Ministerin Drese: Länder unterstützen sich bei RSV-Welle gegenseitig
Die aktuell sehr hohe Zahl von Atemwegsinfektionen bei Kindern - vor allem durch das RS-Virus - sorgt dafür, dass in vielen Kinderkliniken in Deutschland bereits alle Betten belegt sind. Das gilt für Intensiv- und Normalstationen. Teilweise müssen kranke Kinder auch in weiter entfernte Krankenhäuser verlegt werden. Im NDR Info Interview spricht Mecklenburg-Vorpommerns Gesundheitsministerin Stefanie Drese (SPD) über die Lage in den Kliniken im Nordosten, über Ratschläge für Eltern kranker Kinder sowie über die Lehren aus der aktuellen Situation für die Pflegeausbildung.
Bekommt aktuell in Mecklenburg-Vorpommern jedes Kind in jeder Klinik die Versorgung, die es braucht?
Stefanie Drese: Wir sind im Nordosten noch am Anfang der RSV-Welle. Deswegen haben wir noch die Möglichkeit, über freie Betten zu verfügen. Momentan unterstützen wir Berlin und Hamburg, die eine sehr angespannte Situation haben. Aber wir rechnen damit, dass es sich auch in Mecklenburg-Vorpommern noch zuspitzen wird.
Und wie sind Sie darauf vorbereitet?
Drese: Wir haben die sogenannten Cluster wieder angeworfen. Es haben sich ja mehrere Kliniken während der Corona-Pandemie zusammengeschlossen und unterstützen sich untereinander bei den Fragen "Wo sind Betten frei?" und "Wo kann Personal unterstützen?". Darauf werden wir, wenn es sich weiter so entwickelt, auch bei diesem Virus setzen.
Wenn das jetzt Eltern hören, deren Kind erkrankt ist: Wann sollten sie in die Notaufnahme fahren? Viele überlegen ja schon, weil sie sagen: Da muss ich dann viele Stunden warten.
Drese: Meine Bitte ist: Der erste Weg soll wirklich zum Kinderarzt führen - und das möglichst auch am Anfang der Erkrankung, damit man noch zu Hause die Pflege so gut wie möglich übernehmen kann. Ansonsten ist es natürlich bei diesem Virus kein guter Rat, mit dem Fahren zur Klinik zu zögern. Wenn die Eltern merken, dass sich der Zustand des Kindes verändert, dann sollten sie auch den Weg zum Krankenhaus auf sich nehmen. Wir werden weiterhin in den Nachbar-Bundesländern unsere Hilfe für die beatmungspflichtigen kleinen Patienten anbieten. Und wir hoffen, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern nicht in eine solche Situation kommen. Aber wenn, dann hoffen wir, dass uns vielleicht auch die anderen Länder unterstützen, wenn bei ihnen die Welle wieder abklingt.
Während der Corona-Pandemie haben wir lange über die Belastung der Kliniken gesprochen. Ist die Situation jetzt viel schlimmer als zu Corona-Zeiten?
Drese: Es ist nicht viel schlimmer, aber es ist eine genauso angespannte Situation. Deswegen ist es ein eindeutiges Signal dafür, dass wir untereinander Vernetzung brauchen. Und wir müssen bei der Ausbildung gucken: Haben wir genügend Personal auch in der Pflege? Das zeigt sich, dass das der "Flaschenhals" bei der stationären Versorgung ist.
Darüber reden wir doch schon so lange. Warum ist denn bisher nichts passiert in diese Richtung?
Drese: Dass nichts passiert ist, würde ich so nicht sagen. Es gibt ja jetzt die generalistische Ausbildung - das heißt, man bildet für die Altenpflege, Kinderpflege oder für die Erwachsenen gemeinsam aus. Die Leute entscheiden sich dann am Ende der Ausbildung, wo sie hingehen. Da sind wir ja erst im zweiten Durchgang. Und als Land Mecklenburg-Vorpommern unternehmen wir beispielsweise mit Stipendien, mit dem Start der Prämien Anstrengungen. Ich glaube, der wichtigste auch politische Punkt in diesem Bereich ist, dass die Kinder- und Jugendmedizin mehr nach medizinischen Aspekten aufgestellt wird - dass es mehr danach geht als nach wirtschaftlichen Kriterien. Da hat es in den vergangenen Jahren eine Fehlentwicklung gegeben.
Sie benennen die Fehlentwicklung, dass Dienstpläne auch immer auf Kante genäht wurden, weil es um den wirtschaftlichen Wettbewerb ging in den Kliniken?
Drese: Ja! Gerade bei der Kinder- und Jugendmedizin sehen wir: Wenn eine solche Welle auftritt, brauchen wir auch Personal, das dort eingesetzt werden kann in der Not. Deswegen muss dort nicht nur nach wirtschaftlichen Aspekten entschieden werden, sondern auch danach, wo etwas zu erreichen ist. Welches Personal muss man vielleicht auch vorhalten in Zeiten, in denen es nicht so gebraucht wird. Man muss mehr auf das Medizinische und weniger auf das Wirtschaftliche gucken.
Das ist eine Bestandsaufnahme. Wenn Sie jetzt sagen, dass man weniger auf das Wirtschaftliche gucken muss: Wie soll sich das denn ändern?
Drese: Beispielsweise versuchen wir im Land, zusätzliche Kinderärzte auszubilden und sie auch nach Mecklenburg-Vorpommern zu holen, indem wir ihnen schon während der Studienzeit Stipendien anbieten oder sie auch in der Pflege unterstützen. Ich sehe erste Ansätze - weg vom Wirtschaftlichen, hin zu mehr Medizinischem - auch bei der neuen Gesetzgebung auf Bundesebene. Das dürfen wir nur jetzt nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen mit Hochdruck weiter daran arbeiten, dass beispielsweise das Abrechnungssystem es auch erlaubt, nicht nur nach dem Wirtschaftlichen zu gucken.
Was meinen Sie konkret damit: Was würden Sie ändern?
Drese: Wenn ein Krankenhaus eine Kinderstation vorhält, muss es dafür eine gewisse finanzielle Erstattung geben, ohne dass nachzuweisen ist, ob diese Betten rund um die Uhr belegt sind. Denn das Personal brauche ich in solchen Zeiten wie jetzt sofort. Dafür muss ich aber eben auch in Sommermonaten, in denen vielleicht die Kinderbetten nicht so sehr nachgefragt werden, Personal da haben. Da kann ich also niemanden kurzfristig einsetzen. Dafür muss ich das auch mit einer gewissen Vorhaltung finanziell abrechnen können.
Das Interview führte Stefan Schlag, NDR Info.