. Friedhoff ist über die Landesliste Niedersachsen 2021 in den Bundestag eingezogen, Mecklenburg-Vorpommern ist seine neue Heimat. Den Parteitag versuchte er mit martialischen Tönen einzuschwören: "Wir befinden uns in einem politischen Krieg. Es ist ein Krieg gegen unsere Werte, gegen unsere Heimat, gegen unser Deutsch-Sein", behauptete Friedhoff im Stil eines Gotteskriegers. In diesem Krieg seien "politische Kämpfer, politische Krieger" nötig. Friedhoff meinte die AfD-Abgeordneten im Bundestag. Die müssten "Mut, Disziplin und Ausdauer" haben.
Aussagen wie bei der NPD
Friedhoff ging mit seiner Kriegsrhetorik noch weiter. Die AfD müsse nach der Bundestagswahl "im Angriffsmodus" bleiben. Der 58-jährige gebürtige Westfale nannte die Migration "eine Waffe" der anderen. Der Wahlkampf werde deshalb zu "einem Kampf um das Überleben unserer deutschen Nation". Unter dem Beifall des Parteitags forderte er "Remigration, klar und unmissverständlich, jetzt und sofort" - also die willkürliche Abschiebung von Menschen, ohne Rücksicht auf Einzelschicksale, müsse das Ziel bleiben. Das "Sozialamt Deutschland" sei zu schließen. Auch diese Passage ist der NPD entlehnt.
Komning will "Deutschland zuerst"
Beifall für Nationalistisches und Deutschtümelei gab es auch für den Neubrandenburger Bundestagsabgeordneten Enrico Komning, der einer extrem rechten Burschenschaft angehört. Komning sagte, die AfD wolle das Beste "für unser Land, für unser Volk, für unsere Traditionen und für unsere Nation". Und er legte im Stil eines lupenreinen Nationalisten noch nach: "Das Eigene gehört uns, das Eigene sind wir selbst. Wir werden das Eigene verteidigen, komme, was da wolle." Und er schloss mit dem Spruch: "Deutschland zuerst."
"Angriff auf das, was Deutschland auszeichnet"
Für den Berliner Politikwissenschaftler Professor Hajo Funke sind diese Aussagen keine Überraschung. "Das ist ein massiver Angriff auf das, was Deutschland auszeichnet", sagte er mit Hinweis auf die Forderung der "Remigration". Die AfD habe seit einiger Zeit eine eindeutig rassistisch-völkische Ausrichtung, sagte Funke. Deshalb stütze die Partei die besonders Radikalen um den Thüringer Parteichef Björn Höcke. Wegen ihrer Gefährlichkeit sei die Brandmauer der anderen Parteien besonders wichtig.
Rechtsextremist mit bestem Ergebnis
Der AfD-Abgeordnete Komning wurde in Neubrandenburg auf Listenplatz 2 gewählt - er hatte keinen Gegenkandidaten. Das galt auch für Dario Seifert auf Listenplatz 3. Der AfD-Fraktionschef in der Stralsunder Bürgschaft gab sich auf dem Parteitag gewohnt völkisch. Er wolle keine westdeutschen Verhältnisse in Mecklenburg-Vorpommern, sagte er unter dem Beifall der Mitglieder: "Ich möchte, dass Deutschland auch in Zukunft das Land der Deutschen bleibt." Seiferts Rechtsextremismus hat sich beispielsweise erst beim vergangenen Volkstrauertag, an dem aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht wird, gezeigt. Seifert tat das im Stil des "Heldengedenktags" der Nationalsozialisten und griff auf die Sprache der Nazis zurück, indem er ausschließlich "in tiefer Ehrfurcht an die tapferen Helden unseres Volkes" erinnerte - gemeint ist Hitlers Wehrmacht. Beim Parteitag in Neubrandenburg bekam Seifert mit 429 Stimmen das beste Ergebnis überhaupt.
Verfassungsschutz stuft JA als rechtsextrem ein
Seifert gehört dem mitgliederstärksten Kreisverband Vorpommern-Rügen an. Der hat von rund 1.500 AfD-Anhängern gut 430 in seinen Reihen. Der Stralsunder hat außerdem den Rückhalt der Jungen Alternativen (JA), dessen Gründungsvorsitzender er in Mecklenburg-Vorpommern war. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die JA als gesichert rechtsextremistisch ein. Das Verwaltungsgericht Köln hat diese Einschätzung bestätigt: Die JA vertrete "einen völkisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff. Der Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand und nach Möglichkeit der Ausschluss 'ethnisch Fremder' ist eine zentrale politische Vorstellung der JA. Dies stellt einen Verstoß gegen die Menschenwürde dar", entschieden die Richter im Februar.
AfD hat kein Problem mit der JA
Die Landes-AfD stört das nicht. Im Gegenteil: Vor allem Landtagsabgeordnete suchten in Neubrandenburg den Schulterschluss mit der JA. Ein blaues T-Shirt mit dem JA-Flammen-Symbol, das faschistischer Bildersprache entlehnt ist, war heiß begehrt. Wegen großer Leibesfülle musste ein Abgeordneter allerdings den Versuch, das rechtsextreme Bekenntnis überzustreifen, erfolglos abbrechen. Andere stellten sich dagegen blaugekleidet und gutgelaunt zum Gruppenfoto. Öffentliche Kritik an der JA war unerwünscht. Der ehemalige JA-Chef Robert Schnell, der in Neubrandenburg auf Listenplatz 6 gewählt wurde, diffamierte vom Rednerpult aus beispielsweise namentlich einen Journalisten für kritische Berichterstattung zur JA. Die "Jungs von der JA" seien nicht rechtsextrem, sondern sie hätten "nur extrem viel recht", rief er unter dem Beifall des Parteitags. Die JA sei "ein wichtiger Motor für die Partei", meinte Schnell. Er werde "immer zur JA stehen".
"Rechtsextremismus-Stempel zieht nicht mehr"
Die Politikwissenschaftlerin an der Universität Trier, Dr. Anna-Sophie Heinze, machte klar, dass die JA vor allem bei Jungwählern längst nicht mehr abstoßend wirke. Die Organisation sei bei jungen Menschen "relativ erfolgreich", das hätten auch die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gezeigt. Für die Spitze der AfD sei es mittlerweile "zu spät, um sich glaubhaft abzugrenzen" vom Rechtsextremismus der JA. Allerdings würden ohnehin rund 80 Prozent der eigenen Anhänger erklären, es sei ihnen egal, dass die AfD in Teilen als rechtsextrem gilt. "Der Stempel des Rechtsextremismus zieht nicht mehr", sagte Heinze.
Holm sucht Pakt mit JA-Frontmann
Wie eng die Landes-AfD mit der rechtsextremen JA verbunden ist, zeigt auch der Beschluss, die Jugendorganisation mit ihrem Vorsitzenden Alexander Tschich stärker zu fördern. Die Partei stockt ihre finanzielle Hilfen von 1.500 auf 5.000 Euro auf. Auch personell rückt man zusammen. Der AfD-Landeschef Leif-Erik Holm hat offenkundig ein Bündnis mit dem Frontmann Seifert geschlossen. Seifert schlug Holm für Listenplatz 1 vor, Holm warb nach erfolgreicher Wahl für Seifert auf Listenplatz 3. Beide umarmten sich demonstrativ.
Aus Widersachern werden Bündnispartner
Dabei waren Holm und Seifert vor einiger Zeit noch erbitterte Gegner. Holm wollte Seifert wegen angeblich zu großer Nähe zu Rechtsextremen aus der Partei werfen lassen. Das Ausschlussverfahren verlief allerdings im Sande. Das Landesschiedsgericht verhängte dennoch eine Ämtersperre gegen Seifert. Er darf keine parteiinternen Funktionen annehmen - wohl aber für politische Mandate kandidieren. Seifert ist beispielsweise Direktkandidat für den Wahlkreis Rügen-Stralsund. Das war bisher Holms Wahlkreis, er tritt jetzt in Westmecklenburg an.
Holm vor Scheitern?
Für Holm könnte der Wechsel zum Verhängnis werden, denn Westmecklenburg gilt anders als Vorpommern nicht als AfD-Hochburg. Wenn seine AfD bei der Wahl mehrere Direktmandate gewinnt, könnte am Ende die Liste "nicht ziehen". Trotz Spitzenkandidatur würde Holm dann leer ausgehen und möglicherweise aus dem Bundestag fliegen. Sein Paktieren mit den Rechtsextremen in der AfD wäre damit gescheitert.