Oksana im Rollstuhl ohne Beinprothesen, daneben ihr Mann. © NDR
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Oksana im Rollstuhl ohne Beinprothesen, daneben ihr Mann. © NDR
AUDIO: Zu wenig barrierefreie Unterkünfte für Geflüchtete mit Behinderung (5 Min)

Zu wenige barrierefreie Unterkünfte für Geflüchtete mit Behinderung

Stand: 25.05.2023 06:00 Uhr

Nachdem sie durch eine Mine beide Beine und vier Finger an einer Hand verlor, musste Oksana aus der Ukraine vieles neu lernen. Zuletzt auch, wie sie in einer Unterkunft zurechtkommt, die nicht barrierefrei ist. Offenbar gibt es immer wieder Fälle, in denen Geflüchtete mit Behinderungen nicht bedarfsgerecht untergebracht werden.

von Lennart Banholzer

Oksana wurde vor neun Monaten aus der Ukraine über Polen nach Deutschland evakuiert, wo sie seitdem behandelt wird. Im März 2022 war die 24-Jährige in ihrer Heimatstadt Lyssytschansk im Osten der Ukraine auf eine Mine getreten und schwer verletzt worden. "Ich bin mit dem Gesicht auf den Boden gefallen und konnte nicht atmen. Ich habe meine Beine nicht gespürt. Es hat sich angefühlt, als ob sie in einem Loch wären", erzählt sie über den Moment, als es passierte. Es folgte eine Behandlung in verschiedenen Krankenhäusern in der Ukraine und über ein Nothilfeprogramm der Europäischen Union schließlich die Evakuierung nach Hamburg. Hier wird sie behandelt, erhält eine Reha und soll auf Beinprothesen wieder laufen lernen.

Unterbringung in Pflegeheim - ohne Familie?

Ihr Ehemann begleitete sie und nach einigen Monaten konnten sie auch ihre beiden Kinder Diana (6) und Ilya (8) zu sich holen. Seit November lebten sie zusammen in einem zur Flüchtlingsunterkunft umfunktionierten Hotel im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Doch weil die Unterkunft nun offenbar geschlossen werden soll, mussten Oksana und ihre Familie raus und damit begannen die Probleme. "Zuerst wurden wir zu einer Container-Unterkunft geschickt. Aber die war überhaupt nicht barrierefrei. Da konnte ich mit dem Rollstuhl nicht fahren", sagt die Kinderkrankenschwester. Vor Ort sei ihnen dann auch bestätigt worden, dass die Unterkunft nicht geeignet sei. Als sie bei der in Hamburg für solche Flüchtlingsunterkünfte zuständigen Anstalt "Fördern und Wohnen" um eine andere Unterkunft baten, seien sie jedoch auf Unverständnis gestoßen.

Zimmer in Interimsunterkunft nicht barrierefrei

Mit Hilfe ihres Mannes übt Oksana mit ihren beiden Prothesen zu laufen. © NDR/Vincent Productions GmbH/Dennis Wienecke
Mit Hilfe ihres Mannes übt Oksana mit ihren beiden Prothesen zu laufen.

Es habe geheißen, Flüchtlinge aus der Ukraine könnten sich nicht einfach aussuchen, wo sie wohnen. "Dann wurde gesagt, die nächste Option wäre, dass ich in ein Pflegeheim komme. Alleine", so die 24-Jährige. Doch eine Trennung von ihrer Familie sei für sie nicht infrage gekommen und so sei ihnen nur geblieben, gemeinsam in eine andere, ungeeignete Unterkunft zu ziehen: Ein Hotel in Hamburg-Neugraben, das als Interimsunterkunft dient. Das Zimmer, in dem Oksana und ihre Familie nun wohnen, ist nicht barrierefrei. Das Badezimmer ist zu klein für einen Rollstuhl, es gibt keine Haltegriffe an der Toilette und in die Dusche passt kein Duschstuhl. Vor kurzem sei sie in dem Bad gestürzt, sagt Oksana. Auch der Notausgang des Hotels sei nicht barrierefrei.

"Fördern und Wohnen" spricht von Missverständnis

"Fördern und Wohnen" teilte schriftlich mit, man habe Oksana und ihrer Familie angeboten, gemeinsam in ein Pflegeheim zu ziehen. Sie habe "vielleicht etwas missverstanden", diese Unterkunft abgelehnt und ein Beratungsgespräch abgebrochen. Doch auch eine Ehrenamtliche, die nach eigenen Angaben telefonisch bei Oksanas Gespräch bei "Fördern und Wohnen" dabei war, sagt, es sei eine getrennte Unterbringung angeboten worden. Auf schriftliche Bitten um eine gemeinsame, barrierefreie Unterbringung hat Oksana von "Fördern und Wohnen" seit knapp zwei Wochen keine Antwort mehr erhalten.

Barrierefreie Unterkünfte fehlen immer wieder - auch in Glinde

Flüchtlingshelfer vom Verein "Feine Ukraine", der sich um Geflüchtete und Kriegsverletzte kümmert, berichten, dass sie immer wieder mit Fällen zu tun haben, in denen Menschen mit Behinderungen in Unterkünften untergebracht werden, die nicht barrierefrei sind. Auch der Pflegedienst "Nova" aus Schleswig-Holstein berichtet von einem derartigen Fall: Pflegerin Anastasia Kugel kümmert sich in einer Container-Unterkunft in Glinde um eine bettlägerige 69-jährige Geflüchtete aus der Ukraine.

Gut vernetzte Pflegekräfte helfen zur Zeit teils ehrenamtlich

Die Geflüchtete sei vor Kurzem am Rücken operiert worden und könne sich kaum bewegen. Doch das Badezimmer in ihrer Bleibe sei so schmal, dass sie es schlichtweg nicht benutzen könne, so Kugel. Weder um sich selbst zu waschen, noch um gewaschen zu werden. "Momentan ist das einfach nicht menschenwürdig", sagt sie. Zudem habe der Pflegedienst nur durch Zufall von der Frau erfahren, weil er gut vernetzt und auf ukrainisch- und russischsprachige Menschen spezialisiert sei. Mehrmals täglich würden sie die Frau teils ehrenamtlich besuchen, weil sie kaum etwas selbst machen könne. Die Stadt Glinde, die die Unterkunft betreibt, teilte auf NDR Anfrage mit, prüfen zu wollen, ob und inwiefern Unzumutbarkeit vorliegt und gegebenenfalls eine alternative Unterbringungsmöglichkeiten zu suchen. Weiter heißt es in der schriftlichen Antwort aber auch: "Grundsätzlich stehen für solche Fälle (der Pflegebedürftigkeit) in Glinde keine Unterkünfte zur Verfügung."

Die verletzte Kinderkrankenschwester Oksana aus der Ukraine sitzt im Rollstuhl und trifft in Hamburg ihre Kinder. © NDR Foto: Dennis Wienecke
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Keine definierten Mindeststandards für Barrierefreiheit?

In Hamburg ist die Sozialbehörde die zuständige Stelle für die Unterbringung von Geflüchteten. Eine Interviewanfrage hat sie abgelehnt. Doch ein Mitarbeiter einer Unterkunft von "Fördern und Wohnen" war bereit, anonym über die bedarfsgerechte Unterbringung Geflüchteter zu sprechen. Aus seiner Sicht ist es problematisch, dass es dafür in Hamburg keine definierten Mindeststandards gibt. "Wenn wir von Barrierefreiheit sprechen, dann meinen wir lediglich, dass Menschen von A nach B kommen können müssen", sagt er. "Umso mehr Kriterien man hat, umso schwieriger wird es sein, der Person einen Platz zuzuweisen." Auch auf andere Bedürfnisse, etwa durch psychische Erkrankungen, könne so kaum Rücksicht genommen werden. Die Sozialbehörde bestätigte dem NDR schriftlich, es gebe in Hamburg "nur in sehr geringem Umfang" barrierefreie Unterkunftsplätze, weil "sie in der kurzfristigen Herrichtung von Unterkünften nur schwer zu realisieren sind". Vorrang habe die Vermeidung von Obdachlosigkeit. Es gebe jedoch "barrierearme Plätze in unterschiedlicher Ausprägung".

Mindeststandards von Bundesministerium und Unicef nur Leitlinie

Dabei haben das Bundesfamilienministerium und die Hilfsorganisation Unicef in einer Broschüre definiert, welche Mindeststandards in Flüchtlingsunterkünften gelten sollten. Darin heißt es etwa: "Alle wichtigen Orte müssen barrierefrei erreichbar sein, wie z.B. Sanitäranlagen", oder: "Bei der Aufteilung von Wohneinheiten werden die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen/Betreuungspersonen berücksichtigt" und: "Familien dürfen nicht gegen ihren Willen getrennt werden." Doch das sind nur Leitlinien - für die tatsächliche Gestaltung der Unterkünfte sind die Länder verantwortlich.

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NDR Info | Aktuell | 25.05.2023 | 07:05 Uhr

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