Behördenversagen: Salafist entführt Familie
Vielleicht war es die Unruhe der Wendezeit, die Kerstin G. 1990 in Greifswald in die Arme von Hasseim M. trieb. Die Studentin sah in dem jungen Mann, einem gebürtigen Syrer, ihren Prinzen, der ihr Ruhe und Sicherheit geben konnte. Sie verliebte sich, die beiden heirateten und bekamen in der Folge gemeinsam vier Kinder. Für ihn trat sie zum Islam über.
Eine Tragödie nimmt ihren Lauf
Zwanzig Jahre später blickt sie nun auf eine Tragödie zurück, die bei ihr und den Kindern tiefe Spuren hinterlassen hat – und doch ganz unscheinbar begann. Zuerst bemerkt Kerstin G. gar nicht, dass sich ihr Mann langsam ändert: Er lässt sich eine Bart stehen, trägt zunehmend religiöse Kleidung, besucht oft die Moschee.
Dann entfremdet er sich der Familie. Auch, um wieder eine Gemeinsamkeit zu finden, beschließt sie auf den Vorschlag ihres Mannes einzugehen, gemeinsam einen Urlaub in Dubai zu verbringen. Eine fatale Entscheidung, wie sich schnell herausstellen soll. Denn Hasseim scheint von Beginn an anderes im Sinn zu haben: Als Kerstin G. nach dem Urlaub das Gepäck für die Rückfahrt packen will, eröffnet er ihr, sie könne gerne fahren, doch die Kinder blieben bei ihm. Kerstin G. bleibt ebenfalls.
Schläge für Frau und Kinder
Er hat eine Wohnung in Sharjah gemietet, im konservativsten Emirat. Ein Albtraum beginnt. In ihrem Tagebuch beschreibt Kerstin die oft religiös begründeten Züchtigungen, vor allem an den Kindern. Fanatisch erzieht Haissem M. seine zwei Töchter und zwei Söhne nach den strengen Regeln der Salafisten.
Nach der Schule müssen sie den Koran auswendig lernen, sie dürfen weder tanzen noch singen, die Mädchen müssen sich im Alter von acht und zwölf Jahren verschleiern. Bei kleinsten Fehlern schlägt er seine Frau und die Kinder - mit der Hand, aber auch mit Schuhen oder gar dem Faxgerät. Kerstin G. dokumentiert das Grauen, fotografiert heimlich die Verletzungen ihrer Kinder.
Deutsche Botschaft verweigert jede Hilfe
In einem unbeaufsichtigten Moment wendet sie sich an die Deutsche Botschaft, bittet um Hilfe, erläutert ihre Situation. Doch diese wiegelt ab. Das Problem: Die Arabischen Emirate haben das Haager Entführungsabkommen, kurz HKÜ, nicht unterzeichnet. Mit dieser Unterzeichnung verpflichten sich Staaten, von ihren Eltern entführte Kinder wieder ins das Land ihres gewöhnlichen Aufenthaltes zurückzuführen. Doch kaum ein arabisches Land hat unterzeichnet.
Erst der Kontakt zu einem in den Emiraten lebenden deutschen Geschäftsmann bringt die Wende. Er ermöglicht eine gefährliche Flucht, da Hasseim M. überall in der Umgebung seiner Familie Schergen und Aufpasser postiert hat. In Deutschland erreicht Kerstin G., dass ihr Mann mit internationalem Haftbefehl gesucht wird.
Einreise trotz internationalem Haftbefehl
Dennoch gelingt es ihm unbehelligt einzureisen und nach seinen Kindern zu suchen - ein Schreibfehler bei der Übersetzung seines arabischen Namens war wohl Schuld. Doch schließlich gelingt es der Polizei ihn zu fassen. Er wird in Deutschland vor Gericht gestellt und wegen der Misshandlung seiner Kinder verurteilt. Da er in Berufung gegangen ist, ist das Urteil allerdings noch nicht rechtskräftig.
Kinder werden immer häufiger verschleppt
Das Schicksal von Kerstin G. und ihrer Kinder ist kein Einzelfall: Laut der zentralen Anlaufstelle für Kindesentführungen in Deutschland, dem Internationalen Sozialdienst, haben sich die Anfragen zu internationalen Sorgerechtskonflikten in den vergangenen 10 Jahren mehr als verdoppelt. Rund ein Drittel der betroffenen Kinder werden in arabische Länder verschleppt. Nur wenige kehren nach Deutschland zurück.