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Zu wenige Kita-Plätze: Was kostet das die Wirtschaft?

Stand: 29.05.2024 13:49 Uhr

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung fehlen in Deutschland mehr als 400.000 Kita-Plätze. Auch in Norddeutschland ist die Situation alarmierend - mit erheblichen Folgen für die Wirtschaft.

von Isabel Lerch und Hella Horstendahl

Aus aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit geht hervor, dass Erzieherinnen und Erzieher auch in Norddeutschland händeringend gesucht werden. Stand April 2024 seien in Schleswig-Holstein 870 und in Mecklenburg-Vorpommern 290 Stellen für Fachkräfte in der Kinderbetreuung und in der Kindererziehung offen. Der Bedarf ist also groß. Genau wie in Hamburg, wo die Bundesagentur für Arbeit Stand April 2024 insgesamt 407 offene Arbeitsstellen in der Kinderbetreuung verzeichnet. Besonders in den Randgebieten sei es schwieriger, Fachkräfte zu finden.

Am stärksten hat sich die Situation in Niedersachsen zugespitzt: Über 1.500 gemeldete Arbeitsstellen ohne Zeitarbeit für Berufe in der Kinderbetreuung und -erziehung seien im Jahr 2023 laut Daten der Bundesagentur für Arbeit nicht besetzt gewesen.

Kosten von 23 Milliarden Euro für die Gesamtwirtschaft

Dieser Fachkräftemangel bedeutet für die Wirtschaft reale Verluste. "Viele Eltern und Alleinerziehende, insbesondere die Mütter, würden gerne Arbeit aufnehmen oder ihre Stundenzahl ausweiten, können das aber oft nicht, da die Kinderbetreuung nicht sichergestellt ist", erklärt Thomas Letixerant, Vizechef der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit.

Da die geburtenstarken Jahrgänge den Arbeitsmarkt verlassen, sei die Schaffung von Kinderbetreuungsangeboten und die Qualifizierung von Erzieherinnen und Erziehern ein wichtiger Hebel zur Bekämpfung des demografischen Wandels.

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Auch eine Studie der Jobplattform StepStone aus dem Jahr 2023, für die 2.000 Eltern mit Kindern unter zehn Jahren befragt wurden, zeigt, dass fehlende Kita-Plätze die potenzielle Arbeitsleistung der Sorgeberechtigten einschränken können: Zwei Drittel der in Teilzeit beschäftigten Eltern würden gerne in Vollzeit oder vollzeitnah arbeiten, wenn die Kinderbetreuung gesichert ist.

Hochgerechnet auf ganz Deutschland bedeutet dies: Der starke Mangel an Kita-Plätzen kostet die deutsche Gesamtwirtschaft bis zu rund 23 Milliarden Euro, was etwa 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des vergangenen Jahres entspricht. Rund 1,2 Milliarden Arbeitsstunden pro Jahr können nicht geleistet werden - wegen fehlender Kinderbetreuung.

Störungen in den Betriebsabläufen

Die starke wirtschaftliche Belastung spiegelt sich auch in den Ergebnissen einer Umfrage von zwei Unternehmerverbänden im Februar 2024 wider: Bei mehr als drei Viertel der Unternehmen kommt es durch die schlechte Betreuungssituation in Kindergärten - aber auch in Schulen - zu Störungen in den Betriebsabläufen. Ein Drittel der Befragten sagt sogar: Die Ausfälle bei der Kinderbetreuung führen zu erheblichen Beeinträchtigungen der Betriebsabläufe.

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"Spürbarer Druck"

Der aktuelle Mangel an Kinderbetreuung sei besonders stark in der Belegschaft des Versicherungskonzerns Talanx AG/HDI Group mit Sitz in Hannover zu spüren. Konkret sei dies laut Pressestelle an der Nachfrage bei der betriebseigenen Kita HDI Zauberland in Hannover zu merken, die ausnahmslos besetzt sei. "Mit der Kita-Platz-Suche und dem Warten auf die Zusage für den Wunschplatz mit passenden Betreuungszeiten lastet spürbarer Druck auf den Schultern junger Eltern", so Talanx-Pressesprecherin Josefine Zucker. Durch flexible Arbeitszeiten, Ferienbetreuung, Beratung und der Vermittlung von Kita-Plätzen wolle das Unternehmen der angespannten Situation entgegenwirken.

Norddeutsche Unternehmen sind wachsam

Eine Mutter sitzt zusammen mit ihrem Kind vor einem Rechner © picture alliance / dpa Foto: Wolfram Kastl
Viele Unternehmen haben das Problem erkannt, dass einige beschäftigte Eltern unter Druck stehen.

Dennoch sind nicht alle Unternehmen gleichermaßen stark betroffen. Der Versandhändler Otto mit Sitz in Hamburg nimmt beispielsweise auf Anfrage von NDR Info keine negativen Folgen für das Unternehmen aufgrund mangelnder Kita-Plätze wahr. Der mögliche Grund, warum Otto von dem Thema nicht akut betroffen ist: Flexibilität. "Seit vielen Jahren bieten wir sehr flexible Arbeitsmodelle an, insbesondere auch für Eltern, was jetzt sicherlich nicht eine Kita-Betreuung in Gänze ersetzen kann, aber es schon deutlich flexibler macht, wenn beispielsweise Kita-Kapazitäten für eine Ganztagsbetreuung nicht ausreichen", veranschaulicht Otto-Pressesprecher Ingo Bertram die Möglichkeiten für Eltern im Hamburger Online-Konzern.

Des Weiteren sei es prinzipiell für die Mitarbeitenden immer möglich, auf eine Teilzeit-Stelle zu reduzieren. Ob das Unternehmen in Zukunft doch noch negative Auswirkungen aufgrund mangelnder Kita-Plätze zu spüren bekommen könnte, sei laut Bertram nicht voraussehbar. Otto biete zwar Notfall-Möglichkeiten wie "Mutter-Kind-Büros" an - dies sei aber keine Dauerlösung. "Insofern kann es durchaus sein, dass wenn sich die Kita-Situation vor Ort in Hamburg zuspitzt, dass das ein Thema werden wird. Wir sind in jedem Fall darauf angewiesen, dass Kita-Plätze da sind und das auch von der Politik entsprechend gefördert und vorangetrieben wird", so Pressesprecher Bertram vom Versandhändler Otto. Aber dies sehe er in Hamburg zumindest momentan auch als gegeben.

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Unternehmen richten eigene Notfall-Lösungen ein

Auf Anfrage von NDR Info berichtet auch die Drogeriemarktkette Rossmann davon, dass kein akuter Mangel an Kita-Plätzen spürbar sei, "jedoch stellen die angebotenen Betreuungszeiten unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Familie regelmäßig vor Herausforderungen - etwa bedingt durch kurzfristige oder zum Teil stark eingeschränkte Öffnungszeiten bis gar Schließungen an einzelnen Tagen", so die Pressestelle. Das Unternehmen biete "mobiles Arbeiten" und eine eigene Kinderbetreuung in den Sommer- und Herbstferien an. "Da 85 Prozent unserer Mitarbeiterschaft weiblich sind, haben wir im Unternehmen ohnehin ein hohes Interesse an einer adäquaten Betreuungsstruktur, weshalb wir perspektivisch an weiteren Lösungen, insbesondere in Notsituationen, arbeiten", lautet die Aussage der Drogeriekette aus Niedersachsen.

Ähnliche Lösungen für Betreuungsnotfälle hat die Edeka-Zentrale in Hamburg eingerichtet: In einem "Eltern-Kind-Zimmer" könnten laut Pressestelle Eltern arbeiten, während die Kinder spielen oder schlafen. Und auch beim Automobilzulieferer Continental AG mit Sitz in Hannover werden Eltern flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeiten von Betriebskindergärten sowie Notfallbetreuungsplätzen angeboten.

Eltern wünschen sich einen flexiblen Arbeitsort

In der StepStone-Umfrage von 2023 wünschen sich Eltern als Top-Maßnahmen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie besonders einen flexiblen Arbeitsort, flexible Arbeitszeiten, finanzielle Unterstützung für die Kindertagesbetreuung sowie Langzeitkonten zur Freistellung von Familienzeiten und betriebliche Kitas.

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Kita-Problem wird sich in Zukunft verschärfen

Die Aussichten auf eine baldige Besserung der angespannten Kita-Situation sehen aber schlecht aus. Zu wenige Erzieher und Erzieherinnen wurden in der Vergangenheit ausgebildet, die Babyboomer gehen bald in Rente. Zwar wurde die Ausbildung reformiert und die Möglichkeiten für Seiteneinsteiger verbessert, das Problem wird sich in Zukunft aber eher noch verschärfen. So könnten bis 2030 bis zu 90.000 Fachkräfte in den Kitas fehlen, heißt es aus dem Bundesfamilienministerium.

Eine mögliche Perspektive gegen den Personalmangel könnte die bessere Eingliederung ausländischer Fachkräfte sein. Dennoch fordern viele Stellen, darunter der Deutsche Gewerkschaftsbund, weitere Langzeitlösungen wie massive Investitionen in den Kita-Ausbau. Denn das bisherige Programm des Bundes zur Schaffung neuer Kita-Plätze endet im Juni - und ein neues Programm ist derzeit nicht in Sicht.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Wirtschaft | 28.05.2024 | 06:40 Uhr

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Kinderbetreuung

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