Schulwerbung: Unternehmen kapern Klassenzimmer
Die Grundschüler der 3b der Ganztagsschule Molkenbuhrstraße in Hamburg sitzen im Kreis rund um ein Paket. Der Absender ist die Kölln GmbH. Auf der Internetseite des Unternehmens können Lehrer das Paket ordern, Stichwort "Gesundes Frühstück". Die Schüler packen Haferflockenkartons und Rezepthefte aus. "Und noch mehr Müsli", rufen die Schüler.
Ann-Kathrin Jansen, die Klassenlehrerin der 3b, hätte das Frühstückpaket eigentlich nicht bestellt. Doch sie testet es für uns. Dass Firmen Kontakt zu ihr suchen, kennt sie allerdings: "Es ist gar nicht lange her, da habe ich ein Angebot von Google bekommen", erzählt sie. "Mit 3-D-Brillen wollten sie in die Klasse kommen." Bedruckte Schulhefte und Stundenpläne oder Sagrotan-Probepackungen im Lehrerzimmer gehören genauso zu solchen Offerten.
"Schön gemachte Marketing-Aktion"
Jedes Bundesland hat seine eigenen Regeln für Werbung an Schulen. Der Grundton ist allerdings bei vielen ähnlich: Produktwerbung ist verboten. Und wenn Unternehmen Material an den Schulen verteilen wollen, dann muss die Werbewirkung hinter dem schulischen Nutzen zurücktreten.
Panorama 3 bittet daher einen Experten einzuschätzen, ob dies im Fall des Frühstückspaketes so ist. Christoph Wegman, Professor für Lebensmittelmarketing an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, sieht sich die Rezepthefte an, die Kölln in die Klassenzimmer schickt. Sein Urteil ist eindeutig: "Man sieht hier vorn den Absender. In den Rezepten ist durchgängig das Produkt enthalten - insofern ist es eine schön gemachte Marketing-Aktion, die dazu führen soll, mehr Kölln-Flocken zu verkaufen." Die Kölln GmbH hingegen schreibt, mit dem Produktpaket wolle man "einen Beitrag für die Entwicklung von Ernährungskompetenz […] leisten".
Langfristige Wirkung
Material, das angeblich den Unterricht ergänzt und bereichert, produzieren zahlreiche Firmen. Laut einer Studie der Universität Augsburg bieten inzwischen dreiviertel der größten deutschen Unternehmen eigenes Unterrichtsmaterial online an. Um Produkte auch langfristig im Unterbewusstsein von Kindern zu verankern sei Schule ein idealer Ort, so Marketingexperte Wegmann, denn es sei ein vertrauenswürdiger Raum. In der Schule aufzutauchen mache das Unternehmen glaubwürdiger - "Und das ist natürlich eine schöne Wirkung, wenn man quasi als offizielle Information geadelt wird."
Auf die Frage, wie Unternehmen die Schüler erreichen können - trotz der Verbote und Regeln - hat sich eine ganze Branche spezialisiert: Kinder- und Schulmarketing-Agenturen. Sie öffnen Firmen die Schultüren zum Beispiel per Logo auf einem Hausaufgabenheft. Von einer spannenden Zielgruppe, die leicht zu begeistern ist, sprechen die Agenturen.
Pädagogischer Effekt?
Jungunternehmer Carl-Clemens Köhler probiert aus, wie weit diese Marketingagenturen wirklich gehen. Er ist Geschäftsführer von Cow-Cow und verkauft Bio-Lebensmittel für Kinder. Und er ist selbst Vater. Die Schule, so sagt er, sollte ein neutraler Ort sein. Darum ist sie für ihn als Werbeort Tabu. Aber testweise kontaktiert er ein paar Schulmarketing-Agenturen. Bei einem Telefonat erklärt ihm der Mitarbeiter einer Werbeagentur, welche Vorteile der Werbeort Schule hat. Von der "Gruppendynamik" unter Kindern habe dieser geschwärmt, erzählt Köhler nach dem Telefonat. Ein Außenteam von 80 Leuten kümmere sich um den Kontakt zu Schulen. Die Agentur bietet an, Produktproben verteilen zu lassen, obwohl dies die Schulgesetze fast aller norddeutschen Bundesländer verbieten. Später schreibt die Agentur auf NDR Anfrage: "Der pädagogische Bildungsauftrag steht im Mittelpunkt und muss bei jeder Kampagne berücksichtigt werden."
Ist das, was die Unternehmen mithilfe solcher Agenturen an die Schulen bringen, wirklich alles noch im Rahmen? In der Hamburger Schulbehörde sieht sich Sprecher Peter Albrecht Beispiele an - Material das an Hamburger Schulen kursiert, auch die Kölln-Flocken-Frühstückspakete. Das einhellige Urteil aus der Schulbehörde dazu: "So etwas dürfte über Schule nicht verteilt werden. Das ist völlig klar."
Behörde verweist auf Verantwortung der Lehrer
Der Druck durch die Werbewirtschaft auf die Schulen habe in den vergangenen Jahren zugenommen. Strengere Regeln seien dennoch nicht sinnvoll, so der Behördensprecher. Allein in Hamburg sei man für 370 Schulen zuständig, da sei eine effektive Kontrolle nicht möglich. Darum setzt Albrecht auf Appelle an die Direktoren und Lehrer, die Richtlinie mehr zu beachten. Auch mehr Weiterbildung sei ein Weg. Und so sind die Kinder auf Lehrer angewiesen, die Werbung an Schulen kritisch sehen.
Wo das nicht so ist, können Agenturen und Unternehmen Schülern weiter Werbung unterschieben. Am für sie dafür besten Ort der Welt - der Schule.