33. Hanse Sail in Rostock: Von einer Schnaps-Idee zur Schnapszahl-Sail
Mehr als 130 Schiffe aus acht Ländern stehen auf der Teilnehmerliste zur diesjährigen Sail in Rostock und Warnemünde. Den meisten stecken Jahrzehnte Seefahrt in den Planken. Wieder werden 500.000 Gäste an Land erwartet, 12.000 können mitsegeln.
Die Großsegler und auch die kleineren Traditionsschiffe gelten als die Hingucker und Aushängeschilder der Rostocker Hanse Sail. Bitter ist es für die Organisatoren, wenn gleich drei der angekündigten Schiffsattraktionen kurz vor Beginn der diesjährigen Sail aus technischen Gründen absagen müssen: Der Dreimaster "Cisne Branco" aus Brasilien liegt mit einem Motorschaden in Lissabon. Dann musste das größte der gemeldeten Traditionssegler, die polnische "Dar Młodzieży", ebenfalls aus technischen Gründen die Segel für Rostock streichen. Und zuletzt hat es auch noch das kleinste und vielleicht geschichtsträchtigste Boot erwischt: Die "Seebreeze", das ehemalige Tenderschiff der "Wilhelm Gustloff" aus dem Jahr 1937, kann, wie der Betreiberverein mitteilte, auch nicht kommen. Auch sie muss repariert werden. Kein Traumstart. Oder: Es kann nur besser werden.
Die Hanse Sail: Ein Event mit eigenem Charakter
Die Hanse Sail ist das einzige Event dieser Art, das jedes Jahr im August im Kalender steht - seit 1991. Und das dann doch immer wieder mit einer ansehnlichen Flotte älterer und uralter Schönheiten: unter Segel oder mit Dampf auf dem Kessel, entlang der Pier und auf der Ostsee vor Warnemünde. Darunter in der Vergangenheit nicht selten beachtliche Prominenz: Die Bark "Gloria" aus Kolumbien, das Vollschiff "Amerigo Vespucci" aus Italien oder auch das mexikanische Schulschiff "Cuauhtèmoc" sind nur einige Beispiele. Allesamt sind sie dem Hochadel der Traditionsschifffahrt zuzurechnen. Aber auch bei der 33. Ausgabe der Sail muss sich die Flotte nicht verstecken: Mit der "Pascual Flores", die 1917 vom Stapel lief, kann Spanien in Rostock punkten, der 120 Jahre alte Schoner "Joanna Saturna" kommt aus Finnland und die "Tre Hjärten" ist mit ihren fast 80 Jahren unterm Kiel aus Schweden nach Rostock gesegelt. Und, wie immer, wenn sie in Warnemünde Station macht, wird auch das Segelschulschiff der Deutschen Marine, die "Gorch Fock" Shipspotter anlocken.
Ehrenamtler und zahlende Gäste
Bis zu 300 Schiffsbetreuer sind Jahr für Jahr im August entlang der Pier unterwegs. Sie bringen Brötchen oder die Zeitung, helfen, wenn es mal bei einer Reparatur klemmt oder der Käpt'n Zahnschmerzen hat. Ein Service, der von vielen Schiffern als kameradschaftliche Geste verstanden wird. In diesem Jahr werden durch das Buchungsbüro der Hanse Sail 12.000 Mitfahrgelegenheiten vermittelt, zu Preisen zwischen 47 und 120 Euro für die Ausfahrten. Einnahmen, die in der Regel in Ausrüstung und Reparaturen der in die Jahre gekommenen "Ladys" gesteckt werden. Wie die Hanse Sail wurde, was sie heute ist, darum geht es in der neuen Folge des Podcasts "MV im Fokus".
Zwischen Hoffen und Bangen
Der Erhalt der alten Schönheiten hat mit Seefahrerromantik wenig zu tun. Gefragt sind Tag für Tag professionelle Handarbeit im Ehrenamt, Leidenschaft für die Seefahrt und viel Geduld. Darauf weist zu Beginn der diesjährigen Sail der Deutsche Dachverband für Deutsche Traditionsschiffe hin. Ein Problem, sagt der Verbandsvorsitzende Jan-Matthias Westermann, ist der fehlende Nachwuchs an Bord. Die Crews in den meist gemeinnützigen Betreibervereinen sind in die Jahre gekommen. Es brauche die Jugend an Bord. Die Hanse Sail, so Westermann, ist eine Gelegenheit, mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, und sie für die Schiffe zu begeistern. In diesem Jahr hat die Hanse Sail zwei Projekte initiiert, um die Faszination für die Traditionsschifffahrt bei jungen Menschen zu fördern. So haben Studierende der Universität Rostock den Tik Tok Account der Sail übernommen. Zum anderen gibt es seit diesem Jahr das Projekt "Baltic Friendsship". Auszubildende und Studierende aus Deutschland und Polen starten dabei auf dem Dreimast-Segler "Großherzogin Elisabeth" gemeinsam einen Dreitagestörn und sollen sich dabei nicht nur zu einer echten Seemannschaft formieren, sondern völkerübergreifende Freundschaften schließen. Bis aus den "Leichtmatrosen" handfeste Seeleute geworden sind, so lange wollen die "Alten" aber noch zur Stange halten. Zumal die Seefahrt bekanntermaßen ja auch jung hält.
Herz und Hirn der Sail
Roland Methling ist die ausgelagerte Festplatte der Hanse Sail, sagen manche hinter vorgehaltener Hand. Und: Der hat‘s erfunden, meinen nicht wenige. Nicht allein, sagt er bescheiden, wenn die Rede darauf kommt. 1954 geboren, startete Methling im Rostocker Hafen ins Berufsleben. 1990 dann wurde er Mitarbeiter der Stadtverwaltung und hatte als erster hauptamtlicher Organisationsleiter die Hanse Sail auf dem Tisch. Eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in eigener Sache, denn die Idee hatte er, gemeinsam mit wenigen anderen, nur kurz zuvor geboren. Und es waren damals andere Zeiten: Der Stadthafen war noch in Betrieb, den Hotels fehlten die Kapazitäten, an der Pier fehlte der Platz für die Traditionsschiffe. Provisorien mussten gefunden werden. Bis hin dazu, dass gut 2.000 Rostocker gefunden werden mussten, die bereit waren, Hanse Sail Gäste bei sich zu Hause aufzunehmen: ein Kraftakt. Aber auch ein beglückendes Erfolgserlebnis, als dann im Sommer 1991 tausende Menschen auf der übervollen Warnemünder Mole den Seglern aus aller Welt zuwinkten. Roland Methling blieb der Hanse Sail auch als Oberbürgermeister der Stadt treu und ist es auch heute noch als Rentner. Im NDR Podcast "MV im Fokus" spricht Mirja Freye mit dem "Nestor" der Sail über den mühevollen Beginn - aber auch darüber, was die Hanse Sail mit ihm und seinen Mitstreitern gemacht hat. Es ist eine Bestandsaufnahme aus sehr persönlicher Sicht. Und wenn er darüber spricht, dass wegen des Krieges in der Ukraine die russischen Großsegler "Sedov", "Kruzenstern" und "Mir" an der Rostocker Pier fehlen, dann ist auch Wehmut herauszuhören, und: vielleicht ja auch ein kleines Stückchen Hoffnung.
Programm auch für Landeier und Seekranke
Zur 33. Hanse Sail gibt es so viele Bühnen wie noch nie, kündigt das Hanse Sail Büro an. Auf 20 Bühnen werden etwa 200 Acts zu erleben sein. Und nicht nur die Konzerte auf der Haedgehalbinsel mit Pohlmann und Combo oder Florian Künstler sollen hunderte Fans anlocken. Ob im Brandenburgdorf, auf der Bühne "Zum Alten Fritz", der Sailors Stage, auf dem Achterdeck, im Weindorf oder auf der NDR Klub-Bühne: Überall treten Unterhaltungskünstler auf und präsentieren von Shantys bis Rockmusik fast alle Musikgenres. Der Neue Markt steht am 10. und am 11. August voll im Zeichen der kleinsten Gäste der Hanse Sail: Die "Toggo Tour" macht Halt in Rostock. Auch der Universitätsplatz wird zur Bühne. Hier treten von Donnerstag bis Sonntag, jeweils um 15 Uhr, der Drum-Artist Oded Kafri sowie drei Shanty-Chöre auf. Im Warnemünder Kurhausgarten geht am 8. August die feierliche Sail-Eröffnung über die Bühne. Am Samstag gibt es dann erstmals das Open Air "1.000 Meilen auf dem Meer" statt. Die Bands "Namikatse", "4Fun", "Niemals" und "Les Bummms Boys" sorgen für Festivalfeeling. Und längst nicht zuletzt: "Rosi", kurz für "Rostock singt", lädt am Samstag von 17.30 bis 19 Uhr die Gäste auf der Mittelmole dazu ein, bei einem Mix aus deutschen und englischen Hits im großen Freiwilligenchor mitzusingen. Das gesamte Programm der diesjährigen Hanse Sail ist auf der Internetseite gelistet.
Der NDR an der Pier
Mitten im Stadthafen dabei: der NDR Hanse Sail Klub. An allen vier Tagen präsentieren NDR Mecklenburg-Vorpommern, N-JOY und NDR 2 hier Live-Musik, DJ-Sets, zahlreiche Mitmachstationen, Live-Übertragungen und einen Beach Club zum Entspannen. Direkt bei der "Blauen Flotte" und auf einer Fläche von 1.200 Quadratmetern. Gleich vier Bands holt NDR Mecklenburg-Vorpommern auf die Hanse Sail: Die Kult-Fun-Rockband "Tripod" aus Wismar kommt, die Band "Luis Dannewitz & Mates", auch "Størtebeker" kommt aus Wismar an die Warnow und Jazz und Swing der Extraklasse gibt es am Abschlusstag mit dem Pasternack Trio. Die Kultparty der Hanse Sail gibt es im NDR Hanse Sail Klub von Donnerstag bis Sonnabend immer ab 20 Uhr. Während der Hanse Sail berichten die NDR Reporter live von und über die Sail. Das Nordmagazin am Samstag kommt dann live von der Gorch Fock am Warnemünder Passagierkai. "MV im Fokus", der Podcast von NDR 1 Radio MV, ist ab sofort online. Zu finden auch über die kostenfreie NDR MV App und in der ARD Audiothek.