Regionales Wildfleisch als Alternative
Nicht zuletzt wegen des Klimawandels entscheiden sich immer mehr Menschen für eine pflanzenbasierte Ernährung. Doch nicht alle können sich das vorstellen. Wildfleisch könnte eine Alternative sein.
Die industrielle Tierhaltung hat einen großen Anteil am Klimawandel. Viele Menschen entscheiden sich daher für eine vegane Ernährung - denn auch Milchvieh produziert hohe Mengen schädlicher Klimagase. Ein amerikanisches Forscherteam hat sich daher die Frage gestellt: Was wäre eigentlich, wenn keine Nutztiere mehr gehalten würden? Das Ergebnis ist beeindruckend. Würden wir uns jetzt dazu entscheiden, aus der Viehzucht auszusteigen, und diesen Ausstieg über die nächsten 15 Jahre konsequent weiter verfolgen, hätte das weitreichende Folgen: Das Niveau schädlicher Treibhausgase ließe sich über 30 Jahre lang stabil halten und die Erderwärmung erheblich verlangsamen. Das ergab die Simulation eines Forscherteams aus Stanford und Berkeley. Ihre Vision: Eine intensive Aufforstung ehemaliger Weideflächen: also Bäume die CO₂ absorbieren, statt Rinder die das besonders schädliche Methan produzieren.
Weltweiter Hunger nach Fleisch steigt
Eine besonderes realistische Vorstellung ist das nicht. Schließlich steigt weltweit der Hunger nach Fleisch, vor allem im globalen Süden. In den vergangenen 20 Jahren hat sich der Konsum von Fleisch mehr als verdoppelt. Bis zum Jahr 2028 soll er Schätzungen zufolge um 13 Prozent wachsen. Das ergab eine Hochrechnung der Heinrich Böll Stiftung und des BUND im Fleischatlas. Die Heftreihe erscheint seit 2013 und stellt globale Zusammenhänge zwischen der industrialisierten Produktion von Fleisch und Fleischkonsum dar. An dem global ansteigenden Fleischkonsum ändert auch der Trend zur veganen Ernährung im Westen so schnell nichts.
Fleischersatz und Fleisch aus dem Labor
Mit dem Experiment wollen die Wissenschaftler eher zum Nachdenken anregen und deutlich machen, welchen Schaden die industrialisierte Tierhaltung verursacht. Länder wie die Niederlande haben das schon erkannt. Mit einem 25 Millionen Euro Plan wollen sie den Viehbestand im Land in den nächsten 13 Jahren um ein Drittel reduzieren. Mit dem Geld sollen Landwirte entschädigt werden, die aus der Viehhaltung aussteigen. Gleichzeitig sind auch Fleischersatzprodukte und In-Vitro-Fleisch auf dem Vormarsch – doch bis diese sich vollständig durchgesetzt haben, braucht es Übergangslösungen. Der vollständige Verzicht auf Fleisch stellt für viele Verbraucherinnen und Verbraucher eben keine Lösung dar, aber vielleicht kann Wildfleisch das eine oder andere Nackensteak ersetzen. Eine neue App zur Vermarktung von regionalem Wildfleisch will das Thema voranbringen.
App "Waldfleisch" will Wildfleisch vermarkten
Frank Luttmann ist Programmierer und hat im letzten Jahr die Handy-App "Waldfleisch" entwickelt. Auf die Idee brachte ihn sein Vater, ein Jäger, mit den Worten: "Du musst mir mal eine App entwickeln, die mich bei der Wildbret-Vermarktung unterstützt." Jetzt ist die App da und Jäger*innen können darüber das Fleisch wildlebender Tiere wie Rehe, Wildschweine oder Hasen verkaufen. Vielen Menschen sei gar nicht klar, wo Wildfleisch überhaupt zu bekommen sei, sagt Luttmann, der selbst kein Jäger ist. In der App müssen Nutzer*innen lediglich ihren Standort angeben, erklärt Luttmann: "Wir haben eine regionale Vermarktungsplattform. Das heißt, der Verbraucher sieht in der App, welche Jäger in seiner Region gerade welche Produkte verfügbar haben." Dass Wildfleisch nur dezentral und in schwankenden Mengen verfügbar ist, hat den Verkauf bisher oft schwierig gemacht. Eigenschaften, die für Luttmanns Vorhaben jedoch kein Problem sind: "Ich denke, dass Wildbret das ideale Produkt für einen digitalen Marktplatz ist, denn anders als andere Lebensmittel ist es nicht in jedem Discounter verfügbar."
Regional und nachhaltig
Die App scheint den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Knapp 4.000 Jägerinnen und Jäger nutzen sie bereits für ihre Vermarktung. 120.000 Nutzer*innen haben die App seit April letzten Jahren installiert. Doch woher kommt die größer werdende Nachfrage nach Wildfleisch? Auf der einen Seite nimmt der Trend hin zu einer bewussten Ernährung zu. Auf der anderen Seite erfülle Wildfleisch Eigenschaften, die immer mehr gefragt seien, sagt Luttmann: "Es ist regional, es ist nachhaltig, es gibt keine Tierwohl Problematik." Eine Jägerin, die das von ihr geschossene Wildfleisch über die Waldfleisch-App vermarktet, ist Chantal Dörmann. Neben den klassischen Wildtieren jagt sie auch noch ein anderes Tier, dessen Fleisch bisher kaum als Lebensmittel bekannt ist. Früh morgens ist sie an einem Weser-Arm in Niedersachsen unterwegs: "Also wir jagen jetzt Nutria. Wir haben hier von der Landwirtschaftskammer gestellte Fallen, die wir regelmäßig beködern."
Auch Nutria-Fleisch im Angebot
Nutrias sind etwa bibergroße Nagetiere, die ursprünglich aus Südamerika stammen. Einst wurden die am Wasser lebenden Tiere hier bei uns wegen ihrer Pelze gehalten. Einige konnten jedoch fliehen. Auf Grund milder werdender Winter und reichlich Nahrungsangebot, haben sich die Tiere stark vermehrt. Es sei zwar gewöhnungsbedürftig das Fleisch dieser Tiere zu essen, schmecke aber, sagt die Jägerin: "Also ich finde es schmeckt gut, und es hat gar nicht diesen richtigen Wildgeschmack. Es ist total mild." Neben Fleisch, das meist tiefgefroren und vakuum-verpackt angeboten wird, gibt es über die App auch verarbeitete Produkte wie Salami, Schinken oder Bratwürste zu kaufen.
Neue Kunden erschlossen
Der neue Vermarktungsweg spricht auch neue Kunden an: junge Leute, Familien aus der Stadt, Menschen, die bisher aus Umwelt- und Gesundheitsgründen lieber auf Fleisch verzichtet haben. Viele Jäger*innen sind überrascht über die neue Kundschaft und freuen sich. Entwickler Frank Luttmann möchte die App zukünftig noch mehr an die Wünsche der Verbraucherinnen und Verbraucher anpassen: "Wir arbeiten derzeit an einer Vorbestellfunktion, so dass der Verbraucher dann auch beim Jäger sehen kann, welche Produkte kann ich bei ihm vorbestellen und dann können sie die auch direkt frisch abholen."