Die Kinderbeauftragte: Mit Kinderaugen durch Greifswald
Wo fehlen Spielmöglichkeiten? Ist diese Baustelle kindersicher? Kassandra Engel ist die Schnittstelle zwischen Kindern und Politikern und setzt sich für die Rechte junger Menschen in Greifswald ein - in ihrer Freizeit.
"Nein, nicht das Buch, Leonard, das ist langweilig." - Die achtjährige Hedwig und ihr jüngerer Bruder stehen vor vier übereinander gestapelten und bunt bemalten Holzkisten so hoch wie eine Tür. In den oberen beiden sind Bücher für Kinder und Erwachsene. Der siebenjährige Leonard zieht einen Atlas heraus und liest: "Deutsch-land". "Bücherbaum" nennt sich dieser Turm aus bunten Kisten. Er ist auf Initiative von Kassandra Engel entstanden. Die 36-Jährige ist seit fünf Jahren die ehrenamtliche Kinderbeauftragte der Universitäts- und Hansestadt Greifswald. "Alle im Umfeld freuen sich über den Baum", erzählt sie. Vier Kinderbücherbäume gibt es in Greifswald insgesamt. Dieser bunt bemalte ist der jüngste und befindet sich direkt vor der Kindertagesstätte "Weg ins Leben" im Kotkaring.
Bücherbaum für alle zugänglich
"Wir haben ihn extra so aufgestellt, dass er auch nach Schließung der Einrichtung für alle zugänglich ist", sagt Kassandra Engel. "Also für alle, die in der Umgebung wohnen oder sich dort aufhalten." Der Bücherbaum wird von den Kindern selbst gefüllt. Das freut auch Drittklässlerin Hedwig: "Weil man dann mehr lesen und sich Bilder angucken kann und so was Neues draus lernen kann."
Zwischen Bücherbäumen und Baustellen
Mutter Caroline Denger nutzt den Bücherbaum mit ihren Kindern regelmäßig und ist vom Engagement der Initiatorin Kassandra Engel begeistert. Sie weiß auch, dass die studierte Sozialarbeiterin immer mit Kinderaugen durch die Stadt geht. Nicht nur, wenn es darum geht, Bücherbäume zu schaffen, sondern auch, wenn neue Baustellen eingerichtet werden. Hier prüft sie mit geübtem Blick, ob alles kindersicher ist. So müssen beispielsweise Löcher abgedeckt sein, Verletzungsgefahren sind zu verhindern. "Ich finde, das ist ein unglaublich wertvoller Beitrag für die ganze Stadt. Vielleicht merkt nicht unbedingt jedes Kind, dass sie da ist, aber viel wichtiger ist, dass sie diejenige ist, die die Kinder fragt und ihre Wünsche dann direkt in der Politik umsetzt", sagt Caroline Denger.
Hilfe beim Kontakt mit der Stadt
Kassandra Engel kümmert sich ehrenamtlich um alles, was Kinder bewegt. So ärgern sich Hedwig und Leonard zum Beispiel über Müll, der manchmal absichtlich weggeworfen wird. "Tatsächlich versucht Greifswald viel aufzuräumen. Manchmal haben wir ein bisschen Pech mit den Möwen hier. Die holen nämlich immer ganz frech alles aus den Mülleimern wieder raus", erklärt die Greifswalderin. Manchmal kommen auch Kinder zu ihr, die ein eigenes Projekt auf die Beine gestellt haben und Hilfe brauchen oder wenn ein neuer Spielplatz gebaut werden soll. In Absprache mit dem Kinder- und Jugendbeirat der Stadt und der Arbeitsgemeinschaft "Kinderfreundliches Greifswald" trägt sie Wünsche an Planungsbüros heran. So hat ein Beteiligungsprojekt ergeben, dass Spielelemente für Kleinkinder in Greifswald fehlen. Die sollen nun am Park "Rosengarten" entstehen. "Ein kleines Erfolgsergebnis", sagt Kassandra Engel.
Jugendcontainer als Treffpunkt
Doch die Mutter einer vierjährigen Tochter weiß auch, dass es auf Spielplätzen auch immer wieder zu Konflikten kommt. Zum Beispiel, wenn diese zum abendlichen Treffpunkt für Jugendliche werden. "Es ist wichtig, dass die Jugendlichen Orte haben, wo sie hingehen können", ist sich Kassandra Engel sicher. So behält sie auch den Aufbau von Treffpunkten für junge Menschen im Blick. Am 20. November 2024 wurde ein Jugendcontainer an der Sporthalle 3 im Puschkinring eingeweiht - gebaut und eingerichtet wurde er von den Jugendlichen größtenteils selbst. Hanna Uzun von der Stadt Greifswald hat das Projekt Jugendcontainer begleitet und steht mit Kassandra Engel in engem Austausch. "Die Position der Kinderbeauftragten ist eine wahnsinnig wichtige Schnittstelle für Kinder und Jugendliche, damit sie auch teilhaben können. Und dafür braucht es mehr als nur Sprechstunden oder ein Onlineformat, sondern es braucht Menschen, die vor Ort sind, die sich auskennen und die auch eine Übersetzungsarbeit leisten", ist die Jugendsozialarbeiterin Uzun überzeugt.
Zehn Stunden die Woche für Kinder im Einsatz
Etwa zehn Stunden bringt Kassandra Engel für ihr Ehrenamt in der Woche auf – neben ihrer Vollzeitstelle bei den Evangelischen Kirchengemeinden St. Marien, St. Jacobi und St. Nikolai. Ihr Büro im Turm der Jacobikirche ist auch Treffpunkt für die mehr als 8.000 Kinder- und Jugendlichen der Stadt. Hier gibt es Musikinstrumente, einen Kickertisch, Sofas und Sessel. Im Beauftragtenbüro von Greifswald hat Kassandra Engel kein eigenes Büro. Dort nimmt eine Sekretärin Anfragen entgegen und leitet sie direkt an die studierte Sozialarbeiterin weiter.
Für Kinder und Jugendliche fehlt oft Lobby
Seit 2012 kümmert sich die gebürtige Brandenburgerin um die offene Kinder- und Jugendarbeit in Greifswald, kennt ihre Wünsche und Bedürfnisse. Und führt immer da, wo sich Kinder aufhalten, zusammen mit Oberbürgermeister Stefan Fassbinder (Die Grünen) Sprechstunden durch. "Ich finde es immer ein bisschen schwierig zu hören, Kinder sind die Zukunft. Ich finde es wichtig, in ihr Hier und Jetzt zu schauen und zu gucken, dass sie da das bestmögliche Leben führen können. Für Kinder und Jugendliche fehlt oft noch eine Lobby.“ Für ihr Engagement wurde Kassandra Engel in diesem Jahr mit dem Ehrenamtspreis des Landkreises Vorpommern-Greifswald ausgezeichnet.