Für Autoreifen: Anklamer Löwenzahn als Kautschuk-Lieferant
Seit 2018 forscht der Reifenhersteller Continental in Anklam an Naturkautschuk aus Löwenzahn. Auf Versuchsfeldern in Vorpommern wachsen Kreuzungen aus russischem und heimischem Löwenzahn. Das Ziel: eine Sorte zu kreieren, die kommerziell als Naturkautschuk-Ersatz nutzbar ist.
Für die Reifenindustrie ist Naturkautschuk ein wichtiger Rohstoff: Hochwertige Autoreifen bestehen zu rund einem Drittel aus Naturkautschuk. In Brasilien ist die Kautschukproduktion aus dem Kautschuk-Baum (Hevea brasiliensis) jedoch wegen der Ausbreitung eines Pilzes nahezu zum Erliegen gekommen. Der Reifenhersteller Continental möchte Kautschuk aus Löwenzahn von Äckern in Mecklenburg-Vorpommern gewinnen. Ziel sei es, Lieferketten zu diversifizieren und nachhaltiger zu gestalten, so Carla Recker, Leiterin der Abteilung Materialchemie bei Continental.
Unternehmen kreuzt Löwenzahn-Arten
Fahrradreifen aus Löwenzahn-Kautschuk stellt Continental seit 2018 her. "Zu den besonderen Eigenschaften von Naturkautschuk gehören die Stoßfestigkeit und Haltbarkeit, die durch die Dehnungskristallisation hervorgerufen wird", erklärt die Forscherin. Synthetischer Kautschuk könne das nicht leisten. Im nächsten Jahrzehnt, davon ist die Chemikerin überzeugt, wird Löwenzahnkautschuk in größerem Umfang kommerziell auch für die Autoreifen-Industrie nutzbar sein.
Dafür kreuzt das Unternehmen auf einem Feld bei Kartlow (Vorpommern-Greifswald) deutschen und russischen Löwenzahn. Das Ergebnis daraus soll ein wahres Kraftpaket werden. Während der russische Löwenzahn (Taraxagum koksaghyz) Naturkautschuk in sich trägt, verfügt der heimische (Taraxagum officinale) über eine besonders große Wurzel.
Bundesweites Forschungsprojekt für nachhaltige Reifen
Seit 2012 lief am Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen – dem Julius Kühn Institut - in Groß Lüsewitz bei Sanitz auch ein Forschungsprojekt dazu. Projekttitel war „Nachhaltige Reifen durch Löwenzahn - Innovationen aus Biologie, Technik und Landwirtschaft“. Dort hatten Wissenschaftler auch russische und heimische Löwenzahnsorten gekreuzt, um einen möglichst hohen Kautschukgehalt zu generieren. Das Projekt lief über zehn Jahre und bündelte mehrere Kooperationspartner. Landwirte aus dem Land bauten den Löwenzahn versuchsweise an. Auch das Unternehmen Continental war involviert. Mit eingebunden waren zudem Zuchtunternehmen, die Saatgut produzieren, die Universität Münster und das dortige Fraunhofer-Institut.
"Verbindung eines Sprinters mit einem Gewichtheber"
"Wir können es vergleichen mit einem Sprinter und einem Gewichtheber. Wir versuchen, einen schnelllaufenden Gewichtheber zu kreieren", sagt Axel Schechert. Als Saatzuchtleiter bei der Böhm Agrar GmbH in Kruckow arbeitet er an der Optimierung des Löwenzahns. Die Agrar-Gesellschaft kooperiert seit 2022 mit dem Taraxagum Lab, dem Löwenzahn-Labor des Reifenherstellers in Anklam.
Kautschukgehalt im Löwenzahn muss steigen
Gemeinsam mit Carla Recker begutachtet Axel Schechert die Pflanzen auf dem Versuchsfeld, die im August vergangenen Jahres ausgesät wurden. Beide sind zufrieden mit dem Wachstum der Kreuzungen, die in jahrelanger Entwicklungsarbeit entstanden. "Bei der Kreuzung der beiden Sorten sind erste Nachkommen erzeugt worden, die Kautschuk tragen. Das ist gut. Das muss aber noch besser werden, weil wir deutlich höhere Erträge brauchen in der Zukunft", so Recker.
Ein Wert von mehr als zehn 10 Prozent in der Trockenmasse ist das Ziel. Damit wären Erträge von einer Tonne pro Hektar möglich. Und diese Erträge wären vergleichbar mit den Erträgen aus Kautschukbäumen. Derzeit liegt der Kautschuk-Gehalt noch darunter.
Sechs Versuchsfelder in Deutschland
In Deutschland die optimalen Standorte für den Löwenzahn zu finden, ist laut Recker nicht einfach. Deshalb gebe es fünf weitere Versuchsfelder in Deutschland. Sie unterscheiden sich in den Bodenqualitäten, lägen in Regionen mit ganz verschiedenen Witterungsverhältnissen. "Der Erfolg ist ein bisschen dem Zufall überlassen. Wir haben mit zu viel Trockenheit zu kämpfen, mit Kälte, mit zu viel Regen, das bringt uns mal nach vorn, mal nach hinten. Aber wir lassen uns davon nicht aufhalten", so Recker.
Labor untersucht Kautschukgehalt
Im Anklamer Taraxagum-Labor mit seinen rund 20 Mitarbeitern, das 2018 eröffnet wurde, werden die neuen Sorten auf den Kautschukgehalt untersucht. Recker zerbricht eine getrocknete Wurzel, zeigt auf kleine dünne weiße Fäden. „Das ist das Gold in der Wurzel, das wir herausholen wollen“, sagt sie. Dazu werden die Wurzeln gekocht und bei der Extraktion die Kautschukflocken gewonnen.
