Atommüll bleibt länger in Lubmin - Endlagersuche verzögert
Die 74 Castoren mit hochradioaktivem Abfall werden noch weit bis in die zweite Jahrhunderthälfte hinein in Lubmin lagern. Einem Gutachten zufolge ist die Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle frühestens 2074 abgeschlossen.
Die Suche nach einem atomaren Endlager in Deutschland wird sich deutlich verzögern. Ein Gutachten, dass das Freiburger Öko-Institut im Auftrag des Bundesamtes für Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) erstellt hatte, geht davon aus, dass selbst bei einem "idealen Projektablauf" erst ab 2074 mit einem Abschluss des Suchverfahrens für einen Endlagerstandort gerechnet werden kann. Die angestrebte Zielmarke 2031 könne aufgrund der gesetzlich vorgegebenen Verfahrensschritte keinesfalls erreicht werden, heißt es in dem Gutachten, das dem NDR vorliegt.
EWN bereitet Neugenehmigung der Aufbewahrung vor
Selbst wenn bis dann ein Standort für ein Endlager feststeht, müssen das Lager noch gebaut und die Castoren umgelagert werden. Das Entsorgungswerk für Nuklearanlagen (EWN) als Betreiber des Zwischenlagers in Lubmin will die im Gutachten genannten erheblichen Verzögerungen bei der Endlagersuche nicht bewerten. Sie bedeuten aber, dass die Castoren deutlich länger in Lubmin gelagert werden müssten. Man bereite bereits jetzt eine Neugenehmigung der Aufbewahrung der Castoren über die bisher genehmigten 40 Jahre hinaus umfänglich vor - forschungs- wie auch praxisseitig, so der Geschäftsführer der EWN, Henry Cordes.
CDU-Chef Peters: Planungszeiträume immer irrwitziger
Die Verzögerungen bei der Endlagersuche stoßen auf Kritik im Land. "Ich finde es beunruhigend, dass erst in 50 Jahren ein Endlager gefunden sein soll", so CDU-Fraktionschef Daniel Peters. "Die Planungszeiträume in Deutschland werden immer irrwitziger." Lubmin dürfe nicht infolge langwieriger Entscheidungen zum de-Facto-Endlager werden.
Umweltminister Till Backhaus verweist auf eine Studie des Physikers Bruno Thomauske, der von noch deutlich längeren Zeiträumen ausgeht. Dort werde 2079 als Jahr für die Festlegung des Endlagerstandortes dokumentiert. Für die Inbetriebnahme des Endlagers würden sogar 2099 bzw. 2114 angegeben. "Das deckt sich auch mit unseren Kalkulationen und denen anderer Institutionen", so Backhaus. Er sieht keine grundsätzlichen Hinderungsgründe, die einer längerfristigen Zwischenlagerung in Lubmin entgegenstehen. "Von der EWN wird erwartet, dass sie rechtzeitig vor dem Auslaufen der Genehmigung einen begründeten und schlüssigen Antrag für die langfristige Zwischenlagerung stellt", so Backhaus.
Erste Castor-Genehmigung läuft 2036 aus
Die Genehmigung für den ersten Castor, der 1996 verschlossen wurde, läuft im Jahr 2036 aus. Nach Angaben von EWN-Chef Cordes rechnet der Zwischenlager-Betreiber mit einem Genehmigungsprozess für die Castoren von acht Jahren. Das würde bedeuten, dass spätestens 2028 der Antrag eingereicht werden müsste. Das Zwischenlager Nord (ZLN), in dem die Castoren jetzt lagern, ist bis 2039 genehmigt. Derzeit wird ein neues Zwischenlager (Estral) geplant, weil das ZLN nicht mehr den erhöhten Sicherheitsanforderungen an den Terrorschutz erfüllt. Das Genehmigungsverfahren für das neue Lager mit seinen dann 1,80 Meter dicken Betonwänden läuft. Nach EWN-Angaben verzögert sich aber auch hier der Genehmigungsprozess. Das neue Lager Estral wird laut EWN frühestens ab 2030 Castoren mit dem radioaktiven Abfall aus den DDR-AKWs Lubmin und Rheinsberg aufnehmen können. Vor zwei Jahren, im Erörterungsverfahren für das Lager war noch 2027 genannt worden.
Grüne: Heiße Zelle ist notwendig
Die Grünen plädieren angesichts der erneuten Verzögerungen für den Bau einer Heißen Zelle im neuen Zwischenlager. Korrosion an sicherheitsrelevanten Komponenten könne es geben. Statt dann einen undichten Behälter durch halb Deutschland zu transportieren, müsse man in der Lage sein, beschädigte Behälter mit hochradioaktiven Abfällen vor Ort ohne Gefahr für Menschen umverpacken zu können, so der energiepolitische Sprecher der Grünen, Hannes Damm.
Beschleunigung gefordert
Indes werden die Stimmen lauter, die für eine Beschleunigung der Endlagersuche plädieren. Es gebe Punkte, über die eine deutliche Beschleunigung möglich sei, so Backhaus. Auch EWN-Chef Cordes fordert mehr Tempo: "Wir brauchen jetzt endlich mal ein Signal, das die Endlagersuche für den Standort und die Findung beschleunigt und nicht immer nur verlängert". Die Studie gebe klare Hinweise: die Verringerung der Zahl der Standortregionen oder auch die Wirtsgesteine, in denen das Endlager entstehen müsse. "Da müssen jetzt Entscheidungen her."
2017 hatte der Bund mit dem Standortauswahlgesetz die Suche nach einem Endlager neu gestartet. Demnach sollte bis 2031 ein Standort für ein tiefengeologisches Endlager in Deutschland gefunden werden. Ursprünglich sollte das Endlager im Jahr 2050 in Betrieb gehen und in den Folgejahren auch die 74 Castoren aus Lubmin in den Tiefenstollen umgelagert werden.