Kommentar: Bangemachen gilt nicht in der Flüchtlingsdebatte
Der Flüchtlingsgipfel in der vergangenen Woche, bei dem es vor allem um die Verteilung und Unterbringung Geflüchteter ging, hat zumindest ein Zwischenergebnis gebracht, weil die Länder mehr Geld bekommen. Das Problem ist damit aber nicht gelöst.
Der NDR Info Wochenkommentar "Die Meinung" von Harald Likus ("Braunschweiger Zeitung")
Das war nichts für schwache Nerven. Die Verbissenheit des Fingerhakelns war eine Besonderheit dieser Woche. Ungewöhnlich offen stritten die Länder und Kommunen mit dem Bund über die Verteilung der Kosten für Flüchtlinge. Ob das schlimm ist? Nein, das ist völlig in Ordnung. Das Argument, derlei müsse hinter schalldichten Türen geklärt werden, da diese Debatte "sowieso nur" Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit befördere, offenbart eine undemokratische Verklemmtheit und ein kleinmütiges Misstrauen gegenüber der politischen Kultur dieses Landes.
Kritik der Ministerpräsidenten ist nachvollziehbar
Auch wenn man Theaterdonner und eine clever orchestrierte Interessenvertretung in Rechnung stellt: In einem föderal aufgebauten Staat ist es keine Randnotiz, wenn diverse Ministerpräsidenten und Bürgermeisterinnen parteiübergreifend auf die Zinne klettern und nachvollziehbar erklären, dass ihnen die Kosten für die Unterbringung und die Integration von Geflüchteten über den Kopf wachsen.
Natürlich muss sich die Bundesregierung in so einem Fall bewegen, mehr zahlen und sich bald wohl auch auf eine verlässlichere Kostenübernahme einlassen. Und natürlich müssen angesichts der Milliarden, von denen hier am Ende die Rede ist, dann andere Haushaltsposten auf den Prüfstand - so bitter das sein mag.
Jammern nützt nichts
Nein, für Menschen mit schwachen Nerven ist das Thema Flüchtlinge ohnehin nicht geeignet. In geradezu schmerzhafter Deutlichkeit führt es uns die Verschlungenheit der Probleme und die Begrenztheit unserer Einflussmöglichkeiten vor Augen. Die Fluchtursachen, die Lage der Länder, denen vor allem die jungen Männer davonlaufen, obwohl sie dort gebraucht werden, und dann erst die Begleitumstände, Schlepper, Schleuser, Drangsal und Gefahr: Es ist schon deprimierend.
Verteilungsvoodoo und überlastete Behörden, die Frage nach Kontrollverlust oder zu viel Bürokratie, nach Aufschiebung oder Abschiebung um jeden Preis: Ja, es ist ein Dilemma. Ein Spagat, ein Kummer, eine Pein. Doch das Jammern nützt nichts. Es nützt auch nichts, sich routiniert in weltanschaulichen Stellungen einzugraben, um sich von dort aus an den jeweils anderen abzuarbeiten.
Debatte dreht sich im Kreis
Gar nichts nützt es, wenn die Skeptiker den Engagierten humanistisch verblasene Realitätsvergessenheit vorwerfen, ohne selbst zu merken, wie herzlos und geschichtsvergessen eine reine "Tür-zu-Strategie" wäre. Und es nützt auch nichts, wenn die Engagierten den Skeptikern unterstellen, sie würden das Thema sowieso nur benutzen, um sich in Überfremdungs-Szenarien hineinzusteigern und das Grundrecht auf Asyl auszuhöhlen.
Sie dreht sich zu oft im Kreis, diese Debatte. Und dabei hat doch ein gewisser Joachim Gauck 2015 etwas sehr akkurat Formuliertes zum Thema gesagt: "Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten, sie sind endlich." Und er fuhr fort: "Unser Asyl- und Flüchtlingsrecht fragt bei jedem Einzelnen nur danach, ob die Voraussetzungen der Schutzgewährung vorliegen. Es bemisst sich nicht nach Zahlen. Und doch wissen wir: Unsere Aufnahmekapazität ist begrenzt, auch wenn noch nicht ausgehandelt ist, wo die Grenzen liegen."
Allgemeines Asylrecht versus Einzelfall-Debatte
Nach wie vor beschreiben diese Sätze das Fundament einer humanistisch-seriösen Debatte. So erschütternd ein Einzelfall sein kann: Selbstverständlich muss eine allgemeine Elle angelegt, muss kühl verhandelt, verteilt und abgewogen werden - in Europa und in Deutschland.
Es ist nicht in Ordnung, über Innenministerin Nancy Faeser herzufallen, weil sie sich dafür einsetzen will, dass über Asyl für Menschen, die so gut wie keine Aussicht auf Schutz in der EU haben, schon an den EU-Außengrenzen entschieden werden soll. Die Idee ist klar: Die Abgelehnten sollen gleich von dort ins Heimatland zurückkehren. Das ist auch nicht einfach und sowieso nicht schön im Sinne der Diskussion über das zuweilen vergiftete Wort "Fluchtanreize". Aber es ist vernünftig.
Möglichkeiten sind größer als viele denken
Und die Basis? Ein Flüchtlingshelfer aus der Region Braunschweig-Wolfsburg berichtet, über genau diese Dinge werde in seiner Gruppe lebhaft diskutiert - und zwar ohne, dass alle einer Meinung seien. Ganz einig seien sie in der Gruppe hingegen in diesem Punkt: Dass diejenigen Geflüchteten, die hier landen, fair behandelt werden müssen, mit einer anständigen Unterbringung und mit echten Chancen, in diesem Land etwas auf die Beine zu stellen. Und das werde, das sagt er auch noch, von den allermeisten Menschen, mit denen er spreche, für gut befunden oder sogar unterstützt.
Ja, unsere Möglichkeiten sind endlich. Wer wollte das bestreiten? Doch unsere Möglichkeiten sind gewiss größer, als viele denken. Das heißt: Wir können uns selbst überraschen - und auch bei diesem heiklen Thema mehr erreichen. Die Aufnahme der Ukrainerinnen ist ein Sonderfall und lässt sich nicht verallgemeinern. Als Ermunterung, was unter Umständen möglich ist, taugt ihr Beispiel allerdings schon. Wir können, sollen, müssen sowohl helfen als auch vernünftig bleiben. Der notwendige und nun auch nur halbwegs geklärte Streit ums Geld ändert daran nichts. Dessen Fazit ließe sich eher so umschreiben: Krönchen richten, weitermachen!
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