Stand: 22.02.2017 15:46 Uhr

Wohin mit dem Müll? Die ewige Endlager-Suche

von Carsten Schmiester, Torsten Huhn

Vor 40 Jahren legte sich Niedersachsens damaliger Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) auf Gorleben fest - als Standort für ein Endlager für hochradioaktiven Müll. Eine politische Entscheidung, die bis heute hoch umstritten ist. Der Widerstand der Gegner hat sich gelohnt: Die politische Vorfestlegung auf Gorleben ist vom Tisch. Es wird ein neues und ergebnisoffenes Suchverfahren geben. Doch bis tatsächlich ein Standort gefunden ist, dürften noch mehrere Jahrzehnte vergehen. Die "NDR Info Perspektiven" fassen den aktuellen Stand in Deutschland zusammen und werfen einen Blick nach Finnland - in das weltweit einzige Land, in dem ein solches Lager bereits in wenigen Jahren in Betrieb gehen wird.

Hunderte protestieren in Gorleben gegen Risiken der Atomkraft © dpa Foto: A3390 Kay Nietfeld
In Gorleben protestierten Hunderte gegen die Risiken der Atomkraft und Gorleben als mögliches Endlager für Atommüll.

Es war der Versuch, eine schwierige gesellschaftliche Aufgabe im Konsens zu lösen: Eine 33-köpfige Kommission aus Experten und Parlamentsabgeordneten arbeitete zweieinhalb Jahre - bis zum Sommer 2016 -, um Kriterien für die Suche nach einem Atommüll-Endlager zu formulieren - und das möglichst einmütig. Doch schon die Zusammensetzung der Kommission sorgte für Streit. "In dieser Kommission sind die Profiteure der bisherigen Atommüll-Produktion und sind diejenigen, die eigentlich das Problem zu verantworten haben, überproportional repräsentiert gewesen", kritisierte Martin Donat von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg.

Atomkraft-Gegner sehen einen "Scherbenhaufen"

Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) bei einer Pressekonferenz am 22. Februar 1977 in Hannover. © picture-alliance / dpa Foto: Wolfgang Weihs
Niedersachsens früherer Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) hatte sich vor 40 Jahren auf Gorleben als Endlager-Standort festgelegt.

Die meisten atomkritischen Experten verweigerten sich aus diesem Grund der Kommission - nur der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) war dabei. Es gab zermürbende, stundenlange Sitzungen des Gremiums mit kontroversen Diskussionen. Die Arbeit endete mit einem mehr als 600 Seiten langen Abschlussbericht, der mit großer Mehrheit verabschiedet wurde. Doch Umweltschützer und Atomkraftgegner lehnten den Abschlussbericht ab. Hauptgrund dafür war, dass die Mehrheit der Kommission auch Gorleben als einen möglichen Standort für ein Endlager ansah. So war es kein Wunder, dass die Atomkraft-Gegner ein negatives Fazit zogen: Es bleibe nur ein Scherbenhaufen, so Jochen Stay von der Initiative "ausgestrahlt": "Die Arbeit der Atommüll-Kommission ist zu Ende. Sie ist auch am Ende. Sie ist aus unserer Sicht gescheitert."

Der Umwelt-Politiker Michael Müller (SPD), Vize-Vorsitzender der Endlager-Kommission, ist kein Befürworter der Kernkraft. Aber er akzeptierte, dass ein Endlager gebraucht wird und man Kriterien für die Standortsuche benötigt. Allerdings wollte auch Müller den Standort Gorleben nicht mit in die Auswahl einbeziehen. Man müsse auch die realen gesellschaftlichen und historischen Erfahrungen einbeziehen. "Das heißt für mich: Der Standort geht nicht mehr", sagt Müller.

Keine schnelle Lösung in Deutschland in Sicht

Es sieht nicht so aus, als könne Deutschland im Konsens ein Endlager finden. An jedem ausgewählten Standort wird es massiven Widerstand geben. Demonstrationen und Ausschreitungen wie in Gorleben sind zu erwarten. Ursprünglich sollte bis zum Jahr 2031 ein Standort gefunden werden, inzwischen geht man davon aus, dass es 20 bis 30 Jahre länger dauert. Die Inbetriebnahme würde sich dann ins nächste Jahrhundert verschieben. Solange es kein Endlager gibt, wird der hoch radioaktive Müll aus den Atomkraftwerken über das ganze Land verteilt oberirdisch gelagert, was gewiss nicht der sicherste Platz ist.

Die Perspektive

Was in Deutschland nur schleppend vorangeht, ist in Finnland längst im Bau: Dort entsteht gerade das weltweit erste atomare Endlager. Es soll im Jahr 2023 in Betrieb gehen. Mit der Entscheidung zum Bau des Endlagers haben sich die Finnen Zeit gelassen: Mitte der 1980er-Jahre begann die Suche, knapp 20 Jahre später stimmte der Gemeinderat im westfinnischen Eurajoki mit 20:7-Stimmen dem Plan zu, in der Nähe des Kraftwerkkomplexes Olkiluoto dieses Lager zu bauen. Der Name für das Endlager "Onkalo" heißt auf Deutsch "Höhle", aber auch "Versteck".

Kaum Proteste gegen den Standort

Bauarbeiten in einem Stollen für das gigantische unterirdische Endlager Onkalo in Finnland. © dpa picture aliance Foto: Jussi Partanen
In Finnland entsteht mit "Onkalo" das weltweit erste Endlager für Atommüll. Die radioaktiven Abfälle werden in Granit-Stollen gelagert.

Der Atomkonzern TVO ist mit Abstand der größte Arbeitgeber in der Region. Es gab kaum Proteste gegen die Standortentscheidung, die von 60 Prozent der lokalen Bevölkerung mitgetragen wurde und für die es im finnischen Parlament eine nahezu einstimmige Mehrheit gab - auch die meisten Grünen sagten "Ja". Entsprechend selbstsicher trat Wirtschaftsminister Olli Rehn vor einem Jahr auf, als der offizielle Startschuss für das geschätzt dreieinhalb Milliarden Euro teure Projekt gegeben wurde. "Die Baugenehmigung wurde für das weltweit erste Endlager erteilt. Finnland ist damit bei der Behandlung von Atommüll weltweit ein Vorreiter, was Finnland aber auch dazu verpflichtet, diese Dinge auch in Zukunft verantwortungsvoll und vor allem sicher zu behandeln", sagte Rehn.

"Onkalo" gilt als absolut erdbebensicher

Bis zu einer Tiefe von fast 500 Metern werden Tunnelröhren in den Granit gesprengt. Das Gestein ist ein Jahrzehnt lang genau untersucht worden. Viele Experten gehen davon aus, dass dort hoch radioaktive Abfälle aus Finnlands Kraftwerken für mindestens 100.000 Jahre gelagert werden können. "Onkalo" gilt als absolut erdbebensicher, es gibt wenig Grundwasser und in Modellen hat das Lager selbst eine neue Eiszeit überstanden.

Die ersten kupferumhüllten Atommüllbehälter sollen nach aktuellem Plan ab 2023 in passenden Löchern versenkt und dann sicher versiegelt werden. "Um zu verhindern, dass die Kapseln auch nur in Berührung mit Wasser kommen, nehmen wir Bentonit und Lehm. Beide Materialien sind extrem wasserundurchlässig. Dazu dehnen sie sich aus, wenn sie feucht werden. So wird verhindert, dass Wasser diese Kapseln auch nur erreichen kann", erklärt der Geologe Antti Joutsen.

Wenige Streitpunkte sind noch offen

Nach etwa einem Jahrhundert soll das Endlager "Onkalo" laut Plan voll sein mit Atommüll und "für alle Zeiten" geschlossen werden. Natürlich gibt es Kritik, Zweifel an der Sicherheit der Anlage und daran, ob kommende Generationen wirklich "für immer" vom Endlager ferngehalten werden können. Wie lassen wir Menschen weit in der Zukunft wissen, was da im Granit liegt und wie gefährlich es ist? Steinerne Säulen mit Runen sind im Gespräch, andere halten es für sicherer, dafür zu sorgen, dass "Onkalo" schnellstmöglich in Vergessenheit gerät. Darüber wird noch gestritten, doch die Mehrheit der Finnen hält "Onkalo" für die zurzeit beste Lösung des finnischen Endlager-Problems.

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Illustration: Zwei Hände umfassen eine Glühbirne © NDR

NDR Info Perspektiven: Auf der Suche nach Lösungen

In der Reihe NDR Info Perspektiven beschäftigen wir uns mit Lösungsansätzen für die großen Herausforderungen unserer Zeit. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 22.02.2017 | 10:08 Uhr

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Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

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