Wie kriegen wir den Harz fit für den Klimawandel?
Die jüngsten Dürrejahre haben den Wald im Harz schwer geschädigt: Unzählige Fichten sind abgestorben. Für die künftigen Generationen soll nun ein Mischwald entstehen, der dem Klimawandel trotzt. Es ist eine Mammut-Aufgabe.
Das Waldsterben im Harz hat Michael Rudolph gehörig zu schaffen gemacht. "Diese vergangenen fünf, sechs Jahre haben sehr an der Seele gekratzt", sagt Rudolph im NDR Info Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise". Er ist seit 30 Jahren Förster im Harz. "Es ist hart, zu sehen, dass der Wald, den wir von unseren Vorfahren übernommen haben und den wir ökologisch wertvoller an unsere Kinder und Enkelkinder übergeben wollten, innerhalb von wenigen Jahren verschwunden ist." Trockenheit, Stürme und starker Borkenkäfer-Befall treiben das Waldsterben voran. Innerhalb von nur drei Jahren sind im Harz knapp 30 Prozent der Fichten abgestorben.
Millionen neue Bäume pro Jahr gepflanzt
Riesige Flächen im Harz sind kahl. Ein trostloser Anblick. Aber der Förster lässt sich nicht entmutigen. "Wir sehen jetzt im Moment nur das große Schreckensszenario. Aber wenn man hier in fünf oder zehn Jahren herkommt, dann sind all die trockenen Bäume umgebrochen und in sich zusammengefallen. Und darunter wird es sprießen vor neuem Grün."
Rudolph arbeitet an einer Aufforstung des Waldes, die den Klimawandel im Blick hat. An seiner Seite: Alexander Frese. Er ist Forstwirtschaftsmeister und für den Umbau des Waldes zuständig. Man könnte sagen: Frese ist der Chef-Bäumepflanzer der Försterei Clausthal-Zellerfeld. Allein dort sind zuletzt in einem Jahr 850.000 Bäume gepflanzt worden. Im gesamten Harz waren es im Jahr 2022 mehr als fünf Millionen.
Der Borkenkäfer hatte leichtes Spiel
Die zurückliegenden Jahre waren im Harz sehr trocken, es hat zu wenig geregnet. Das schwächt die Bäume. Besonders Fichten leiden unter der Trockenheit. Und der Borkenkäfer hat dann leichtes Spiel. "Durch seine Fraßtätigkeit löst sich die Rinde vom Baum - und dem Baum sind dadurch sämtliche Transportwege gekappt. So vertrocknet die Fichte", erklärt Frese. "Das geht innerhalb weniger Wochen."
Die Lösung heißt: Mischwald
Die Bäume können den Käfer eigentlich abwehren, indem sie die Löcher, die der Käfer bohrt, direkt mit Harz wieder verschließen. Aber: Dafür brauchen sie ausreichend Wasser. Dieses Jahr zum Beispiel hat es recht viel geregnet im Harz, da fiel der Borkenkäfer-Befall deutlich geringer aus. In einem Mischwald mit vielen verschiedenen Baumarten würden Borkenkäfer sich gar nicht so stark ausbreiten können. Deshalb setzen die Förster im Harz nun auf Mischwald.
Die Erlen brauchen nasse Füße
Fichten werden fast überhaupt nicht mehr gepflanzt. Rudolph und Frese gehen auch nicht davon aus, dass die Fichte in Deutschland langfristig überlebt. Sie verwenden lieber heimische Baumarten, die nicht so anfällig sind, und wenige Baumarten, die hier eigentlich nicht heimisch sind, sich aber gut bewährt haben - wie Douglasie und Weißtanne. Auf den großen, kahlen Flächen im Harz wird in sogenannten Quartieren gepflanzt. Diese sind manchmal 100 Meter mal 100 Meter groß - oder auch nur 50 Meter mal 20 Meter.
"Wir pflanzen nicht eine Lärche, daneben eine Douglasie und als drittes eine Buche in der Reihe, sondern jede Baumart bleibt auch für sich", sagt Michael Rudolph. Dabei haben die Baumarten unterschiedliche Ansprüche. "Ahorn zum Beispiel kann man nur auf gutem, fruchtbaren Boden pflanzen. Die Douglasie und die Lärche wächst auch auf etwas schlechterem Boden. Aber die Erlen muss ich im Bachtal pflanzen: Die brauchen nasse Füße."
Fichten waren ideal für den Bergbau im Harz
Noch ist die Fichte mit gut 25 Prozent die häufigste Baumart in ganz Deutschland. Aber warum ist sie überhaupt so weit verbreitet, vor allem im Harz? "Das ist hier eine Industrie-Landschaft", sagt Rudolph. "Schon vor langer Zeit wurden für den unterirdischen Bergbau Stollen mit Holz abgestützt. Und Holzkohle wurde gebraucht, um die Erze zu schmelzen. Dafür hat man den ursprünglichen Wald abgeholzt. Und in den folgenden Jahrhunderten hat man hier kontinuierlich auf Fichten als schnellwachsende, für den Bergbau ganz wichtige Baumart gesetzt. Und das hat das Waldbild hier im Harz komplett einseitig verändert."
Der Wald ist gut fürs Klima, aber in Gefahr
Deutschland ist eines der waldreichsten Länder Europas. Jahr für Jahr holen die Wälder große Mengen klimaschädliches Kohlendioxid aus der Atmosphäre - trotz Fällungen, Waldbränden und Schädlingsbefall. Laut der letzten Kohlenstoff-Inventur konnten die Wälder im Schnitt mehr als 60 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr binden. Das entsprach etwa sieben Prozent des deutschen Treibhausgas-Ausstoßes.
Allerdings gilt das nur bis zum Jahr 2017. In den folgenden Dürrejahren dürfte die Speicherleistung deutlich gesunken sein. Wie stark, ist noch unklar. Fachleute gehen davon aus, dass der Wald weiterhin mehr CO2 aufnimmt, als er abgibt. Trotzdem sind die jüngsten Krisenjahre eine Warnung. Die zunehmenden Temperaturen und Wetterextreme, die Forscher erwarten, dürften dem Wald in den nächsten Jahrzehnten immer wieder stark zusetzen.
Es geht in kleinen Schritten voran
Auch wenn nun mehrere Millionen Bäume pro Jahr neu gepflanzt werden, die Wiederauffrostung des Harzes ist ein Langzeit-Projekt. "Wir sprechen von circa 35.000 Hektar kahlen Stellen, da wo kein Wald mehr vorhanden ist", sagt Rudolph. "Und es ist illusorisch zu glauben, das könne man in einer Saison mit neuem Wald aufbauen. Dafür haben wir weder die Manpower noch ausreichend Pflanzen. Im letzten Jahr haben wir ungefähr 900 Hektar neuen Wald angelegt: 900 Hektar von 35.000!"
Die Wiederbewaldung verschlingt Millionen
Die Niedersächsischen Landesforsten geben mehr als 20 Millionen Euro pro Jahr für den Umbau des Waldes und die Wiederbewaldung aus. Das ist finanziell oft ein Minusgeschäft, außer im Jahr 2022. Da haben die Landesforsten ein Plus erwirtschaftet, weil einerseits die Holzpreise so stark gestiegen waren und auf der anderen Seite die Landesforsten eine Menge Holz zu verkaufen hatten, nämlich das Holz der abgestorbenen Fichten.
Experte: Wir brauchen weiterhin Nutzwälder
Heimische Wälder sind eben nicht nur als CO2-Speicher für den Klimaschutz wichtig. Auch ein ans Klima angepasster Mischwald kann als Rohstoffquelle dienen. "Wir brauchen auf jeden Fall weiterhin Nutzwälder", sagt Marcus Lindner vom European Forest Institute. Er forscht seit mehr als 30 Jahren zum Thema Wälder und Klimawandel. "Wir wollen ja nicht unsere Holztische durch Stahl- und Plastik-Tische ersetzen - und wir wollen auch nicht das Holz aus Russland oder Südamerika einführen. Aber gleichzeitig können wir natürlich auch einen Teil unserer Wälder unter Schutz stellen."
"Zumindest haben wir es versucht"
Für Förster Michael Rudolph geht es nun darum, im Harz einen Wald für die künftigen Generationen anzulegen. Der Erfolg ist noch ungewiss. "Welche Gefahren auf diesen neuen Wald lauern, wissen wir noch nicht", sagt Rudolph. "Aber wir wollen nicht einfach die Hände in den Schoß legen, sondern wir greifen jetzt zur Pflanzhacke und forsten auf. Klar wird manches scheitern. Aber zumindest haben wir es versucht und dann sind die nachkommenden Generationen schlauer, weil sie die Erfahrung schon mal gemacht haben."