Was Krankenhäuser alles fürs Klima tun könnten
Auch das Gesundheitswesen mit Kliniken, Praxen und Medizinprodukten hat eine sehr schlechte CO2-Bilanz. Es ist ähnlich klimaschädlich wie der Flugverkehr oder die Schifffahrt. Die Charité in Berlin - eine der größten Unikliniken Europas - will das für sich ändern.
"Wir stoßen Treibhausgase aus wie eine Kleinstadt - und produzieren auch so viel Abfall", sagt Simon Batt-Nauerz von der Berliner Charité. Das ist schlecht für die Umwelt, weiß auch der Klinik-Manager. Er ist für die Gebäude zuständig. In der Klinik-Kleinstadt arbeiten mehr als 22.000 Menschen - als Pfleger und Ärzte, in Büros und Laboren.
Für die Klimabilanz heißt das: 105.000 Tonnen schädliches Kohlendioxid pro Jahr entstehen direkt an den Klinik-Standorten - als sogenannte direkte Emissionen. Bezieht man noch Reisen zu Tagungen und alle Produkte ein, die eingekauft werden, sind es sogar 280.000 Tonnen CO2. Diese Zahlen sind viel zu hoch. Die Charité hat sich deshalb gegenüber dem Berliner Senat dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2028 insgesamt 20 Prozent ihrer direkten CO2-Emissionen einzusparen - im Vergleich zum Jahr 2016. Dieses Ziel haben sie schon fast erreicht - mit annähernd 17 Prozent.
Nur jede fünfte Klinik erfasst CO2-Emissionen
Aber die Klimabilanz soll sich weiter verbessern. Und deshalb hat die Charité einen Nachhaltigkeitsmanager. Sein Name: Jannis Michael. Er ist eher eine Seltenheit im Gesundheitswesen. Denn bislang haben nur 30 Prozent der Kliniken einen Klimaschutz-Manager oder einen Nachhaltigkeitsbeauftragten. Das hat eine aktuelle Umfrage des Deutschen Krankenhaus-Instituts und der Techniker Krankenkasse ergeben. Überhaupt erfassen nur 20 Prozent der Häuser konkret ihre CO2-Emissionen. Und nur 20 Prozent haben eine Leitlinie für einen nachhaltigen Einkauf erstellt.
Klimaschutz oder neues MRT?
Jannis Michael erzählt im NDR Info Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise", dass für manch sinnvolle Klimaschutz-Maßnahme an der Charité einfach das Geld fehle. "Die Investitionsmittel sind für so einen Riesenladen wie die Charité relativ gering", sagt er. Da stelle sich schon mal die Frage, ob man Geld für den Klimaschutz ausgibt oder für neues medizinisches Gerät wie zum Beispiel ein MRT. "Und da müssen wir dann schauen, welche Priorität wir setzen."
Dennoch sind schon Fortschritte erzielt worden. So wird im Energiebereich viel CO2 mit einem Blockheizkraftwerk eingespart, das seit 2016 läuft. Ökostrom bezieht die Charité seit 2019 - und auch Solaranlagen sind konkret geplant. "Am Standort Steglitz wird jetzt eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach gesetzt. Sie wird wahrscheinlich eine der größten hier in Berlin sein. Aber auch da brauchen wir die finanzielle Unterstützung vom Land", so der Nachhaltigkeitsmanager.
Ein extrem klimaschädliches Narkose-Gas
Aber Jannis Michael ist nicht der einzige, der sich in der Charité einen Kopf um den Klimaschutz macht. Da ist auch die Narkose-Ärztin Susanne Koch. Sie hat sich überlegt, was sie an ihrem Arbeitsplatz ändern könnte, und kam schnell auf das Narkosemittel Desfluran. Als Treibhausgas ist es 2.450 Mal so stark wie die gleiche Menge C02. Bei einer siebenstündigen Operation mit Desfluran ergibt das eine Menge, die vergleichbar ist mit einer Tour, bei der man mit einem Verbrenner-Auto zehn Mal von Berlin nach Rom und zurück fährt.
"Von daher gibt es die Empfehlung, in Operationssälen in erster Linie das weniger schädliche Narkose-Gas Sevofluran zu nutzen", sagt Susanne Koch. "Man sollte auch darauf achten, möglichst wenig Narkose-Gas einzusetzen." Die Erfahrung aus den OP-Sälen zeigt: Sevofluran ist eine gute Alternative.
Prinzip der vielen kleinen Fortschritte
Verboten ist Desfluran hierzulande nicht - anders als in Schottland und England. Die EU hatte auch mal eine Verbots-Initiative, die aber nicht weiterverfolgt wurde. Manche Ärzte vermuten dahinter die erfolgreiche Lobbyarbeit des Herstellers. Aber die Charité hat das Narkose-Gas Desfluran auch ohne gesetzliche Vorgaben komplett abgeschafft. "Man kann sagen, dass dieser Schritt auch dazu beigetragen hat, den CO2-Fußabdruck - zumindest von unserer Abteilung - zu reduzieren. Und auf die Charité im Ganzen macht es ungefähr 1,3 Prozent des Fußabdrucks aus." Das ist für sich genommen nicht der große Wurf. Aber es ist einer von vielen kleinen Fortschritten, die sich summieren.
Die Extra-Butter kam wieder weg
"Mein Lieblingsbeispiel ist das mit der Extra-Butter", sagt Simon Batt-Nauerz, der auch für die Kantinen zuständig ist. "Man hat irgendwann entschieden, dass zu wenig Butter auf den Tabletts ist. So haben wir mehr Butter draufgelegt. Daraufhin wurden aber 90 Prozent dieser Extra-Butter weggeworfen. Also haben wir die Butter wieder von den Tabletts heruntergenommen."
Im Jahr 2022 hat es die Charité geschafft, innerhalb weniger Monate die Menge der Lebensmittel-Abfälle erheblich zu verringern - in der Patientinnen-Versorgung um 20 Prozent und bei der Mitarbeitenden-Versorgung sogar um 50 Prozent. Das spart 216 Tonnen CO2 jährlich. Für die Einsparung erhielt die Charité eine Auszeichnung vom Landwirtschaftsministerium.
Auch im OP wird jetzt der Müll getrennt
Auch beim Thema Müll gibt es ein Umdenken. "Die Mülltrennung haben wir jetzt flächendeckend in allen OPs eingeführt", berichtet Nachhaltigkeits-Experte Jannis Michael. "Früher ist einfach alles im Restmüll gelandet und wurde verbrannt." Trotzdem kommt immer noch viel Müll zusammen: zum Beispiel Verbände, Verpackungen und Plastikfolien, mit denen aus hygienischen Gründen jedes Bett überzogen ist. Das ergibt jeden Tag die beeindruckende Menge von 27 Tonnen Abfall.
Mehr als 60 Millionen Einmal-Handschuhe
Müllvermeidung und grüne Energie sind zwei zentrale Punkte in der Klimaschutz-Strategie der Charité. Aber noch wichtiger sei eigentlich der Blick auf die Lieferkette, sagt Jannis Michael. "Wir reden die ganze Zeit über Emissionen im Energiebereich. Und die Narkose-Gase sind auch ein wichtiges Thema. Aber einen Rieseneffekt bei uns in der Charité haben unsere Lieferketten - also die Kaufentscheidungen, die wir hier treffen." Zum Beispiel bei der Bekleidung für die 5.000 Ärzte und Ärztinnen sowie für die etwa 5.500 Pflegekräfte. Die Charité hat hier schon gehandelt: Sie bezieht ihre Kleidung jetzt von einer Firma, die auf holzbasierte Stoffe setzt, zertifiziert mit dem Grünen Knopf.
"Bei einem weiteren Projekt, das wir starten wollen, geht es um die Einmalhandschuhe", sagt Jannis Michael. "Denn wir verbrauchen insgesamt über 60 bis 70 Millionen Einmalhandschuhe in der Charité. Und wir schauen jetzt gerade, wie wir die in einem neuen Ausschreibungsprozess nachhaltig beschaffen können." Die Handschuhe machen immerhin 1 Prozent aller CO2-Emissionen aus.
"Ich bin kein Schwarzmaler"
Der Nachhaltigkeitsmanager weiß, dass an der Charité in Sachen Klimaschutz noch viel zu tun ist. "Wir haben einen Riesenberg an Aufgaben vor uns. Diese Aufgaben gilt es, möglichst strukturiert abzuarbeiten - mit den richtigen Themen und den richtigen Leuten." Und mit der nötigen Portion Zuversicht. "Ich bin nicht so ein Schwarzmaler, sondern ich gehe eher positiv an die Sache ran", sagt Jannis Michael. "Und dann kriegen wir das auch hin."
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels stand, dass die Handschuhe 5,5 Prozent der CO2-Emissionen in der Charité ausmachen. Diese Angabe hat die Klinik später korrigiert. Richtig ist demnach, dass die Handschuhe 1 Prozent der CO2-Emissionen ausmachen. Wir haben dies entsprechend geändert.