Fachkräftemangel und strukturelle Schwächen belasten den Schutz von Kindern
In Mecklenburg-Vorpommern nimmt die Zahl schwerer Fälle von Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zu, während soziale Einrichtungen stark belastet sind. Wie schätzen Experten die Lage ein? Welche Lösungen gibt es?
Fachkräftemangel, fehlende Qualifikation, zunehmende Gewalt - der Schutz von Kindern und Jugendlichen in Mecklenburg-Vorpommern steht vor einigen Herausforderungen. Dabei ist die Lage ernst. Auf der letzten Kinder- und Jugendschutzkonferenz im Mai stand vor allem die Kindeswohlgefährdungen im Fokus. Die Zahl der Fälle von Mobbing, Misshandlung oder Vernachlässigung ist in den letzten Jahren in MV gestiegen. Und auch an Schulen im Land gibt es mehr Fälle von Gewalt.
Fachkräftemangel verschärft die Lage
Doch an vielen Stellen fehlt Personal, um Kinder und Jugendliche angemessen und auch individuell betreuen und in Krisensituationen begleiten zu können. Viele Expertinnen und Experten sprechen beim Fachkräftemangel von einem der zentralen Probleme, wenn es um den Schutz von Kindern und Jugendlichen geht. Dieser führt auch dazu, dass Kinder und Jugendliche in akuten Krisensituationen oft lange auf Diagnostik und Therapie warten müssen. Auch niedergelassene Kinder- und Jugendtherapeuten können in vielen Fällen keine neuen Patientinnen und Patienten mehr aufnehmen, so der Kinderschutzbund MV. Dadurch herrsche auch eine hohe Belastung beim Personal, erklären das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) in MV. Personalausfälle könnten so oft nicht ausgeglichen werde. Außerdem würden in ländlichen Regionen spezialisierte Fachkräfte fehlen. Diese werden aber dringend gebraucht, sagt Rainer Becker von der Deutschen Kinderhilfe. Aber "wenn sie Sozialpädagogik oder soziale Arbeit studieren, dann gehört Kinderschutz nicht obligatorisch zu den Studieninhalten", bemängelt Becker. Und auch das DRK MV bedauert es, "dass aktuell immer noch nicht die Qualität der Fachkräfte im Fokus steht."
Gesellschaftliche Veränderungen und steigender Druck auf Familien
Dabei sind viele Familien, Kinder und Jugendliche belastet von dem, was in der Welt passiert, und brauchen mitunter individuelle Hilfe. Auch die Corona-Pandemie zeigt ihre Nachwirkungen bis heute, so der ASB MV. "Kinder und Jugendliche haben in der Zeit mitbekommen, dass Erwachsene an ihre Grenzen kommen", sagt die Geschäftsführerin der ASB Kinder- und Jugendhilfe, Andrea Rittiger. In der Zeit nach der Pandemie hat sich die Welt weiter verändert. "Finanzielle und systemische Probleme haben die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen in Mecklenburg-Vorpommern nachhaltig beeinträchtigt", so die Einschätzung des DRK MV. Diese Überforderungen führten häufig zu Gewalt und Vernachlässigung, die oft lange unentdeckt blieben.
Besonders besorgniserregend sei die Situation der Frauenhäuser, in denen Mütter mit ihren Kindern Schutz suchen, bemängelt der Kinderschutzbund. Hier fehle es oft an personellen Ressourcen, um die traumatisierten Kinder angemessen zu betreuen. Psychische Erkrankungen seien mittlerweile der häufigste Grund für Klinikaufenthalte bei Jugendlichen im Alter von 10 bis 17 Jahren - die Auswirkungen der Pandemie seien auch hier weiterhin spürbar.
Positive Ansätze: Das Childhood-Haus in Schwerin
Laut Rainer Becker ist das Childhood-Haus in Schwerin ein gelungenes Modellprojekt. Diese Einrichtung bietet von Gewalt betroffenen Kindern eine zentrale Anlaufstelle, an der sie sowohl medizinisch als auch psychologisch betreut werden. Dennoch bleibt die Versorgungslage in Mecklenburg-Vorpommern unzureichend. In anderen Landgerichtsbezirken außerhalb von Schwerin fehlen ähnliche Angebote, was die Versorgungslücken in der Fläche noch deutlicher macht, heißt es vom Kinderschutzbund MV. Auch die Kinderschutz-Hotline in MV, die seit 2008 existiert, spielt eine wichtige Rolle im Kampf gegen Kindesmisshandlung, erklärt Becker. Über diese Hotline können Bürger anonym Hinweise auf Kindeswohlgefährdungen melden.
Kinderschutzgesetz in MV: Geplante Verbesserungen
In Mecklenburg-Vorpommern wird aktuell ein neues Kinderschutzgesetz vorbereitet, das voraussichtlich im Frühjahr 2025 zur Ressortanhörung vorgelegt werden soll. Das Sozialministerium gibt an, dass das Gesetz darauf abzielt, die Rechte von Kindern und Jugendlichen zu stärken und die Qualifikation der Fachkräfte im Bereich Kinderschutz zu verbessern. Ministerin Stefanie Drese (SPD) betont, dass das Gesetz die fachliche Zusammenarbeit verbessern und bestehende Standards im Kinderschutz weiterentwickeln soll. Für Becker ist aber klar, dass die Probleme nicht nur "verwaltet werden" dürfen: "Es muss mehr mitgedacht und mehr gemacht werden und das Ganze muss eben auch in Handlungen umgesetzt werden."
Anzeichen für Misshandlungen: Wann sollte man reagieren?
"Misshandelte Kinder werden oft erst in der Kita oder Schule sichtbar", so die Deutsche Kinderhilfe. Viele Anzeichen würden lange unbemerkt bleiben. Wichtige Warnsignale, die auf Misshandlungen hindeuten können, seien:
- häufige Fehlzeiten, besonders nach Wochenenden oder Ferien
- unpassende Kleidung, die Verletzungen verdecken soll
- unspezifische Befreiung(en) von sportlichen Aktivitäten, um Spuren am Körper zu verbergen
- unstimmige oder unlogische Erklärungen für Verletzungen
"Egal, ob Kita-Erzieherin, Lehrer oder Nachbar - Menschen, die so etwas wahrnehmen, sollten sich auf keinen Fall raushalten", sagt Rainer Becker, Ehrenvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe. In solchen Fällen seien das jeweilige Jugendamt oder die Polizei die richtigen Ansprechpartner. Er betont: "Man sollte lieber einmal zu viel als einmal zu wenig handeln. Ein frühzeitiges Eingreifen kann lebensrettend sein."