Abnehmspritzen und Schulprävention: Kampf gegen die Kilos in MV
Mehr als jeder Fünfte in Mecklenburg-Vorpommern hat Adipositas. Der Weg zu einem Normalgewicht ist schwer. Häufig sind teure Operationen nötig. Eine neue Möglichkeit kann die sogenannte Abnehmspritze sein.
Sie hat es geschafft: Janine Priebe aus Domsühl (Landkreis Ludwigslust-Parchim). Im vergangenen Jahr hat die 40-Jährige noch 125 Kilo auf die Waage gebracht. Die Diabetes-Diagnose brachte ihr den Wendepunkt. Doch mit Ernährungsberatungen kam sie nicht weiter. Im Gegenteil: Sie hat weiter zugenommen, erzählt sie. Erst die Magenverkleinerung brachte den Erfolg, sie nahm rund 40 Kilo ab. Aufpassen, was und wie viel sie isst, muss sie trotzdem. Kalorien zählen und Mahlzeiten wiegen, stehen auf der Tagesordnung. Mehr als 150 Gramm pro Mahlzeit darf sie nicht essen, sonst könnte sich ihr Magen wieder ausdehnen. Doch für Janine Priebe hat sich der schwere Schritt gelohnt. "Ich merke schon, dass man sich besser bewegen kann und dass das ein ganz anderes Lebensgefühl ist", freut sich die 40-Jährige.
MV kämpft gegen die Kilos
In Mecklenburg-Vorpommern ist jeder Zweite zu dick, hat Übergewicht, das sagt eine aktuelle Statistik des Robert-Koch-Instituts (RKI). Mehr als jeder Fünfte hat laut RKI sogar Adipositas, ist also krankhaft fettleibig und geht damit ein großes Gesundheitsrisiko ein. Diabetes, Schlaganfälle, Depressionen oder Krebs können die Folge sein. Auch die Lebenserwartung ist um etwa fünf Jahre geringer als bei Menschen mit Normalgewicht, heißt es von der Deutschen Adipositas Gesellschaft.
Verschiedene Abnehmmethoden gegen Adipositas und Übergewicht
Neben klassischen Diäten, Ernährungsberatung und -umstellung gehen viele Betroffene den Weg der Operation, wie Janine Priebe. So gibt es die Möglichkeit, den Magen mittels Magenband zu verkleinern. Dabei wird ein Silikonschlauch knapp unterhalb der Speiseröhre zum Magen angebracht, der Magen also stark verkleinert. Die Folge: Der Patient isst weniger. Eine ebenfalls gängige Methode ist der sogenannte Magenbypass. Dabei wird ein großer Teil des Magens und ein Stück des Dünndarms, in den die Verdauungssäfte aus Bauchspeicheldrüse und Galle fließen, umgangen und erst später wieder seitlich an den Dünndarm angenäht. Auch hier kann der Patient nicht mehr viel essen und verliert automatisch an Gewicht.
Weniger Hunger dank Spritze?
Ein neuer Weg zum Normalgewicht könnten die sogenannten Abnehmspritzen sein. Sie wurden ursprünglich für Patienten mit Diabetes Typ 2 eingesetzt. Während der Behandlung mit dem Wirkstoff Semaglutid stellte sich aber heraus, dass Patienten weniger Hunger hatten und dadurch Gewicht verloren. In Deutschland sind Ozempic, Wegovy und Mounjaro zugelassen. Laut Krankenkassen wie AOK oder Techniker Krankenkasse gibt es zwar auch Rezepte für Adipositas-Patienten, allerdings werden die Kosten nicht übernommen. Die Spritzen gelten als "Lifestyle-Produkt".
Ein Piks und die Pfunde purzeln? Nachteile der Abnehmspritzen
Dass die Kosten der Spritze für Menschen mit Adipositas nicht übernommen werden, kritisiert Prof. Dr. Stefan Zimny, Chefarzt der Inneren Medizin und Diabetologie der Helios Kliniken Schwerin. "Die Krankenkassen übernehmen bei einem Patienten mit einem BMI von über 40 in einigen Fällen die Kosten einer Magenverkleinerung von bis zu 15.000 Euro, nicht aber einer Spritze, die monatlich etwa 300 Euro kostet", so Zimny. Das sei nicht nachvollziehbar, sagt er. 300 Euro dann monatlich selber aus der eigenen Tasche zu bezahlen, sei für die meisten Betroffenen eine enorme Herausforderung. Neben dem positiven Effekt des Gewichtsverlusts mit Hilfe dieser Spritzen, kann es jedoch enorme Nebenwirkungen geben, wie etwa Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Magenlähmung, Entzündungen der Gallenblase oder der Bauchspeicheldrüse. Die Langzeitfolgen: unbekannt. Doch laut Aussagen von Ärzten sollten die Spritzen ein Leben lang genutzt und mit einer kompletten Ernährungsumstellung kombiniert werden. Sonst droht der Jojo-Effekt.
Abnehmspritzen zu großen Teilen in Schwerin hergestellt
Die Hardware dieser Spritzen wird zu großen Teilen auch in Schwerin bei Ypsomed hergestellt. In einer der Hallen, die 3.400 Quadratmeter umfasst, werden ausschließlich "Pens" für den dänischen Pharmariesen Novo Nordisk produziert. Dessen bekannteste Abnehmspritzen heißen Ozempic oder auch Wegovy. Eine Sprecherin von Ypsomed erklärte gegenüber dem NDR, dass sie deutlich mehr ihrer Pens produzieren, seit diese Spritzen auf dem Markt sind. Der Anstieg sei signifikant, sagt sie. Das Schweizer Unternehmen Ypsomed ist eigenen Angaben zufolge weltweiter Marktführer für die Herstellung solcher Pens. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass die Hardware einer Abnehmspritze, egal wo auf der Welt, aus Schwerin kommt, so die Sprecherin. Wie viele der Pens, die in Schwerin hergestellt werden, dann auch wirklich für Abnehmspritzen sind, das ist allerdings nicht bekannt.
Das Problem mit Übergewicht fängt häufig schon im Kindesalter an. Laut Prof. Dr. Ralf Schiel von der Medigreif Inselklinik Heringsdorf hat MV bundesweit die meisten übergewichtigen Kinder und Jugendliche. Um dem entgegenzuwirken, setzt das Gesundheitsministerium in MV auf Prävention in Kita, Schule und Familie. Es gibt Ernährungsprojekte, Bewegungschecks und frühe Hilfen. Ziel dabei ist ein gesunder Alltag. "Das ist natürlich ein Prozess, der lange braucht, bis man von einer ungesunden Ernährung, mit der mancher aufgewachsen ist, auch dazu kommt, einen gesunden Ernährungsstil pflegen zu können", sagt Gesundheitsministerin Stefanie Drese (SPD) im Interview mit NDR MV. Bei Einschulungsuntersuchungen habe es außerdem seit einigen Jahren keine Steigerung mehr gegeben.
Für gesunden Lebensstil muss gesamter Alltag verändert werden
Offenbar ein erstes gutes Zeichen. Prof. Dr. Ralf Schiel warnt jedoch. Die Prognosen bis 2050 würden schlecht aussehen. Weltweit müsse man davon ausgehen, dass ein Drittel der Kinder und Jugendlichen bis 2050 von Adipositas oder Übergewicht betroffen sein werden, so Schiel. Demnach würden die Zahlen weiter steigen. In der Medigreif Inselklinik in Heringdorf behandelt er die Krankheit Adipositas. Betroffene Kinder sind dort vier bis sechs Wochen und lernen, ihren Alltag komplett umzustrukturieren.
"Sie lernen, sich anders zu bewegen. Bewegungsintensität und Bewegungsarten müssen gesteigert werden. Und wir vermitteln vielen Kindern und Jugendlichen auch wieder den Spaß an Bewegung. Sie ist nämlich häufig etwas Negatives", sagt Schiel. Sehr wichtig sind laut Schiel auch eine gesunde Ernährung und psychologische Unterstützung. Dabei müssen auch Familie und Umfeld dazulernen, damit es keinen Rückfall gibt, wenn die Kinder nach Hause kommen.
