Von der Erfindung der Pflegeversicherung
Es war eine schwere und vor allem lange Geburt. Schon Anfang der 1980er-Jahre machte sich die Gesundheitskonferenz der Länder Gedanken über die Finanzierung der Pflege. Fast zehn Jahre später wagte Baden-Württemberg im Bundesrat einen ersten konkreten Vorstoß. Doch es dauerte bis 1994, bis der damalige Bundessozialminister Norbert Blüm die frohe Kunde überbringen konnte: "Jetzt stehen wir am Wiegenbett der Pflegeversicherung. Die einen sagen: Die Augen sind von mir, die Anderen sagen: Mir ähneln die Hände. Nun, die Ohren - wie die Schwiegermutter. Wie schön, die Kompensationsbeinchen und die Anderen sagen: Wie gut steht ihm doch das private Jäckchen über dem solidarischen Hemdchen. Ich sage: Lasst uns doch um das Bett stellen, gemeinsam und uns heute wirklich gemeinsam freuen und dem Kind wünschen, dass es ein guter, ein starker Nothelfer für die Schwachen wird."
Hohe Kosten für Pflege und klamme Kommunen
Damals waren bereits 1,7 Millionen Menschen in Deutschland auf Pflege angewiesen. Die hohen Kosten in Heimen konnten sich viele nicht leisten. Die Sozialhilfe musste einspringen, was die Kommunen stark belastete. In der Reihe "NDR Info Perspektiven" machen wir uns immer wieder auf die Suche nach konstruktiven Ansätzen für gesellschaftliche Probleme. Eine davon war die Idee einer Pflegeversicherung. Doch wie sollte die finanziert werden? Ökonomen und FDP wollten sie privatwirtschaftlich organisieren. Blüms CDU setzte auf eine Umlagenfinanzierung wie bei der gesetzlichen Krankenkasse. Die Folge: heftiger Streit in der Koalition.
Buß- und Bettag geopfert, später nachgebessert bei Elternbeitragen
"Wenn ich noch lange über Pflegeversicherung diskutieren muss, werde ich selber ein Pflegefall", schimpfte der damalige FDP-Chef Graf Lambsdorff. Am Ende stand ein Kompromiss. Außer in Sachsen wurde der Buß- und Bettag als Feiertag gestrichen, die Arbeitgeber also finanziell entlastet.
2001 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass Versicherte mit Kindern bei den Beiträgen zur Pflegeversicherung entlastet werden müssen. Ein Problem, dass die damalige Sozialministerin Ulla Schmidt lösen musste: "Ob man einen Weg sucht, einfach zu entlasten, mit Steuergeldern oder über Beiträge, oder ob man einen Weg geht, wie ich ihn auch vorgeschlagen hatte, dass man sagt: Alle zahlen mehr, nur die Eltern nicht. Das sind Wege, die man diskutieren kann." Die SPD-Politikerin setze sich durch. Seit 2005 zahlen kinderlose Versicherte einen Zuschlag von 0,25 Prozent.
Leistungen blieben in etwa gleich
Was sich in all den Jahren kaum veränderte, waren die Leistungen, die die Pflegebedürftigen bekommen. Nur hier und da wurde nachgebessert. Von großen Versprechungen vor der Wahl blieb nach der Wahl meistens nicht viel übrig. Wie bei FDP-Gesundheitsminister Bahr: "Am Ende müsse wir fragen: Was ist uns Pflege wert? Was wollen wir erreichen? Und darauf folgen die Finanzierungsentscheidungen und die müssen nachhaltig sein - es bringt nichts heute mehr Leistungen zu versprechen, die künftig nicht finanzierbar sind."
Neudefinition der Pflegebedürftigkeit
Zweimal verschwanden Expertengutachten zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung in den Ministeriums-Schubladen. Erst die Große Koalition von 2013 packte das Thema wieder an: mit massiven Beitragssatzerhöhungen - ab Januar auf 2,55 Prozent, fünf Pflegegraden statt drei Pflegestufen und einer Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Damit erfolgte eine Korrektur des Geburtsfehlers der Pflegeversicherung: Mitte der 1990er-Jahre standen vor allem körperliche Gebrechen im Fokus. Psychische Einschränkungen wie etwa eine Demenzerkrankung werden bis heute kaum berücksichtigt. Das soll sich ab 1. Januar ändern bei der größten Reform in der Geschichte der Pflegeversicherung.