Wie SAP bei der Teilzeit neue Wege geht
In Teilzeit zu arbeiten, bedeutet weniger Geld, eine geringere Rente und meist einen Karriere-Knick. Fast immer bekommen Frauen diese negativen Auswirkungen zu spüren. Denn meist sind sie es, die für die Familie ihre Arbeitszeit reduzieren. Um mehr Frauen zu fördern, schreibt der Software-Konzern SAP seine Führungspositionen grundsätzlich als Teilzeit-Stellen aus. Die NDR Info Perspektiven haben sich das Modell vor Ort angesehen.
Während 2018 in Deutschland nur elf Prozent der Männer in Teilzeit arbeiteten, war es bei den Frauen fast jede zweite. Fragt man beide Geschlechter nach ihren Gründen, dann geben die Männer oft Aus- oder Fortbildungen als Grund an, Frauen hingegen Kinder oder einen Pflegefall in der Familie. Wenn die Kinder dann groß sind, gelingt Frauen die Rückkehr auf eine Vollzeitstelle häufig nicht - sie stecken in der sprichwörtlichen Teilzeit-Falle. Cawa Younosi, Personalchef des Software-Konzerns SAP hat das Problem erkannt und beschlossen, den Spieß umzudrehen: Führung in Teilzeit soll als normal gelten, das Aufstocken auf Vollzeit nur eine Option sein.
Ein unkonventioneller Personalchef
Younosi ist Personalchef Deutschland beim weltweit drittgrößten börsennotierten Software-Konzern SAP - und er tanzt gern: "Die klassische Stellenausschreibung für einen Personalleiter sieht ja so aus: Es wird jemand gesucht, der seriös auftritt, sich gut ausdrücken und gut auf dem politischen Parkett bewegen kann. Und was hat SAP bekommen? Jemanden, der mit der Pferdemaske auf dem Tisch tanzt." Auf dem Bild, dass er bei einem Vortrag in Heidelberg an die Wand wirft, ist der 43-Jährige tatsächlich tanzend auf einem Tisch zu sehen. Über dem Kopf trägt er eine Pferdemaske aus Gummi, darunter einen adretten dunkelblauen Anzug. Younosi, der im Alter von 14 Jahren aus Afghanistan nach Deutschland flüchtete, tanzt aus der Reihe - wahrt dabei aber soweit die Konvention, dass niemand versucht, ihn vom Tanzen abzuhalten, sondern am Ende alle mittanzen. Das ist seine besondere Fähigkeit.
Wer möchte, kann aufstocken
So hat er es als Personalchef und Beauftragter für Inklusion und Diversity auch geschafft, dass der traditionsreiche Software-Konzern mit Sitz im kleinen Walldorf in Baden-Württemberg als absoluter Vorreiter gilt, wenn es um flexibles Arbeiten geht: Vertrauensarbeitszeit, Homeoffice, die unternehmenseigene Kita für Kinder ab drei Monaten, ein Einkaufsservice und das Abendessen zum Mitnehmen sind bei SAP eine Selbstverständlichkeit. Genauso wie das Arbeiten in Teilzeit - auch in Führungspositionen. Damit sollen vor allem Frauen gefördert werden. "Auch bei uns sind die Mehrheit der Teilzeitkräfte Frauen - und wenn diese sich auf Führungspositionen bewerben, dann sind sie im Vergleich zu Männern, die überwiegend Vollzeit arbeiten, im Nachteil. Um diesen strukturellen Nachteil zu beseitigen, haben wir die damalige Regelung auf den Kopf gestellt, indem wir die Führung in Teilzeit als Regel erklären und Vollzeit als optional." SAP schreibt solche Positionen nun grundsätzlich als 75-Prozent-Stellen aus - mit der Option, auf 100 Prozent aufzustocken.
Mit Pioniergeist gegen Zweifler
Natürlich gab es dagegen anfangs Widerstand in der altgedienten Führungsriege. Sie schafften ihre Aufgaben ja in Vollzeit kaum, hieß es. Deshalb solle man erst die Arbeit umstrukturieren, dann könne man über Teilzeit-Modelle nachdenken. Doch solange wollte Younosi nicht warten: "Dieser Tag wird wahrscheinlich nicht kommen. Jedenfalls nicht, solange ich arbeite und nicht in Rente bin. Ich wollte es lieber erst mal probieren und sehen, ob das wirklich so ist oder ob es anders geht. Wir begleiten die Fälle und wenn es tatsächlich so kommt, dann rudern wir wieder zurück. Oder wir haben mit unserer Annahme recht und es funktioniert in der Realität."
Mehr Frauen in Führungspositionen
Die ersten Teilzeit-Führungskräfte wurden besonders im Priorisieren und Delegieren von Aufgaben geschult. Und siehe da: Nach einem Jahr wurde das Pilotprojekt - zunächst beschränkt auf SAP Deutschland - für gut befunden und auf den Gesamtkonzern ausgeweitet. Ein weiteres Jahr später sprechen die Ergebnisse für sich. Zwar nutzen nur drei Prozent der Führungskräfte die Teilzeit-Option, aber der Anteil von Frauen in Führungspositionen beträgt 27 Prozent - bei einem Frauenanteil in der Gesamtbelegschaft von 30 Prozent.
"Zufriedene Mitarbeiter kommen gerne zur Arbeit"
Auch auf die Männer im Unternehmen wirkt sich das aus. "43 Prozent aller Führungskräfte, die bei uns in Teilzeit arbeiten, sind mittlerweile Männer. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie kein genderspezifisches Thema ist, sondern ein Zeitgeist-Phänomen, das unabhängig von Alter und Geschlecht eine immer wesentlichere Rolle einnimmt." Natürlich verursache die Umstrukturierung der Arbeitsprozesse für Angebote wie das Führen in Teilzeit auch Kosten. Aber Younosi ist der Meinung, dass sich diese Investition lohnt. Er ist überzeugt, dass zufriedene Mitarbeiter begeistert sind und gern zur Arbeit kommen. Sie seien dann auch entsprechend produktiver - und das wirke sich auch auf die Zufriedenheit der Kunden aus.
Achtsamkeit statt Arbeitszeit-Kontrolle
Aber wie verhindert das Personal-Management, dass Teilzeitkräfte am Ende doch 100 Prozent arbeiten und Mitarbeiter ausbrennen? Eine Arbeitszeit-Kontrolle ist bei Vertrauensarbeitszeit und Homeoffice nicht machbar. Deshalb setzt Younosi auf ein firmeneigenes Kursangebot zum Thema Achtsamkeit - und dabei erneut aufs Tanzen. Für einen Aktionstag lud er Musiker und Tänzer nach Walldorf ein. Da stand er dann vor seinen Mitarbeitern auf der Bühne und schwang mit "Let’s Dance"-Jurymitglied Motsi Mabuse die Hüften - und alle tanzten mit.
Teilzeit als Karriere-Bremse
Anfang 2019 ist das Gesetz zur Brückenteilzeit in Kraft getreten. Es garantiert Beschäftigten, die ihre Arbeitszeit für die Familie verkürzen, danach zur Vollzeitarbeit zurückkehren zu können. Doch das Gesetz gilt nur für Betriebe mit mehr als 45 Mitarbeitern. Hinzu kommt ein zweites Problem: Wer in Teilzeit arbeitet, muss oft feststellen, dass er - oder besser: meist sie - die Gehalts- und Karriereleiter sehr viel langsamer erklimmt als die in Vollzeit arbeitenden Kollegen. Führungspositionen in Teilzeit sind am deutschen Arbeitsmarkt eine Rarität - ähnlich wie Frauen in den Chef-Etagen deutscher Unternehmen. Die schlechteren Karriere-Chancen wiederum halten viele Männer davon ab, mehr familiäre Verpflichtungen zu übernehmen und ihre Frauen zu entlasten - selbst, wenn sie das gerne tun würden.
Die SAP-Idee Teilzeitmodelle auf Führungsebene einzuführen zeigt, dass Teilzeit der Karriere nicht im Weg stehen muss - ein erfolgversprechender Weg.