Statt Umweltpolitik kommt Industriepolitik raus
Seit VW bei Abgastricks betrogen hat, steht die Politik unter Druck. Künftig soll der Abgasausstoß insbesondere von Diesel-Fahrzeugen auf der Straße und nicht auf dem Prüfstand getestet werden. Die Hoffnung: realistischere Werte. Umweltschützer sind dennoch enttäuscht.
Ein Kommentar von Martin Gent, WDR
Die überraschende Einigung auf neue Abgastests zeigt, dass die bisherigen so gar nichts taugen. Schon vor zwei Jahren stellte der damalige EU-Umweltkommissar fest, dass die Prüfstandwerte mit den auf der Straße ausgestoßenen Abgasen wenig zu tun haben. Was man in der Praxis messe, sei kaum besser als der Euro-1-Standard von vor 20 Jahren.
Die Chance, hieran mit engagierten neuen Abgastests etwas zu ändern, wurde wieder einmal vertan. Noch bis 2021 sollen nagelneue Diesel-Autos mehr als doppelt so viel Stickoxide ausstoßen dürfen wie von der aktuellen Euro-6-Norm vorgesehen.
Ein technisches Argument dafür gibt es nicht, denn in jeder Beziehung saubere Dieselautos sind längst machbar. Das zeigen die kritischen Tests im Alltagsbetrieb, über die in den vergangenen Wochen so viel diskutiert wurde. Oft wurden die Grenzwerte in grotesker Form überschritten, aber es gab immer auch einige wenige Modelle, die mit sauberem Abgas nicht nur auf dem Prüfstand glänzten, sondern auch im ganz normalen Stadtverkehr, beim Beschleunigen und auf der Autobahn. 80 Milligramm Stickoxide pro Kilometer lautet das Limit der Euro-6-Norm. Das ist technisch machbar. Der einzige Grund, statt 80 Milligramm bis 2021 mehr als das Doppelte zuzulassen, nämlich 168 Milligramm, ist das Geld.
Wirklich saubere Diesel-Autos brauchen eine aufwendige Abgaswaschanlage und die kostet. So viel, dass damit die Dieselstrategie vieler Autohersteller gefährdet wäre. Die Industrie liebt den Diesel, weil sich damit dicke Autos bauen lassen, die noch halbwegs passable Verbrauchswerte haben, für die sich niemand unter Kollegen oder am Stammtisch schämen muss. Mit diesen dicken Dieseln, oft als Dienstwagen steuerlich begünstigt in den Markt gedrückt, wird gutes Geld verdient, vor allem bei den deutschen Herstellern.
Dieses Geschäftsmodell schien gefährdet, wenn eine zu aufwendige Abgastechnik den Preis für Dieselautos nach oben getrieben hätte. Die können sich die Hersteller nun größtenteils sparen, dank der zahmen Vorgaben aus Brüssel. Für alle, die nicht gerade fernab jeden Autoverkehrs auf dem Land wohnen, heißt das, dass sie noch über viele Jahre Luft einatmen müssen, die viel dreckiger ist als erlaubt. Obwohl seit 1999 bekannt und seit 2010 gültig, werden die Stickstoffdioxid-Grenzwerte an vielen Luftmess-Stationen deutlich überschritten. Es ist das alte Spiel: Wenn in Sachen Auto Umweltpolitik gefragt wäre, kommt Industriepolitik raus. Offenbar auch auf Druck der deutschen Bundesregierung.