Meinungen zur Habeck-Rede: Von "staatsmännisch" bis "historisch"
Stand: 03.11.2023 14:35 Uhr
Deutliche Worte von Vizekanzler Robert Habeck (Grüne). Fast zehn Minuten lang spricht er in einem Social-Media-Video über Antisemitismus und die nötige Solidarität mit Israel - und sorgt damit für Furore. Die "Augsburger Allgemeine" nennt die Rede Habecks "staatsmännisch"; die "Bild" bezeichnet sie als "historisch".
Die Rede Habecks ist Thema im Standpunkte Podcast von NDR Info mit dem Blick in Meinungen aus verschiedenen Medien - unter anderem von "Zeit Online" und vom ZDF.
Kommentar: "Habecks Rede wird zu recht gelobt"
Das Thema kommentiert auch unser Gastautor Harald Likus von der "Braunschweiger Zeitung":
Harald Likus kommentiert die Ereignisse in den "Wochen der Bewährung".
"Es ist neu, neu und verwirrend. Selbst erfahrene Vertreter jüdischen Lebens in Deutschland berichten, sie hätten derlei noch nicht erlebt. Die Anspannung enorm, die Anfeindungen zahlreich. Ja, die Wochen nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober sind auch in Deutschland 'Wochen der Bewährung'.
Diese Formulierung ist eine von vielen guten in dem Video, in dem Vizekanzler Robert Habeck seine Sicht auf die Themen Hamas, Israel und Antisemitismus dargelegt hat. Zum Glück wird Habecks Rede millionenfach angeschaut. Zu Recht wird sie gelobt. Man kann es ja auch gar nicht oft genug und klar genug sagen: Die Attacke der Terroristen ist in ihrer eliminatorischen Grausamkeit durch nichts zu rechtfertigen oder zu relativieren. Doch genau das geschieht landauf-landab. Ein sozusagen rechter Antisemitismus mit neonazistischer Tendenz und ein sozusagen Linker zum Teil muslimisch motivierter, der Israel als Kolonialmacht versteht und von der Landkarte wischen will, ergänzen einander aufs unseligste.
Und wie eine Art Grundrauschen ist in den Debatten der Unmut derer zu vernehmen, die nicht verstehen wollen, dass Kritik an Israel - zum Beispiel an der Siedlungspolitik - das eine (und natürlich nicht notwendig antisemitisch) ist, der Applaus für die Hamas und das Leugnen des Existenzrechts Israels aber eben das andere - nämlich grundfalsch und sehr wohl antisemitisch.
Doch es gibt auch Lichtblicke in der Debatte. Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen hat jetzt gesagt, sie bereue es, dass sie sich 2019 nicht klar gegen die israelfeindliche Boykottbewegung BDS positioniert habe. "Die letzten Jahre haben gezeigt, ich habe mich geirrt", sagte sie. Ein nobler Satz in den 'Wochen der Bewährung'."
Weitere Meinungen zur Habeck-Rede
Der "Tagesspiegel" aus Berlin schreibt, dass diese Rede eigentlich von jemand anderem hätte kommen sollen: "Auf Habecks knapp zehn Minuten hat Deutschland fast vier Wochen lang gewartet. Robert Habeck hat noch einmal in Erinnerung gerufen, was politisch, intellektuell, rhetorisch in ihm steckt. Hier sprach ein Staatsmann. Es war die Rede, die der Bundespräsident oder der Bundeskanzler längst hätten halten sollen."
"Zeit Online" geht genau auf diesen Punkt ein und meint, dass die Frage, wer die Rede schon hätte halten sollen, an der Realität vorbeigehe: "Natürlich haben sich sowohl Olaf Scholz auch als Frank-Walter Steinmeier in den Tagen nach den Terrorakten der Hamas häufig und nicht weniger eindeutig zu Wort gemeldet. Allein, sie tun es eben auf ihre Art: Scholz etwas technisch und untertemperiert; Steinmeier ganz präsidentiell. Habeck allerdings geht auch dieses Mal einen Schritt weiter: Er spricht deutlich aus, dass Asylbewerber, die auf unseren Straßen die Gewalt und den Hass gegen Juden feiern und verherrlichen, zukünftig abgeschoben werden könnten."
Was folgt aus der Rede von Robert Habeck? Dieser Frage geht Oliver Neuroth aus dem ARD-Hauptstadtstudio nach. Er meint, nach den Worten des Ministers müssten jetzt Taten folgen: "Habeck hat das ausgesprochen, was selbstverständlich sein sollte, im Moment aber nicht ist. Er muss jetzt innerhalb der Bundesregierung dafür sorgen, dass konsequenter gegen Judenhass auf deutschen Straßen vorgegangen wird. Und er sollte sich dafür einsetzen, dass muslimische Verbände, die sich nicht eindeutig gegen Antisemitismus positionieren, kein Steuergeld mehr bekommen. Dafür ist zwar das Innenministerium zuständig, doch ein Vizekanzler hat Einfluss im Kabinett."
Das "Göttinger Tageblatt" hat die Rede auf seiner Online-Seite kommentiert und schreibt, Habeck habe vor allem als Spitzenpolitiker der Grünen gesprochen: "Als solcher hat er eine ganz eigene Verantwortung. Die Grünen sind die Regierungspartei, die den Demonstranten aus der alternativ-linken Szene am ehesten nahesteht, die die Solidarität mit den Palästinensern so weit vornean stellen, dass der Hamas-Terror darin seine Rechtfertigung findet. Wenn Habeck sagt: 'Anti-Kolonialismus darf nicht zu Antisemitismus führen', richtet er sich genau an dieses Milieu."
Auch bei "heute" auf ZDF.de ist die Rede des Ministers Thema. Dort heißt es: Das Video könne auch als Comeback-Versuch interpretiert werden. "Habeck gilt seit dem schlecht kommunizierten Heizungsgesetz und dem Rücktritt seines Staatssekretärs Patrick Graichen als angeschlagen. Eine Kanzlerkandidatur in weiter Ferne. Es ist schon bezeichnend, dass sich der Wirtschaftsminister derart deutlich zu Israel äußert. Eigentlich wäre das Aufgabe von Außenministerin Annalena Baerbock. Ist das Video auch eine Spitze gegen sie, die interne Konkurrentin um die nächste grüne Kanzlerkandidatur?"
Zum Schluss noch ein Blick nach Österreich. Die Wiener Tageszeitung "Der Standard" meint, dass sich diese Rede nicht nur an Menschen in Deutschland richten sollte: "Der deutsche Wirtschaftsminister hat in einer beeindruckenden Videoansprache für Klarheit gesorgt. Österreich hat keinen Politiker von dieser Klarheit und Eloquenz. Aber was Habeck sagte, gilt auch hierzulande."
Zusammengestellt von Jan Busche
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Von den Islamverbänden in Deutschland forderte der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft auf NDR Info eine deutlichere Abgrenzung gegen Juden-Feindlichkeit.
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03.11.2023 | 05:49 Uhr